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In der EU sind verschiedene Gesetzgebungsarbeiten zur Beschränkung von Geoblocking-Massnahmen im Gang. Nachdem der im vergangenen Mai vorgestellte Entwurf drastische Vorgaben enthielt, die bis hin zu einer europaweiten Lieferpflicht hätten führen können, kann aufgrund des Entwurfs des EU-Rats zumindest teilweise Entwarnung gegeben werden. Auf eine entsprechende Pflicht wird darin ausdrücklich verzichtet. Online-Anbietern soll es zudem auch künftig noch möglich sein, unterschiedliche Geschäftsbedingungen, inkl. Preise, für bestimmte Mitgliedstaaten vorzusehen, namentlich in Form von Länder-Shops. Allerdings darf den Kunden aus anderen Mitgliedstaaten der Zugang zu diesen Shops grundsätzlich nicht gesperrt werden. Zudem müssen die Kunden – was im Einzelnen unklar bleibt – gleichwohl ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit und ihres Wohnsitzes in nicht-diskriminierender Weise behandelt werden, wenn ein Kunde diese Angebote und Bedingungen nutzen möchte. Darüber hinaus hat die EU-Kommission ihre Absicht verdeutlicht, auch gegen abgesprochene Praktiken zur Behinderung des grenzüberschreitenden elektronischen Handels vorzugehen. Im Februar hat sie drei kartellrechtliche Untersuchungen gegen Anbieter im Bereich der Unterhaltungselektronik, Videospiele und Hotelübernachtungen eröffnet.
Geoblocking als Hindernis für den digitalen Binnenmarkt
Die EU-Kommission hat es sich im Rahmen ihrer Strategie für den digitalen Binnenmarkt zum Ziel gesetzt, Geoblocking-Massnahmen zu unterbinden (vgl. dazu bereits BR-News vom 16.6.2016). Im Visier hat sie dabei primär Praktiken von Online-Anbietern, die dazu führen, dass Nutzer aus anderen Mitgliedstaaten keinen Zugang zu ihren Websites erhalten. Vielfach stellen entsprechende Massnahmen auf die IP-Adresse von Nutzern ab, aus welcher der Aufenthaltsort abgeleitet werden kann. Darüber hinaus stört sich die EU-Kommission aber auch an Situationen, in denen der Kunde aus dem Ausland zwar Zugang zu einer Website erhält, die gewünschte Ware oder Dienstleistung aber nicht bestellen oder nur mit einer Debit- oder Kreditkarte aus einem bestimmten Land bezahlen kann.
Zu diesem Zweck wurde im vergangenen Jahr ein erster Verordnungsentwurf vorgestellt, der (viel zu) weitgehende Verbote beinhaltete und in der Folge (zu Recht) stark kritisiert wurde. Im aktuellen Entwurf des EU-Rats wird der Kritik nun zumindest teilweise Rechnung getragen. Bereits im Dezember 2015 wurde zudem eine Sonderregelung für die Bereitstellung von Online-Inhaltediensten (Stichwort: «Portabilität von Online-Inhalten») entworfen, welche nun kurz vor der Verabschiedung steht (vgl. dazu BR-News vom 29.3.2017). Auch deshalb sind insbesondere audiovisuelle Dienstleistungen von der hier beschriebenen Verordnung von vornherein ausgenommen.
Zugang zu Websites («Online-Schnittstellen»)
Ein zentraler Regelungsbereich des Entwurfs betrifft die Abrufbarkeit von Angeboten bzw. Websites an sich. Die Verordnung spricht dabei vom «Zugang zu Online-Schnittstellen». Diesbezüglich wurde die von der EU-Kommission vorgeschlagene Regelung im Wesentlichen beibehalten. So gilt auch nach der Fassung des EU-Rats der Grundsatz, dass Kunden der Zugang aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit oder ihres Wohnsitzes nicht gesperrt oder beschränkt werden darf. Für eine automatische Weiterleitung auf einen anderen Länder-Shop gestützt auf die IP-Adresse des Nutzers ist daher weiterhin eine ausdrückliche Einwilligung erforderlich. Darüber hinaus muss die Version der Website, auf die der Nutzer zuerst zugreifen wollte, auch bei Vorliegen einer Einwilligung weiterhin leicht zugänglich sein.
Die Ausnahme zu diesem Grundsatz ist sodann relativ eng gefasst. So gilt das Verbot nicht, wenn die Sperrung, Beschränkung oder Weiterleitung erforderlich ist, um die Erfüllung von EU- oder nationalen Vorschriften zu gewährleisten. Konkret wird also etwa dann auf die Ausnahme zurückgegriffen werden können, wenn die Darstellung bestimmter Inhalte nach den Vorschriften einzelner Mitgliedstaaten verboten ist.
