Facebook und die Öffentlichkeit – Zürcher Obergericht verurteilt User wegen versuchter Schreckung der Bevölkerung


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Wie bereits aus Medienberichten von vergangenem November hervorging, hat das Obergericht Zürich einen ehemaligen Gymnasiasten wegen versuchter Schreckung der Bevölkerung zu einer Geldstrafe verurteilt. Dieser hatte auf seiner Facebook-Pinnwand seinem Ärger über ausgebliebene Geburtstagsglückwünsche Luft gemacht und allen säumigen Gratulanten mit Vernichtung gedroht. In der kürzlich veröffentlichten Entscheidbegründung mussten sich die Oberrichter unter anderem mit der Frage auseinandersetzen, ob ein Post auf einem Facebook-Profil mit 290 Freunden als öffentliche oder eben private Äusserung zu verstehen ist. Die gerichtliche Interpretation der „Öffentlichkeit“ im strafrechtlichen Sinn dürfte auch für die Beurteilung anderer Straftaten relevant sein und insgesamt als Richtschnur für die Würdigung von Äusserungen in sozialen Medien dienen.

Näheres zum Sachverhalt

Mit Urteil vom 25. Oktober 2013 (SB130371-O) bestätigte das Obergericht Zürich die Verurteilung eines Facebook-Users wegen versuchter Schreckung der Bevölkerung und bestrafte ihn mit einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je 10 Franken. Gegenstand des Verfahrens bildete folgender Post auf dem Facebook-Profil eines ehemaligen Gymnasiasten:

„FREUT SICH HÜT NIEMERT, DASS ICH GEBORE WORDE BIN..ICH SCHWÖR, ICH ZAHLS EU ALLNE ZRUG!!! ES ISCH NÖD E FRAG VO DE HÖFLICHKEIT, SONDERN VOM RESPEKT UND EHRE. ICH VERNICHTE EUI ALLI, IHR WERDET ES BEREUE, DASS IHR MIR NÖD IM ARSCH KROCHE SIND, DENN JETZT CHAN EU NIEMERT ME SCHÜTZE… POW!!!!POW!!!!POW!!!!“

Ein Lehrer, der von einer Facebook-Freundin des Beschuldigten über den Post informiert worden war, schaltete daraufhin die Polizei ein, worauf der Urheber in Untersuchungshaft versetzt sowie psychiatrisch begutachtet wurde.

Wie bereits die Vorinstanz hielt auch das Obergericht fest, dass die Androhung der „Vernichtung“ geeignet war, die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen. Diese Androhung stelle den schwerstmöglichen Nachteil für Leib und Leben dar und sei daher ausreichend schwerwiegend. Die Ausdrücke „POW, POW, POW“, welche nach eigenen Aussagen des Beschuldigten Schüsse darstellen sollten, verliehen der Äusserung nach Ansicht der Gerichte eine noch beängstigendere Komponente.

Der Beschuldigte brachte vor, dass der Facebook-Post als Witz gemeint gewesen sei. Er sei frustriert und enttäuscht gewesen über die geringe Resonanz auf seinen Geburtstag. Um Aufmerksamkeit zu erreichen, habe er mittels Übertreibungen und Zynismus den Eintrag verfasst. Das Obergericht überzeugte diese Argumentation allerdings nicht. Objektive Anhaltspunkte dafür, dass die Leser die Äusserung nur als Spass zu verstehen hätten, fänden sich weder im Text selbst noch zwischen den Zeilen. Ferner gingen die Oberrichter davon aus, dass der Beschuldigte die Schreckwirkung des Eintrags auch in Kauf nahm. Er habe den Eintrag verfasst, um Aufmerksamkeit zu erhalten. Zudem hätte er vor dem Hintergrund der allgemein bekannten Amokläufe in Schulen und im Ausland bei bestem Willen nicht darauf vertrauen können, dass sich die Mitschüler, die Lehrer und die Eltern von Mitschülern aufgrund des Eintrags nicht massiv fürchten würden. Da letztlich aber keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorhanden waren, dass der Facebook-Post eine grössere Anzahl von Personen tatsächlich in Angst und Schrecken versetzt hatte, wurde der Beschuldigte „nur“ für versuchte Schreckung der Bevölkerung verurteilt.

