Umbrella Pricing

EuGH zum „Umbrella Pricing“ – Haftung der Kartellanten für die vom Kartell beeinflussten höheren Preise eines Kartellaussenseiters


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In einem Grundsatzentscheid hat sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) kürzlich mit der Haftung von Kartellbeteiligten für das sog. „Umbrella Pricing“ auseinandergesetzt. Beim „Umbrella Pricing“ geht es im Wesentlichen um Folgendes: auf einem bestimmten Markt werden die Preise aufgrund eines Kartells (künstlich) erhöht und ein Kartellaussenseiter passt seine Preise in der Folge an dieses (verfälschte) Preisniveau an. Im Urteil des EuGH war daher die kontroverse Frage zu beantworten, ob die Kartellanten für den Schaden haftbar gemacht werden können, der einem Kunden des Kartellaussenseiters durch dessen überhöhte Preise entstanden ist. Der Gerichtshof hat dies im Grundsatz bejaht und festgehalten, dass die nationalen Rechtsvorschriften eine solche Schadenersatzforderung jedenfalls nicht kategorisch ausschliessen dürfen.

„Liftkartell“ und „Umbrella Pricing“ in Österreich

Ausgangspunkt des Verfahrens vor dem EuGH war eine Klage der ÖBB-Infrastruktur AG, einer Tochtergesellschaft der Österreichischen Bundesbahnen. Die Klage richtete sich gegen die am sog. „Liftkartell“ beteiligten Unternehmen Kone, Otis, Schindler und ThyssenKrupp. Diese hatten seit den 80er Jahren den Aufzugs- und Fahrtreppenmarkt durch eine Vereinbarung unter sich aufgeteilt. Im Jahr 2007 wurden sie deshalb von der EU-Kommission mit einer Geldbusse von insgesamt 992 Mio. Euro bestraft. Im gleichen Jahr wurden auch in Österreich Geldbussen für die kartellrechtswidrigen Absprachen verhängt.

Mit ihrer Klage fordert die ÖBB den Ersatz des Schadens, der ihr durch das Kartell entstanden ist. Die Besonderheit dieses Rechtsstreits liegt darin, dass die ÖBB nicht bei den Kartellanten Aufzüge und Fahrtreppen gekauft hat, sondern bei Unternehmen, die nicht am Kartell beteiligt waren. Die ÖBB beruft sich dabei auf das „Umbrella Pricing“ (auch „umbrella effects“ oder Preisschirmeffekte) und macht geltend, dass sie infolge des Kartells zu hohe Preise bezahlt hat, weil die Verkäufer im Windschatten des Kartells ihre Preise dem erhöhten Niveau angepasst hätten.

Nachdem die Klage zunächst vom Erstgericht abgewiesen und vom Gericht zweiter Instanz gutgeheissen wurde, landete der Rechtsstreit vor dem Obersten Gerichtshof (Österreich). Dieser analysierte in einem ersten Schritt die Voraussetzungen für eine Schadenersatzforderung nach österreichischem Recht. Erforderlich ist danach insbesondere, wie auch in den meisten anderen europäischen Rechtsordnungen, dass der Schaden rechtswidrig verursacht wurde und zwischen dem Schaden und dem rechtswidrigen Verhalten ein adäquater Kausalzusammenhang besteht. Der Oberste Gerichtshof gelangte zum Schluss, dass es beim „umbrella Pricing“ regelmässig an diesen Voraussetzungen fehle. Insbesondere sei der erforderliche Kausalzusammenhang nicht gegeben, weil der Schaden des Kunden eines Kartellaussenseiters, der sich den Preisschirmeffekt zunutze mache, auf eine selbständige, aus eigenen unternehmerischen Erwägungen motivierte Entscheidung des Kartellaussenseiters zurückzuführen sei und den Kartellanten insoweit nicht zugerechnet werden könne.