Diskriminierungsverbot beim Erwerb von Produkten
Einen noch weitergehenden Eingriff in die unternehmerische Freiheit der Anbieter stellt jedoch das Diskriminierungsverbot beim Erwerb von Produkten dar. Während der Entwurf der EU-Kommission zumindest implizit zu einer europaweiten Lieferpflicht hätte führen können, hat der EU-Rat eine derart weitgehende Vorgabe ausdrücklich abgelehnt. Gleichwohl gilt in den folgenden drei Fällen weiterhin der Grundsatz, dass eine unterschiedliche Behandlung bei den Geschäftsbedingungen (inkl. Preis) aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes verboten ist:
- Der Anbieter verkauft Waren, die in einen Mitgliedstaat geliefert werden, für den der Anbieter die Lieferung anbietet, oder die an einem mit dem Kunden vereinbarten Ort abgeholt werden;
- Der Anbieter stellt elektronisch erbrachte Dienstleistungen bereit, beispielsweise Cloud-Dienste, Data-Warehousing, Webhosting oder die Bereitstellung von Firewalls. Ausgenommen hiervon sind Dienstleistungen, deren Hauptmerkmal die Bereitstellung des Zugangs urheberrechtlich geschützten Werken oder sonstigen Schutzgegenständen und deren Nutzung oder der Verkauf von urheberrechtlich geschützten Werken in unkörperlicher Form, wie E-Books oder online angebotene Musik, ist;
- Der Anbieter stellt Dienstleistungen bereit, die der Kunde in dem Land in Anspruch nimmt, in dem der Anbieter tätig ist, beispielsweise Hotelunterbringung, Sportveranstaltungen, Autovermietung sowie Eintrittskarten für Musikfestivals oder Freizeitparks.
Gemäss Pressemitteilung wird sodann betont, dass Preisdifferenzierung, anders als Preisdiskriminierung nicht verboten sein soll. Anbietern soll es demnach freistehen, unterschiedliche AGB für den Zugang, einschliesslich Preisen, anzubieten und bestimmte Kundengruppen in bestimmten Hoheitsgebieten gezielt anzusprechen. In den Erwägungsgründen zum Verordnungsentwurf lautet dies dann Folgendermassen:
- «Das […] Verbot der Diskriminierung von Kunden sollte nicht dahin gehend ausgelegt werden, dass es den Anbietern untersagt ist, Waren oder Dienstleistungen mit gezielten Angeboten und unterschiedlichen Geschäftsbedingungen in verschiedenen Mitgliedstaaten oder für bestimmte Kundengruppen anzubieten, was auch durch die Einrichtung länderspezifischer Online-Schnittstellen erfolgen kann, sofern die Anbieter ihre Kunden ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, ihres Wohnsitzes oder ihres Ortes der Niederlassung in nichtdiskriminierender Weise behandeln, wenn ein Kunde diese Angebote und Geschäftsbedingungen nutzen möchte.
- Das Verbot sollte auch nicht so verstanden werden, dass es Anbietern untersagt ist, in nichtdiskriminierender Weise unterschiedliche Bedingungen, einschließlich unterschiedlicher Preise, an verschiedenen Verkaufsstellen wie Ladengeschäften oder Webseiten anzubieten oder bestimmte Angebote nur für ein bestimmtes Gebiet in einem Mitgliedstaat verfügbar zu machen.«
Grundsätzlich soll es also erlaubt sein, für die verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Geschäftsbedingungen und Preise vorzusehen. Wenn nun aber festgehalten wird, dass bei der Differenzierung nicht auf die Staatsangehörigkeit oder den Wohnsitz abgestellt werden darf, stellt sich die Frage, welche Unterschiede zwischen den Kunden aus verschiedenen Mitgliedstaaten letztlich konkret noch erlaubt sein sollen. Da der Verordnungsentwurf zudem das Diskriminierungsverbot in Artikel 20 Absatz 2 der Dienstleistungsrichtlinie (2006/123/EG) konkretisieren soll, erscheint es ferner ausgeschlossen, dass eine Rechtfertigung von Unterscheidungen durch «objektive Gründe» möglich wäre.
In diesem Zusammenhang sieht der Entwurf jedenfalls zumindest eine Ausnahme vom Diskriminierungsverbot vor, wenn es dem Anbieter durch eine ausdrückliche Vorschrift des nationalen oder des EU-Rechts verboten ist, Produkte an bestimmte Kunden oder in bestimmten Mitgliedsstaaten anzubieten. Ferner gilt das Verbot beim Verkauf von Büchern nicht, wenn eine nationale Buchpreisbindung die Anwendung unterschiedlicher Preise vorschreibt.
