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Integritätspflichten im schweizerischen Heilmittelrecht


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Am 1. Januar 2020 traten Änderungen in Bezug auf die Integritäts- und Transparenzpflichten im Heilmittelrecht in Kraft. Die Integritätspflicht beinhaltet unter anderem ein Forderungs-, Versprechungs- und Annahmeverbot von nicht gebührenden Vorteilen für Fachpersonen, welche verschreibungspflichtige Arzneimittel verschreiben, abgeben, anwenden oder zu diesem Zweck einkaufen können (sowie Organisationen, die solche Personen beschäftigen). Spiegelbildlich gilt für Dritte bzw. für Vertragsparteien ebenfalls ein analog verlaufendes Vorteilsverbot. Gegenwärtig umfasst der Geltungsbereich dieser Integritätsvorgaben ausschliesslich verschreibungspflichtige Arzneimittel. Obwohl aus zeitlicher Sicht noch undefiniert, sollen die Integritätsvorgaben in Zukunft auch auf Medizinprodukte ausgeweitet werden. Das Inkrafttreten der neuen Bestimmungen ist jedoch nicht vor dem Jahr 2025 zu erwarten.

Allgemeine Zielsetzung der Integritäts- und Transparenzpflichten gemäss HMG

Die Zielsetzung der Integritäts- und Transparenzpflichten im geltenden Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte (HMG) ist in der Gewährleistung des Gesundheitsschutzes zu sehen. So hält das Heilmittelgesetz fest, dass bei der Verschreibung, Abgabe und Anwendung von Arzneimitteln die anerkannten Regeln der medizinischen und pharmazeutischen Wissenschaften beachtet werden müssen. Durch nicht gebührende Vorteile könnten Personen, die verschreibungspflichtige Arzneimittel verschreiben, abgeben, anwenden oder zu diesem Zweck einkaufen und Organisationen, die solche Personen beschäftigen, dazu veranlasst werden, bestimmte Arzneimittel bei der Abgabe zu bevorzugen. Mit der Statuierung der Integritätsvorgaben wollte der Gesetzgeber dieses Missbrauchspotential eindämmen.

Sodann statuiert das Heilmittelgesetz eine Transparenzpflicht beim Heilmitteleinkauf in Bezug auf gewährte Preisrabatte und Rückvergütungen bei allen beteiligten Vertragsparteien. Preisrabatte und Rückvergütungen müssen in den Geschäftsbüchern ersichtlich sein und sind den zuständigen Behörden auf Verlangen offenzulegen. Die Transparenz- und Offenlegungspflicht soll den Behörden dabei helfen, die Integritätsvorgaben nach dem Heilmittelgesetz besser durchsetzen zu können.

Sachlicher Geltungsbereich der Integritätspflicht gemäss Art. 55 HMG

In Art. 55 Abs. 1 Satz 1 HMG wird festgehalten, dass Personen, die verschreibungspflichtige Arzneimittel verschreiben, abgeben, anwenden oder zu diesem Zweck einkaufen, und Organisationen, die solche Personen beschäftigen, weder für sich noch zu Gunsten eines Dritten einen nicht gebührenden Vorteil fordern, sich versprechen lassen oder annehmen dürfen. Der sachliche Geltungsbereich dieser Bestimmung bezieht sich damit ausschliesslich auf verschreibungspflichtige Arzneimittel (Reduktion des sachlichen Anwendungsbereichs im Gegensatz zur alten Rechtslage nach Art. 33 aHMG). Heute von den Integritätsvorschriften erfasst sind folglich nur Arzneimittel der Abgabekategorien A und B. Anders verhält es sich mit den Arzneimitteln der Abgabekategorie D und E sowie bei Medizinprodukten. Diese sind von den geltenden Integritätspflichten nicht tangiert.

