Ihr Kontakt
Am 11. Juli 2013 ist diesog. Kosmetikmittelverordnung (Verordnung Nr. 1223/2009)in Kraft getreten, welche die Anforderungen an kosmetische Produkte regelt, die auf dem EU-Markt angeboten werden. Im Zentrum der Verordnung steht das Sicherstellen eines hohen Gesundheitsschutzniveaus für den Menschen bei der Anwendung von Kosmetika. Der Schutz von Tieren ist ebenfalls ein erklärtes Ziel der Verordnung, welche das Testen von Kosmetika oder Bestandteilen davon an Tieren grundsätzlich verbietet. Ebenso ist die Einfuhr von an Tieren getesteten kosmetischen Mitteln und Bestandteilen davon in den EU-Markt verboten. Bisher waren die Einzelheiten dieses Verbots nicht vollständig geklärt. Der Gerichtshof präzisiert nun den Inhalt des in Art. 18 Abs. 1 lit. b derKosmetikmittelverordnungenthaltenen Verbots.
EFfCI klagt auf gerichtliche Überprüfung des Umfangs des Verbots
Die European Federation for Cosmetic Ingredients (EFfCI) ist ein Wirtschaftsverband, welche die Interessen der in der EU ansässigen Kosmetikhersteller vertritt. Drei Mitglieder des Verbandes haben Bestandteile ihrer Kosmetikprodukte im Hinblick auf deren Verkauf in China und Japan an Tieren ausserhalb der EU getestet. Nun wollten die Gesellschaften die Kosmetika im Vereinigten Königreich in Verkehr bringen. Unklarheit bestand im Hinblick auf die Auslegung des in Art. 18 der Kosmetikmittelverordnung enthaltenen Verbots von Tierversuchen. Da ein Verstoss gegen diesen Art. 18 im Vereinigten Königreich strafbar ist, gelangte die EFfCI an den High Court of Justice (England & Wales) und klagte auf gerichtliche Überprüfung des Umfangs des Verbots von Tierversuchen. Der High Court of Justice kam zum Schluss, dass es sich um eine echte Rechtsfrage handelt und unterbreitete diese dem Gerichtshof im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens.
Tierversuche «zur Einhaltung der Bestimmungen» der Kosmetikmittelverordnung
Der vorliegende Rechtsstreit drehte sich um die Frage, wie die Wendung «zur Einhaltung der Bestimmungen dieser Verordnung» im besagten Artikel auszulegen sei. Die vom EFfCI vertretenen Gesellschaften testeten die Bestandteile ihrer Kosmetika an Tieren im Hinblick auf die Erfüllung der Rechtsvorschriften von Drittländern ausserhalb der EU, um die Produkte in diesen Staaten vertreiben zu können. Sie stellen sich auf den Standpunkt, dass die Tierversuche nicht «zur Einhaltung der Bestimmungen» der EU-Kosmetikmittelverordnung erfolgten und die Vermarktung der Produkte mit den fraglichen, an Tieren getesteten Kosmetikbestandteilen in der EU somit zulässig sei.
Auslegung von Art. 18 Kosmetikmittelverordnung
Mit der Argumentation der EFfCI war der EuGH nur teilweise einverstanden. Nach dem Wortlaut ist die Wendung derart zu verstehen, dass es bei den Versuchen auf die Absicht ankommt, die Bestimmungen der Verordnung einzuhalten. Führt man Tierversuche durch, um die Rechtsvorschriften von Drittländern ausserhalb der EU zu erfüllen, würden die an Tieren getesteten kosmetischen Mittel nach einer solchen Auslegung nicht unter das Verbot von Art. 18 der Verordnung fallen.
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind bei der Auslegung von Unionsrecht aber auch der Zusammenhang und die Ziele der Regelung zu berücksichtigen. Ziel der Verordnung sei es einerseits einen Binnenmarkt für kosmetische Produkte, sowie ein hohes Gesundheitsschutzniveau für Menschen zu schaffen. Ausserdem soll dem Schutz der Tiere Rechnung getragen werden, indem die Verwendung tierversuchsfreier Alternativmethoden zur Gewährleistung der Sicherheit von Kosmetikprodukten gefördert wird. Der EuGH hielt fest, dass der Marktzugang an die Beachtung des Verbots von Tierversuchen knüpft.
Tierversuche dürfen nicht zum Beleg der Sicherheit eines Produkts erfolgen
Für jedes kosmetische Mittel muss eine Sicherheitsbewertung gemacht werden. In dieser muss unter anderem ersichtlich sein, ob in Drittländern ausserhalb der EU Versuche an Tieren durchgeführt wurden, um die Sicherheit der Kosmetika zu bestätigen. Dies führt aber nicht per se zum Verbot des Inverkehrbringens in die EU. Kann der Nachweis der Sicherheit auch ohne die Ergebnisse aus den Tierversuchen erbracht werden, so darf das Produkt in der EU vertrieben werden. Insofern ist der Umstand unerheblich, ob Tierversuche nötig waren, um ein kosmetisches Mittel in Ländern ausserhalb der EU zu vermarkten.