Diskriminierungsverbot bei der Zahlung
Der dritte zentrale Regelungsbereich der vorgeschlagenen Verordnung betrifft sodann die Diskriminierung im Zusammenhang mit der Zahlung. Den Anbietern ist es danach grundsätzlich verboten aufgrund der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes des Kunden, des Standorts des Zahlungskontos, des Ortes der Niederlassung des Zahlungsdienstleisters oder des Ausstellungsorts des Zahlungsinstruments innerhalb der EU unterschiedliche Bedingungen für Zahlungsvorgänge anzuwenden, sofern folgende Bedingungen erfüllt sind:
- die Identität des Zahlers oder die Gültigkeit der Verwendung des Zahlungsinstruments ist durch starke Kundenauthentifizierung gemäss der Zahlungsdiensterichtlinie (2015/2366; PSD 2) verifizierbar und
- die Zahlungsvorgänge erfolgen in einer Währung, die der Anbieter akzeptiert.
Verdeutlicht wird im Entwurf des EU-Rats jedoch, dass dieses Verbot nur im Rahmen der vom Anbieter akzeptierten Zahlungsmittel («d.h. Überweisung, Lastschrift oder ein kartengebundenes Zahlungsinstrument einer bestimmten Zahlungsmarke und -kategorie«) gilt. Im Einzelnen bedeutet dies Folgendes:
- Einzelhändler, die ein kartengebundenes Zahlungsinstrument einer bestimmten Marke und Kategorie akzeptieren, sollen nicht verpflichtet sein, kartengebundene Zahlungsinstrumente derselben Kategorie, aber einer anderen Marke zu akzeptieren.
- Ebenso sind Einzelhändler, die eine Debitkarte einer bestimmten Marke akzeptieren, nicht verpflichtet, Kreditkarten dieser Marke zu akzeptieren, oder, wenn sie Verbraucher-Kreditkarten einer bestimmten Marke akzeptieren, auch Firmenkarten dieser Marke zu akzeptieren.
- Ein Anbieter, der Überweisungen oder Lastschriften akzeptiert, ist ferner nicht verpflichtet, die Zahlung zu akzeptieren, wenn er dafür einen neuen oder geänderten Vertrag mit einem Zahlungsdienstleister schliessen muss.
Im Hinblick auf das Risiko von Betrugsfällen gehen die Entwürfe vom Grundsatz aus, dass dieses bei innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Einkäufen durch die Sicherheitsanforderungen in der Zahlungsdiensterichtlinie (2015/2366) auf das gleiche Niveau gebracht worden sei (vgl. dazu allgemein auch BR-News vom 28.11.2016). Daher könne das Betrugsrisiko die Verweigerung oder Diskriminierung von Handelsgeschäften innerhalb der Union grundsätzlich nicht rechtfertigen. Im Entwurf des EU-Rats wird nun aber klargestellt, dass es Anbietern bei Fehlen anderer Möglichkeiten zur Verringerung des Risikos der Zahlungsunfähigkeit, insb. bei Schwierigkeiten bei der Bonitätsprüfung, erlaubt sein soll, die Ware oder Dienstleistung zurückzuhalten, bis eine Bestätigung der Einleitung des Zahlungsvorgangs vorliegt.
Einfluss auf «Ausrichtung», Schweizer Anbieter und Kartellrecht
Die vorgeschlagenen Beschränkungen des Geoblockings könnten darüber hinaus auch zu Schwierigkeiten führen, weil Online-Händler derzeit mit Massnahmen wie dem Geoblocking insbesondere verhindern möchten, dass sie ihr Angebot im rechtlichen Sinne auf andere Länder „ausrichten“. Denn dies hätte grundsätzlich zur Folge, dass neben den inländischen zusätzlich auch ausländische Rechtsvorschriften einzuhalten sind (vgl. dazu BR-News vom 15.12.2010).
Von besonderer Bedeutung ist dies namentlich für Anbieter mit Sitz in Drittstaaten, wie der Schweiz. Auch wenn die Anwendbarkeit der vorgeschlagenen Regelungen auf diese Anbieter im Entwurf des EU-Rats weniger klar erscheint, als noch im Entwurf der EU-Kommission, ist nach wie vor davon auszugehen. Denn die massgeblichen Formulierungen sind in dieser Hinsicht ebenfalls offen gehalten.