Die Begrenzung des sachlichen Geltungsbereichs auf verschreibungspflichtige Arzneimittel wurde ursprünglich (d.h. bei der Einführung von Art. 55 HMG) damit begründet, dass vorwiegend von der Abgabe solcher Arzneimittel eine Gesundheitsgefahr ausginge und diesfalls primär das Missbrauchs- und Beeinflussungspotential bei solchen Arzneimitteln anzusiedeln sei. Teilweise entschärft werden sollte die Begrenzung des sachlichen Geltungsbereichs durch die Delegationsnorm in Art. 55 Abs. 2 HMG, welcher besagt, dass der Bundesrat die Anwendbarkeit der Integritätspflichten auf weitere Heilmittelkategorien (also etwa Medizinprodukte) ausweiten kann. Von dieser Kompetenz hat der Bundesrat in der Verordnung über die Integrität und Transparenz im Heilmittelbereich (VITH) jedoch Stand heute keinen Gebrauch gemacht. Im Umkehrschluss ist daraus abzuleiten, dass der Bundesrat selbst keinen Handlungsbedarf in diesem Bereich sieht bzw. gesehen hat.

Sachlicher Geltungsbereich der Integritätspflichten nach der Selbstregulierung

Neben den gesetzlichen Integritätspflichten nach dem HMG gibt es auch branchenverbandsspezifische Verhaltenskodizes, in welchen Integritätsgrundsätze definiert werden. Die Selbstregulierung durch die Branchenverbände ist in der Praxis von grosser Bedeutung. Im Folgenden werden zwei für die betroffenen Branchen wichtige Selbstregulierungswerke vorgestellt, wobei speziell auf die Integritätsgrundsätze eingegangen wird:

Pharma-Kooperations-Kodex:

Der Wirtschaftsverband Chemie Pharma Life Sciences («scienceindustries«), der Verband der Generikahersteller in der Schweiz («Intergenerika«), der Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen der Schweiz («Interpharma«) und die Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz («vips«) haben zusammen den Verhaltenskodex der pharmazeutischen Industrie in der Schweiz über die Zusammenarbeit mit Fachkreisen und Patientenorganisationen (PharmaKooperationsKodex, PKK) beschlossen.

In Ziff. 15 PKK sind die Integritätsgrundsätze festgelegt. Im Einzelnen legt Ziff. 15.1 PKK fest, dass, sofern Pharmaunternehmen mit Fachpersonen, Gesundheitsversorgungs-Organisationen und/oder Patientenorganisationen zusammenarbeiten, diese Zusammenarbeit und die dafür gewährten geldwerten Leistungen keinen Anreiz begründen dürfen, bestimmte Arzneimittel der Humanmedizin zu empfehlen, zu verschreiben, zu erwerben, zu liefern, zu verkaufen oder zu verabreichen. In Ziff. 15.2 PKK wird sodann festgehalten, dass Pharmaunternehmen den Fachpersonen, Gesundheitsversorgungs-Organisationen und/oder Patientenorganisationen keine ihnen nicht gebührenden Vorteile, insbesondere keine Geschenke (bar oder Sachwerte) anbieten, versprechen oder gewähren dürfen.

Ausgenommen von geltenden Integritätsgrundsätzen sind gemäss Ziff. 15.3 PKK – im Einklang mit den übergeordneten Vorgaben nach Art. 55 Abs 2 HMG resp. Art. 3 ff. VITH – verschiedene Leistungen. Diese stellen nach Ansicht der Branchenverbände gebührende Vorteile dar, weshalb die Gewährung solcher Vorteile – mit Vorbehalt von Ziff. 15.8 – zulässig ist.

Sämtliche der oberhalb via PKK sinngemäss zitierten Vorgaben beziehen sich – in Anwendung der gesetzlichen Vorgaben nach Art. 55 HMG – ausschliesslich auf verschreibungspflichtige Arzneimittel.

