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Innerhalb der EU regelt die Europäische Insolvenzverordnung[1] (EuInsVO) grenzüberschreitende Insolvenzverfahren. Da die Schweiz nicht Mitglied der EU ist, findet die Verordnung keine direkte Anwendung auf grenzüberschreitende Insolvenzverfahren mit Bezug zur Schweiz, was die Durchführung solcher Verfahren erheblich erschwert. Auch wenn eine Anbindung der Schweiz an die EuInsVO gegenwärtig nicht geplant ist, wird das internationale Insolvenzrecht der Schweiz zur Zeit sanft erneuert, so dass in einigen Bereichen auf eine vereinfachte Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzverfahren gehofft werden kann. Die wichtigsten geplanten Änderungen sind die Folgenden.
Vereinfachte Anerkennung ausländischer Insolvenzdekrete
Damit ein im Ausland eröffnetes Insolvenzverfahren überhaupt Wirkungen in der Schweiz entfalten kann, muss der ausländische Entscheid, mit dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde (Insolvenzdekret), vorab in der Schweiz in einem gerichtlichen Verfahren anerkannt werden. Unter geltendem Recht wird hierfür vorausgesetzt, dass dieser Entscheid am Sitz des ausländischen Gemeinschuldners ergangen ist, dass er in jenem Staat vollstreckbar ist, dass kein Anerkennungsverweigerungsgrund vorliegt, und dass der Staat, in dem der Entscheid ergangen ist, Gegenrecht hält.
Neu soll ein ausländisches Insolvenzdekret in der Schweiz nicht nur dann anerkannt werden können, wenn es im Wohnsitzstaat des Schuldners ergangen ist, sondern auch dann, wenn es in dem Staat ergangen ist, in welchem der Schuldner den Mittelpunkt seiner Interessen hat (sofern der Schuldner im Eröffnungszeitpunkt seinen Wohnsitz nicht in der Schweiz hatte). Diese Erweiterung ist dadurch begründet, dass in zahlreichen Staaten gestützt auf das Konzept des Centre of Main Interest (COMI) eine Zuständigkeit für die Konkurseröffnung am Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen gegeben ist. Nach geltendem Recht können ausländische Insolvenzverfahren, die am Interessenmittelpunkt des Schuldners eröffnet wurden, in der Schweiz nicht anerkannt werden, wenn dieser Interessenmittelpunkt nicht am Ort des statutarischen Sitzes liegt. Diese Lücke soll mit der neuen Regelung geschlossen werden.
Eine weitere Erleichterung der Anerkennung ausländischer Insolvenzdekrete soll durch die Aufhebung des Gegenrechtserfordernisses erreicht werden. Ob der Staat, in dem das zu anerkennende Konkursdekret ergangen ist, Gegenrecht hält, ist oftmals nicht ohne weiteres feststellbar, sofern sich bezüglich des betreffenden Staats nicht bereits eine Gerichtspraxis etabliert hat. Der Gegenrechtsnachweis muss vielmehr mittels aufwändiger und teurer Rechtsgutachten abgeklärt werden. Der geplante Verzicht auf das Gegenrechtserfordernis würde für die Praxis daher eine erhebliche Erleichterung darstellen.
Keine zwingende Durchführung eines Sekundärkonkurses in der Schweiz
Nach geltendem Recht muss zwingend in der Schweiz ein Sekundärkonkursverfahren durchgeführt werden, wenn die ausländische Konkursverwaltung auf Vermögenswerte des Schuldners greifen will, die in der Schweiz gelegen sind. In einem solchen Fall werden die in der Schweiz gelegenen Vermögenswerte zuerst in einem Sekundärkonkursverfahren ausschliesslich zu Gunsten von pfandgesicherten Gläubigern sowie von Schweizer Gläubigern von privilegierten Forderungen verwertet. Erst danach wird ein allfälliger Überschuss der ausländischen Insolvenzverwaltung herausgegeben, sofern eine gerichtliche Prüfung ergibt, dass die nicht privilegierten Forderungen von Schweizer Gläubigern im ausländischen Insolvenzverfahren angemessen berücksichtigt werden.
Mit der neuen Regelung soll ein Sekundärkonkursverfahren nur noch dann durchgeführt werden müssen, wenn effektiv ein Schutzbedürfnis der betroffenen Gläubiger besteht. Ergibt ein Schuldenruf, dass keine pfandgesicherten Forderungen, keine privilegierten Forderungen von Gläubigern mit Wohnsitz in der Schweiz und auch keine Forderungen betreffend eine schweizerische Zweigniederlassung des Schuldners angemeldet werden, so kann auf Antrag des ausländischen Insolvenzverwalters auf die Durchführung eines Sekundärkonkursverfahrens verzichtet werden. Werden einzig andere als die genannten Forderungen angemeldet, so kann auf die Durchführung eines Sekundärverfahrens immerhin dann verzichtet werden, wenn die nicht privilegierten Forderungen von Gläubigern mit Schweizer Wohnsitz im ausländischen Hauptkonkurs angemessen berücksichtigt werden.
Bei einem Verzicht auf die Durchführung des Sekundärverfahrens soll der ausländische Konkursverwalter alle Befugnisse ausüben können, die ihm nach seinem eigenen Recht zustehen. Er soll unter anderem Vermögenswerte des Schuldners von der Schweiz in die ausländische Konkursmasse überführen und in der Schweiz Prozesse führen können. Allerdings wird es ihm nicht möglich sein, in der Schweiz hoheitliche Handlungen vorzunehmen.
Weitere Änderungen
Weitere geplante Änderungen sehen zudem vor, dass für in der Schweiz gelegene Niederlassungen eines ausländischen Schuldners nicht mehr zwingend ein eigener Niederlassungskonkurs durchgeführt werden muss, sondern dass die Gläubiger der betreffenden Zweigniederlassung ihre Forderungen im Hilfskonkursverfahren anmelden können, was Doppelspurigkeiten und Abgrenzungsschwierigkeiten verhindert. Des Weiteren ist geplant, dass auch ausländische insolvenznahe Entscheidungen, wie etwa betreffend paulianische Anfechtungsansprüche, in der Schweiz anerkannt werden können, was unter geltendem Recht ausgeschlossen ist. Schliesslich schafft der Gesetzesentwurf eine Grundlage für die Koordination zwischen in- und ausländischen Konkursbehörden.
Ausblick
Nachdem der Bundesrat im Mai 2017 den Gesetzesentwurf[2] vorgelegt hatte, wurden die vorgeschlagenen Änderungen im Dezember 2017 vom schweizerischen Ständerat fast unverändert genehmigt. Falls der Nationalrat den Änderungen im laufenden Jahr ebenfalls zustimmt, kann mit einem Inkrafttreten der Bestimmungen frühestens per 1. Januar 2019 gerechnet werden.
[1] Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (Neufassung) (EuInsVO), in den wesentlichen Teilen in Kraft seit 26. Juni 2017, sowie die dadurch abgelöste Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (aEUInsVO).
[2] Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (11. Kapitel: Konkurs und Nachlassvertrag) vom 24. Mai 2017, BBl 2017 4125.