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In einem Urteil vom 9.2.2012 hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass die Verwertungsrechte an Filmen nach den EU-rechtlichen Vorgaben dem Hauptregisseur des Filmes zustehen. Eine gesetzliche Regelung im österreichischen Urheberrechtsgesetz, welche diese Verwertungsrechte ausschliesslich dem Produzenten zuweist, verstösst somit gegen das EU-Recht. Ein Blick auf die Rechtslage in der Schweiz zeigt, dass das Urheberrechtsgesetz (URG) keine vergleichbare Sonderregelung für Filme enthält. Neben weiteren möglichen Miturhebern erwirbt der Regisseur nach schweizerischem Recht grundsätzlich die Urheberrechte am Film, wobei die Verwertungsrechte vertraglich an den Produzenten abgetreten werden können.
Ausgangslage
Martin Luksan ist Drehbuchautor und Hauptregisseur eines Dokumentarfilms mit dem Titel „Fotos von der Front“. Im März 2008 schloss er mit Petrus van der Let, welcher den Film produzieren und auswerten soll, eine „Regie- und Autorenvereinbarung“ (Vertrag über die Produktion eines audiovisuellen Werkes). Dieser Vertrag sah vor, dass Luksan van der Let alle seine Urheber- und/oder verwandten Schutzrechte an diesem Film abtritt. Von der Abtretung ausdrücklich ausgenommen waren jedoch bestimmte Verwertungsarten, nämlich die öffentliche Zugänglichmachung in digitalen Netzen sowie die Ausstrahlung über Closed-circuit-TV und Pay-TV.
In der Folge machte der Produzent den Film im Internet zugänglich und vergab die Rechte dafür an Movieeurope.com. Der Film konnte so von dieser Internetseite als Video-on-Demand abgerufen werden. Der Produzent stellte ferner den Trailer des Films im Internet auf YouTube zur Verfügung und trat die Pay-TV-Rechte an Scandinavia TV ab. Der Regisseur erhob daraufhin Klage gegen den Produzenten, weil er in dieser Verwertung des Films eine Vertrags- und Urheberrechtsverletzung sah.
Der Produzent stützte sich im Verfahren vor dem Handelsgericht Wien auf § 38 Abs. 1 des österreichischen Urheberrechtsgesetzes (UrhG), wonach die Verwertungsrechte an gewerbsmässig hergestellten Filmen dem Produzenten zustehen. Seiner Ansicht nach standen ihm deshalb unabhängig von der vertraglichen Regelung sämtliche Verwertungsrechte zu. Das Handelsgericht Wien ersuchte schliesslich den EuGH um Klärung diverser Fragen zu den EU-rechtlichen Vorgaben, weil die österreichische Regelung möglicherweise mit diesen im Widerspruch steht.
Entscheid des EuGH
In seinem Urteil vom 9.2.2012 (Rs. C-277/10) zeigte der Gerichtshof zunächst die urheberrechtlichen Vorgaben des Unionsrechts auf, welche für die Frage, wem die Verwertungsrechte an Filmwerken originär, d.h. unabhängig von einer fraglichen Abtretung, zustehen, relevant sind. Die verschiedenen Verwertungsrechte an Filmwerken sind dabei in mehreren Richtlinien geregelt. Massgebend sind:
- in Bezug auf das Recht zur Ausstrahlung über Satellit: die Richtlinie 93/83/EWG (insb. Art. 1 Abs. 5 und Art. 2),
- für das Vermiet- und Verleihrecht: die Richtlinie 2006/115/EG (insb. Art. 2 Abs. 2 und Art. 3) und
- für die Rechte zur Vervielfältigung und zur öffentlichen Zugänglichmachung: die sog. Informations-Richtlinie (2001/29/EG) (insb. Art. 2 und 3).
Nach einer Analyse dieser Vorschriften gelangt der EuGH zum Ergebnis, dass alle aufgeführten Verwertungsrechte „kraft Gesetzes unmittelbar und originär“ dem Hauptregisseur des Filmwerks als dessen Urheber oder einer seiner Urheber zustehen. Eine nationale Regelung, welche die genannten Verwertungsrechte kraft Gesetzes ausschliesslich dem Produzenten zuweist, verstösst somit gegen das EU-Recht. Daran ändert gemäss dem Gerichtshof auch der für die EU-Mitgliedsstaaten massgebliche Art. 14bis Abs. 2 lit. b der Berner Übereinkunft nichts. Dieser würde es den nationalen Gesetzgebern zwar erlauben, dem Hauptregisseur gewisse Verwertungsrechte abzusprechen bzw. allein dem Produzenten zuzuweisen. Weil diese völkerrechtliche Vorschrift den Erlass einer solchen Regelung, die gegen das EU-Recht verstösst, lediglich erlaube, nicht aber dazu verpflichte, müssten die Mitgliedsstaaten auf die Ausnutzung dieser Erlaubnis verzichten.