EFPIA Code of Practice:

Der EFPIA Code of Practice (EFPIA Code) stellt eine Sammlung ethischer Vorschriften dar, die von den EFPIA-Mitgliedern für die Werbung für Arzneimittel bei Angehörigen der Gesundheitsberufe (HCPs) und für die Interaktion mit HCPs, Organisationen des Gesundheitswesens (HCOs) und Patientenorganisationen (POs) vereinbart wurden, um zu gewährleisten, dass diese Aktivitäten unter Einhaltung der strengsten ethischen Grundsätze der Professionalität und Verantwortung durchgeführt werden.

In Art. 15 Sec. 15.01 EFPIA Code wird festgehalten, dass im Rahmen der Zusammenarbeit von EFPIA-Mitgliedern gegenüber HCPs, HCOs und POs nur solche Vertragsverhältnisse zulässig sind, die (i) dem Zweck dienen die Gesundheitsfürsorge, Forschung oder Bildung zu unterstützen und die (ii) keinen Anreiz darstellen, um bestimmte Arzneimittel zu empfehlen und/oder zu verschreiben, zu kaufen, zu liefern, zu verkaufen oder zu verabreichen. Sodann wird in Art. 11 Sec. 11.01 EFPIA Code ein Verbot von Geschenken mit persönlichem, individuellem Nutzen für die Empfänger festgelegt.

Die Integritätsgrundsätze im PKK entsprechen grundsätzlich den Vorgaben gemäss EFPIA Code, wobei Letzterer in seinem Anwendungsbereich insgesamt weitergeht; die Bestimmungen des EFPIA Code umfassen demnach alle Arzneimittel unabhängig einer Verschreibungspflicht.

Relevant ist eine Zugehörigkeit zum EFPIA Code für in der Schweiz aktive Pharmaunternehmen deshalb, weil eine Zugehörigkeit zum EFPIA Code eine automatische Unterstellung unter den PKK bzw. eine Unterzeichnung des PKK begründet.

Schweizerische Revisionsbestrebungen des sachlichen Geltungsbereichs von Art. 55 HMG

Die Bundesversammlung hat mit Beschluss vom 22. März 2019 im Rahmen der Revision zum Medizinprodukterecht die Änderungen der Integritätsvorschriften in Art. 55 E-HMG verabschiedet. In Art. 55 Abs. 1 Satz 1 E-HMG heisst es demnach neu: «Personen, die Medizinprodukte oder verschreibungspflichtige Arzneimittel verschreiben, abgeben, anwenden oder zu diesem Zweck einkaufen, und Organisationen, die solche Personen beschäftigen, dürfen weder für sich noch zu Gunsten eines Dritten einen nicht gebührenden Vorteil fordern, sich versprechen lassen oder annehmen«.1 In Art. 55 Abs. 3 Satz 2 E-HMG wird sodann festgelegt: «Er kann die Anwendbarkeit der Absätze 1 und 2 auf weitere Arzneimittelkategorien ausweiten oder gewisse Medizinproduktekategorien von der Anwendbarkeit dieser Absätze ausnehmen2

Mit der beschlossenen Änderung hat die Bundesversammlung die Integritätsvorschriften dahingehend angepasst, dass in Zukunft auch Medizinprodukte prinzipiell vom Geltungsbereich der Integritätsvorschriften erfasst sein werden. Weiterhin nicht vorgesehen ist eine Unterstellung von nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Der Bundesrat wird jedoch in Art. 55 Abs. 3 Satz 2 E-HMG ermächtigt, bestimmte Medizinprodukte von der Anwendbarkeit der Integritätspflichten auszunehmen sowie die bestehenden Integritätspflichten auf weitere Arzneimittelabgabekategorien (d.h. nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel) auszuweiten.

Das Inkrafttreten der Änderungen unter dem E-HMG ist nach gegenwärtigem Stand nicht vor dem Jahr 2025 zu erwarten.

MLL Legal berät Sie gerne bei Fragen zur aktuellen und künftigen Regulierung im Heilmittelbereich und berät Sie bei sämtlichen Anliegen im Bereich der Produkteregulierung.

1 AS 2020 2966

2 AS 2020 2966


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