Von besonderem Interesse für die Beurteilung von Äusserungen im Online-Kontext sind die Ausführungen des Obergerichts zur Frage, ob der Facebook-Post als öffentlich zu qualifizieren ist oder nicht.

Öffentlichkeitsbegriff im Strafrecht und Interpretation im Fall von Facebook-Posts

Der Tatbestand der Schreckung der Bevölkerung (Art. 258 StGB) setzt unter anderem voraus, dass die Androhung einer Gefahr an die Bevölkerung gerichtet ist. Hierfür muss die Androhung grundsätzlich öffentlich sein. Wie beispielsweise auch beim Tatbestand der Rassendiskriminierung (Art. 261bis StGB) sind also nur solche Äusserungen strafbar, die öffentlich erfolgt sind.

Von der Verteidigung wurde im vorliegenden Fall beanstandet, dass der Post des Beschuldigten nicht als öffentlich gelten könne, sei der Beitrag doch nur dem Freundeskreis des Beschuldigten zugänglich und damit nicht von der Öffentlichkeit wahrnehmbar gewesen. Das Obergericht musste sich daher mit der Frage auseinandersetzen, ob die Profilseite eines Facebook-Users öffentlich oder eben wie vom Beschuldigten vorgebracht privat ist.

Gemäss aktueller Rechtsprechung des Bundesgerichts gilt jede Äusserung als öffentlich, die nicht im privaten Rahmen erfolgt. Als privat werden dabei insbesondere Äusserungen angesehen, die im Familien- und Freundeskreis oder einem anderen durch persönliche Beziehungen oder besonderes Vertrauen geprägten Umfeld erfolgen (BGE 130 IV 111). In früheren Entscheidungen ging das Bundesgericht noch von einem engeren strafrechtlichen Öffentlichkeitsbegriff aus. Dabei war insbesondere auch die Zahl der Adressaten ausschlaggebend. So galt als öffentlich, was sich an einen unbestimmten, grösseren Personenkreis richtete (BGE 123 IV 202). Ob eine Handlung im privaten Kreis erfolgt oder eben öffentlich ist, muss jedoch neu anhand der gesamten Umstände und unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der jeweiligen Strafbestimmung beurteilt werden. Dabei kann die Zahl der adressierten Personen zwar noch immer eine Rolle spielen. Je enger die Betroffenen aber untereinander verbunden sind, desto eher ist auch beim Vorliegen einer grösseren Anzahl von betroffenen Personen noch von einem privaten Rahmen auszugehen (BGE 130 IV 111). Entscheidend ist aber jedenfalls stets das Verhältnis, welches unter allen Betroffenen herrscht und nicht bloss jenes zwischen dem Urheber der Äusserung und den jeweiligen Adressaten.