Ort des Tierversuchs ist unerheblich
Für die Beantwortung der Frage, ob ein Tierversuch «zur Einhaltung der Bestimmungen dieser Verordnung» durchgeführt wurde, spielt es keine Rolle, in welchem Land er stattgefunden hat. Die Verordnung will nach Ansicht des Gerichtshofs die Verwendung von tierversuchsfreien Alternativmethoden zur Gewährleistung der Sicherheit von Produkten im Kosmetiksektor aktiv fördern. Könnte man die Tierversuche zwecks Umgehung des Verbots in Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung einfach ins Ausland verlegen, so wäre dieses Ziel erheblich gefährdet.
Entscheid des Gerichtshofs
Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung verbietet das Inverkehrbringen von kosmetischen Mitteln auf dem Unionsmarkt, bei denen einige Bestandteile durch Tierversuche ausserhalb der Union bestimmt worden sind, um kosmetische Mittel in Drittländern vermarkten zu können, wenn die dabei gewonnenen Daten verwendet werden, um die Sicherheit dieser Mittel im Hinblick auf ihr Inverkehrbringen auf dem Unionsmarkt nachzuweisen. Dieses Vermarktungsverbot steht unter dem Vorbehalt, dass der Versuch nach Ablauf der in der Verordnung genannten Fristen für die stufenweise Einstellung der verschiedenen Versuche durchgeführt wurde.
Situation in der Schweiz
Die Kosmetikmittelverordnung der EU wurde bislang nicht umfassend in schweizerisches Recht überführt. Anlässlich der Revision 2012 wurden gewisse Anpassungen der schweizerischen Kosmetikverordnung an das EU-Recht vorgenommen (BR-News vom 29. August 2012). Art. 18 der EU-Kosmetikmittelverordnung über Tierversuche gehörte nicht zu diesen übernommenen Bestimmungen. Die schweizerische Kosmetikverordnung enthält damit keine mit dem EU-Recht vergleichbare Bestimmung für Tierversuche bei Kosmetika.
Dies bedeutet nicht, dass Tierversuche bei Kosmetika in der Schweiz jederzeit erlaubt sind. Tierversuche sind in Art. 17 ff. des schweizerischen Tierschutzgesetzes geregelt (Tierschutzgesetz vom 16. Dezember 2005). Erlaubt sind Tierversuche nur, wenn keine Alternativen zur Verfügung stehen. Zudem muss eine Bewilligung der zuständigen kantonalen Tierschutzkommission eingeholt werden. Nach Informationen des Bundesamtes für Veterinärwesen wurden in der Schweiz in den letzten Jahren praktisch keine Tierversuche für die Produktion von Kosmetika bewilligt (Schweizerischer Kosmetik- und Waschmittelverband vom 12. März 2013: Tierversuche – Situation in der Schweiz nach dem EU-Verbot).
Tierversuche bei Kosmetika sind damit in der Schweiz faktisch verboten. Im Gegensatz zur EU-Kosmetikmittelverordnung wirkt sich dieses Verbot jedoch nicht auf Tierversuche im Ausland aus. Kosmetika, die im Ausland an Tieren getestet wurden, dürfen in der Schweiz auf den Markt gebracht werden. Wie hoch der Anteil an im Ausland mit Tierversuchen getesteten Kosmetika auf dem schweizerischen Markt ist, kann kaum geschätzt werden. Zumindest ist nicht ausgeschlossen, dass gewisse Inhaltsstoffe von Kosmetika im Ausland mit Tierversuchen getestet wurden.
Für schweizerische Hersteller, die ihre Kosmetikprodukte in die EU exportieren, gilt Art. 18 der EU-Kosmetikmittelverordnung und damit auch der Entscheid des EuGH vollumfänglich.
Weitere Informationen:
- Pressemitteilung des EuGH vom 21. September 2016
- Urteil C-592/14 des EuGH vom 21. September 2016
- Verordnung Nr. 1223/2009
- BR-News vom 10. Juni 2013: Neue EU-Kosmetikmittelverordnung bringt Pflicht, eine verantwortliche Person innerhalb der EU zu bezeichnen
- BR-News vom 29. August 2012: Schweizerische Vorschriften für den Vertrieb von Kosmetikprodukten
- Tierschutzgesetz vom 16. Dezember 2005
- Schweizerischer Kosmetik- und Waschmittelverband vom 12. März 2013: Tierversuche – Situation in der Schweiz nach dem EU-Verbot