Nach österreichischem Recht wären daher entsprechende Schadenersatzforderungen von vornherein ausgeschlossen. Da der Oberste Gerichtshof bezweifelte, dass dieses Ergebnis mit den Vorgaben des EU-Rechts vereinbar ist, bat er schliesslich den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Klärung der Rechtslage.

EuGH: nationale Vorschriften dürfen Wirksamkeit des EU-Kartellrechts nicht beeinträchtigen

In seinem Urteil vom 5. Juni 2014(C-557/12) beruft sich der EuGH einleitend auf den in seiner Rechtsprechung entwickelten „Effektivitätsgrundsatz“. Danach ist es zwar grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen für Schadenersatzforderungen wegen Kartellrechtsverletzungen festzulegen. Allerdings darf dadurch die wirksame Anwendung des im EU-Kartellrecht festgehaltenen Kartellverbots (Art. 101 AEUV) nicht beeinträchtigt werden.

EuGH: kategorischer Ausschluss von Schadenersatz für Umbrella Pricing ist unzulässig

In Bezug auf das Umbrella Pricing betont der Gerichtshof sodann, dass die Entscheidung eines Kartellaussenseiters zur Erhöhung seines Preises zwar womöglich als völlig autonom anzusehen sei. Allerdings könne diese Preisfestlegung unter Bezugnahme auf den Marktpreis getroffen werden, der durch das Kartell verfälscht worden sei und damit wettbewerbswidrig war. Folglich gehöre in diesen Fällen die Schädigung des Kunden eines Kartellaussenseiters zu den möglichen Folgen des Kartells, die den Kartellbeteiligten nicht verborgen bleiben könne. Sofern Schadenersatzforderungen solcher Kunden jedoch kategorisch und unabhängig von den speziellen Umständen des konkreten Falls aufgrund des fehlenden Kausalzusammenhangs ausgeschlossen seien, werde die volle Wirksamkeit des EU-Kartellverbots in Frage gestellt. Denn könnten nur Personen Schadenersatz verlangen, die eine vertragliche Beziehung zu den Kartellbeteiligten hatten, wäre die Durchsetzungskraft der EU-Wettbewerbsregeln nach Ansicht des EuGH vermindert.

Ein durch das „Umbrella Pricing“ Geschädigter kann daher laut dem Urteil grundsätzlich Ersatz des ihm durch die Mitglieder des Kartells entstandenen Schadens verlangen. Gemäss EuGH muss hierfür jedoch erwiesen sein, dass

  • das jeweilige Kartell nach den Umständen des konkreten Falls und den Besonderheiten des betreffenden Marktes ein „Umbrella Pricing“ durch eigenständig handelnde Dritte zur Folge haben konnte und
  • diese Umstände und Besonderheiten den Kartellbeteiligten nicht verborgen bleiben konnten.

Die Beurteilung, ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind, muss nun der Oberste Gerichtshof vornehmen.

Anmerkungen

Mit seinem Urteil hat der EuGH die Position der durch ein Kartell geschädigten Personen zwar grundsätzlich gestärkt: Die EU-Mitgliedstaaten dürfen die Forderungen von Kunden eines Kartellaussenseiters im Falle des „Umbrella Pricing“ nicht mehr von Vornherein ausschliessen. Allerdings wird die Geltendmachung der Forderungen nach wie vor erhebliche Beweisschwierigkeiten bereiten. Die vom EuGH aufgestellten – jedoch nicht näher erläuterten – Voraussetzungen führen ferner zu zusätzlichen Unklarheiten.

Hinzuweisen ist an dieser Stelle schliesslich auf den vom EU-Parlament kürzlich angenommenen Richtlinienvorschlag, mit welchem die Durchsetzung von Schadenersatzforderungen für Kartellrechtsverletzungen allgemein erleichtert werden soll. Mit der Richtlinie soll insbesondere die Möglichkeit der Kläger zur Einsichtnahme in Akten zu Verfahren der Wettbewerbsbehörden verbessert werden. Der Vorschlag muss in einem letzten Schritt noch vom EU-Rat abgesegnet werden.

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Lukas Bühlmann


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