Im vorliegenden Fall stand fest, dass die 290 „Facebook-Freunde“ vom Post des Beschuldigten hatten Kenntnis nehmen können und diese untereinander kaum persönliche Beziehungen pflegten. Da das Obergericht im Wesentlichen der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichts folgte, hatte das von der Verteidigung vorgebrachte Argument der fehlenden Öffentlichkeit von vornherein einen schweren Stand. Die blosse Tatsache, dass die Leser und der Beschuldigte den Status als Facebook-Freunde innehatten, begründete nach Ansicht des Obergerichts keine Privatheit. Massgebend war vielmehr, dass unter den Betroffenen selbst nur lockere und teilweise sogar keine persönlichen Beziehungen bestanden. Mit zunehmender Anzahl von Adressaten schwänden laut Urteil nämlich die für die Privatheit begriffsnotwendigen persönlichen Beziehungen. Die Öffentlichkeit des Posts ergibt sich gemäss der Entscheidbegründung des Gerichts zusätzlich aus der Tatsache, dass der Beschuldigte nicht habe kontrollieren können, ob sich sein Eintrag durch Betätigung des Like-Buttons weiterverbreitete.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Facebook-Freundeskreis im Sinne des obergerichtlichen Urteils wohl nur in seltenen Fällen als privat erachtet werden kann. Ob zwischen dem Urheber einer Äusserung und seinen jeweiligen Facebook-Freunden tatsächlich eine solch persönliche Beziehung besteht, die auf eine private Äusserung hindeuten würde, ist indes nur von untergeordneter Bedeutung. Denn eine entsprechende Beziehung müsste auch unter den jeweiligen Adressaten bestehen. Erst wenn auch diese untereinander verbunden sind, führt dies wohl zu einem mit der Realität vergleichbaren Freundeskreis und damit zum Ausschluss der Strafbarkeit.

Weiterzug ans Bundesgericht und offene Fragen

Gemäss diversen Medienberichten will der Verurteilte den Schuldspruch nicht akzeptieren und zieht das Urteil ans Bundesgericht weiter. Daher ist zu erwarten, dass sich das höchste Schweizer Gericht ebenfalls mit dem strafrechtlichen Öffentlichkeitsbegriff im Rahmen von sozialen Netzwerken auseinandersetzen muss. Das zu erwartende Urteil könnte damit von wegweisender Bedeutung für den strafrechtlichen Umgang mit sozialen Medien sein.

Die Tendenz der Rechtsprechung geht in der Schweiz wie international dahin, Social-Media-Plattformen wie Facebook oder Twitter per se als öffentlich zu betrachten. Offen bleibt dabei, ob dies deren vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten gerecht wird. Klar scheint, dass es immer auf die Besonderheiten des Einzelfalls ankommen muss. Noch offen ist beispielsweise die Frage, wie es sich mit der Öffentlichkeit einer Facebook-Gruppe verhält. In konsequenter Anwendung der aktuellen Bundesgerichtsrechtsprechung muss wohl davon ausgegangen werden, dass auch eine Fangruppe, der regelmässig unzählige untereinander nicht freundschaftlich verbundene Personen angehören, als öffentlich gilt. Anders wäre die Situation wahrscheinlich zu beurteilen, wenn die Mitglieder der Facebook-Gruppe auch im realen Leben untereinander persönlich verbunden sind. Allein der Umstand, dass eine entsprechende Gruppe geheim ist und deren Mitglieder vorgängig von einem Administrator zugelassen worden sein müssen, wird hingegen wohl allein keine Privatheit begründen können. Denn in einem vergleichbaren Fall aus dem Offline-Kontext hat das Bundesgericht entschieden, dass eine Einlasskontrolle in Verbindung mit einer beschränkten Zugangsberechtigung keinen Einfluss auf den öffentlichen Charakter einer Versammlung hat.

Von einer gewissen Aktualität dürfte die Thematik rund um die Frage der Öffentlichkeit von sozialen Netzwerken auch im Bereich des Strassenverkehrsrechts sein. Der im Zuge des Verkehrssicherheitspakets Via sicura neu eingeführte Art. 98a SVG stellt nämlich insbesondere das öffentliche Warnen vor Verkehrskontrollen unter Strafe. Entsprechende Warn-Posts auf der eigenen Pinnwand dürften in konsequenter Anwendung der obergerichtlichen Rechtsprechung folglich in der Regel strafrechtlich relevant sein. Entsprechendes gilt auch, wenn in eigens zu diesem Zweck erstellten Foren oder Facebook-Gruppen gewarnt wird. Hier liegt der öffentliche Charakter aufgrund der mit solchen Foren verfolgten Zielen geradezu auf der Hand.

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Lukas Bühlmann


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