Anschliessend wies der EuGH darauf hin, dass die nationalen Gesetze gemäss der Richtlinie 2006/115/EG eine Vermutung vorsehen können, wonach der Urheber (Hauptregisseur) dem Produzenten sein Vermietrecht abgetreten hat, sofern in dem jeweiligen Vertrag nichts anderes vorgesehen ist. Dem Hauptregisseur, welchem das Vermiet- und Verleihrecht originär zusteht, werde damit die Möglichkeit geschaffen, eine abweichende vertragliche Regelung zu treffen. Da das mit dieser Regelung verfolgte Ziel (Ermöglichung der Amortisation der Investitionen) auch nach den anderen Richtlinien massgebend sei, können die nationalen Gesetze auch für die übrigen Verwertungsrechte eine entsprechende Vermutung vorsehen. Dem Hauptregisseur müsse es jedoch stets möglich sein, eine anderslautende vertragliche Regelung zu treffen.
Abschliessend setzte sich der Gerichtshof mit Fragen rund um die für die Privatkopie-Ausnahme geschuldeten Zahlungen auseinander. Der Gerichtshof betont dabei zunächst, dass das Vervielfältigungsrecht an einem Filmwerk dem Hauptregisseur als Urheber zusteht und in Bezug auf das Original und deren Kopien das gleiche Recht auch dem Produzenten als Hersteller der erstmaligen Aufzeichnungen von Filmen zukommt. Da diese Rechte durch die Privatkopie-Ausnahme eingeschränkt werden, haben die Rechtsinhaber Anspruch auf Zahlung eines gerechten Ausgleichs. Da der Hauptregisseur einer dieser Rechtsinhaber ist, müsse er folglich als „kraft Gesetzes unmittelbarer und originärer“ Anspruchsberechtigter der Ausgleichszahlungen angesehen werden. Darüber hinaus entschied der EuGH, dass der Hauptregisseur auf diesen Anspruch nicht (vertraglich) verzichten kann. Gleichermassen sei auch eine nationale Regelung unzulässig, wonach vermutet wird, dass der Hauptregisseur die Ansprüche an den Produzenten überträgt.
Blick auf die Rechtslage in der Schweiz
Anders als in Österreich oder in Deutschland (vgl. § 88 ff. UrhG) besteht in der Schweiz keine besondere Regelung für die Rechte an Filmwerken. Die Frage, wem die Rechte an einem Film zustehen, bestimmt sich somit ausschliesslich nach dem sog. Schöpferprinzip. Urheber ist demnach diejenige (natürliche) Person, welche den Film – als geistige Schöpfung mit individuellem Charakter (vgl. Art. 2 URG)– geschaffen hat (vgl. Art. 6 URG). Der Schöpfer erwirbt die Urheberrechte originär, d.h. unabhängig von einer vertraglichen Abtretung, sobald der Film als Werk im Sinne von Art. 2 URG angesehen werden kann. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn ein Film im Rahmen eines vertraglichen Verhältnisses erstellt wird. Jedoch kann der Schöpfer die Verwertungsrechte vertraglich abtreten (vgl. Art. 16 Abs. 1 URG).
Bei Filmen handelt es sich in der Regel um Kollektivwerke, sodass grundsätzlich mehrere Miturheber bestehen können. Miturheber ist jedoch nur, wer tatsächlich die endgültige Gestaltung des Werks oder seine Verwirklichung mitbestimmt und sein Beitrag die notwendige Individualität aufweist (vgl. Art. 7 URG; ferner BR-News vom 9.10.2010). Dies ist beim Hauptregisseur regelmässig der Fall. Da die Urheberrechte somit ursprünglich dem Regisseur und allenfalls weiteren Beteiligten zustehen, ist der Produzent mangels gesetzlicher Vermutung darauf angewiesen, dass ihm die erforderlichen Verwertungsrechte im notwendigen Umfang vertraglich übertragen werden. Werden dabei ausdrücklich nur einzelne Verwertungsrechte abgetreten, gelten die übrigen Teilrechte grundsätzlich als nicht übertragen (vgl. Art. 16 Abs. 2 URG). Vor diesem Hintergrund ist bei der Formulierung der Vertragsbestimmungen jeweils ein besonderes Augenmerk auf die einzelnen abgetretenen Verwertungsrechte zu richten.
Weitere Informationen:
- Urteil des EuGH vom 9.2.2012 (Rs. C-277/10)
- BR-News: „Bundesgericht: Urteil zur Miturheberschaft bei der Schaffung eines Werks“
- BR-News: „Urheberrechtsverletzungen im Internet: Bundesrat sieht keinen gesetzgeberischen Handlungsbedarf“
Ansprechpartner: Lukas Bühlmann