In Bezug auf das Vorliegen einer Ausrichtung enthält der Entwurf des EU-Rats nun aber immerhin weitergehende Klarstellungen. So soll die blosse Tatsache, dass der Anbieter den Zugang zu seiner Website für Kunden aus einem anderen Mitgliedstaat nicht sperrt oder beschränkt oder dass er darauf verzichtet, in den in der Verordnung festgelegten Fällen unterschiedliche AGB für den Zugang anzuwenden, oder dass er im Rahmen der von ihm akzeptierten Zahlungsmittel keine unterschiedlichen Bedingungen für Zahlungsvorgänge anwendet, alleine nicht als Ausrichtung auf die Verbraucher eines Mitgliedstaats gelten.
Schliesslich wird mit einer Ausnahmeregelung auch das Verhältnis zu den kartellrechtlichen Vorgaben geregelt (vgl. dazu allgemein BR-News vom 25.4.2010). Dabei bekräftigt auch der Entwurf des EU-Rats, dass die vorgeschlagene Regelung die Möglichkeit zur Beschränkung von aktiven Verkäufen im Rahmen von Alleinvertriebsverhältnissen unberührt lassen soll. Darüber hinaus wird aber auch festgehalten, dass die Diskriminierungsverbote nicht gelten sollen, wenn Anbieter durch eine kartellrechtlich zulässige Vereinbarung über die Beschränkung von Passivverkäufen gebunden sind.
Kartellrechtliche Untersuchungen
Bereits in ihrer wettbewerbsrechtlichen Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel stellte die EU-Kommission fest, dass der Grossteil der Geoblocking-Massnahmen zwar aus unilateralen Entscheidungen der Einzelhändler resultiert, diese Praktiken aber zu einem Teil auch auf vertraglichen Beschränkungen des grenzüberschreitenden Verkaufs beruhen. Der EU-Kommission lagen daher Hinweise vor, wonach Unternehmen durch Abreden den grenzüberschreitenden Online-Handel beschränken, um so den EU-Binnenmarkt entlang nationaler Grenzen aufzuteilen und Wettbewerb zu verhindern.
Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission im Februar Untersuchungen eingeleitet mit dem Ziel, Marktinformationen zu erheben, um die Art, die Häufigkeit und die Auswirkungen dieser Praktiken für den elektronischen Handel besser zu verstehen und auf der Grundlage des EU-Kartellrechts zu bewerten. Konkret sollen namentlich bilaterale Vereinbarungen zwischen der Valve Corporation, der Eigentümerin der Spiele-Vertriebsplattform Steam, und den fünf Videospiel-Herausgebern Bandai Namco, Capcom, Focus Home, Koch Media und ZeniMax untersucht werden. Die EU-Kommission hat den Verdacht, dass die Unternehmen den Einsatz von Aktivierungsschlüsseln zum Zwecke des Geoblockings vorgeschrieben haben. Eine weitere Untersuchung betrifft sodann Vereinbarungen in der Hotellerie zwischen den europäischen Reiseveranstaltern einerseits (Kuoni, REWE, Thomas Cook und TUI) und Hotels andererseits (Meliá Hotels). Hier besteht der Verdacht, dass die Abreden zu einer Diskriminierung der Kunden aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit oder ihres Wohnsitzes führen, sodass Kunden nicht alle verfügbaren Hotelzimmer angezeigt würden und sie die Zimmer nicht zu den günstigsten Preisen buchen könnten. Schliesslich überprüft die EU-Kommission gemäss derselben Medienmitteilung auch, ob die Hersteller von Unterhaltungselektronik Asus, Denon & Marantz, Philips und Pioneer gegen die EU-Wettbewerbsvorschriften verstossen haben, indem sie die Möglichkeit der Online-Einzelhändler, eigene Preise für weit verbreitete Produkte der Unterhaltungselektronik wie Notebooks und Fi-Fi-Produkte festzulegen, eingeschränkt haben.
Ausblick und nächste Schritte
Der Abschluss der genannten Untersuchungen ist kaum noch in diesem Jahr zu erwarten. Demgegenüber wird in Bezug auf die vorgeschlagene Geoblocking-Verordnung teilweise noch mit einem Inkrafttreten im Jahr 2017 gerechnet. In einem nächsten Schritt wird jedenfalls zunächst das EU-Parlament seinen Standpunkt festlegen müssen, woraufhin die Verhandlungen zwischen den drei EU-Institutionen beginnen können.
Aus Schweizer Sicht ist schliesslich bemerkenswert, dass der Bundesrat laut seinem Bericht zu den Rahmenbedingungen der digitalen Wirtschaft zunächst das Gesetzgebungsverfahren in der EU abwarten und den Dialog mit der EU suchen will, bevor entsprechende Massnahmen in der Schweiz angegangen werden.
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