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Alterskennzeichnungen und Alterskontrollen für Filme und Videospiele sollen zukünftig schweizweit einheitlich geregelt werden. Der Bundesrat hat zu diesem Zweck am 11. September 2020 einen neuen Gesetzesentwurf über den Jugendschutz in den Film- und Videospielebereichen (JSFVG) verabschiedet. Dies stellt Anbieterinnen vor neue Fragestellungen und auferlegt ihnen neue Pflichten. Grund dafür ist, dass die Film- und Videospielbereiche in den letzten Jahren rasanten technischen Fortschritten unterlagen. Filme und Videospiele können heute über verschiedenste Medienkanäle verbreitet bzw. konsumiert werden, was neue Herausforderungen für den Schutz von Minderjährigen in diesem Zusammenhang mit sich bringt. Aufgrund der unzureichenden und uneinheitlichen Regulierung im geltenden Recht will der Bundesrat mit dem neuen Gesetzeserlass Kinder und Jugendliche stärker vor ungeeigneten Medieninhalten schützen.
Bundesrat veröffentlicht Entwurf für ein neues Gesetz über den Jugendschutz im Film- und Videospiel-Bereich
Digitale Medien sind aus dem heutigen Alltag nicht mehr wegzudenken – Kinder und Jugendliche benutzen sie in ihrer Freizeit, in der Schule und am Ausbildungsplatz. Filme und Videospiele können über unterschiedlichste Medienkanäle verbreitet und konsumiert werden und Streaming-Portale wie Netflix, Youtube oder Disney Plus laufen dem traditionellen Fernsehen zunehmend den Rang ab. Dies birgt neue Herausforderungen für den Schutz der Kinder und Jugendlichen vor ungeeigneten Inhalten. Da diese Herausforderungen mit den geltenden Vorschriften nicht mehr bewältigt werden können, hat der Bundesrat im September einen Entwurf für ein neues Gesetz über den Jugendschutz in den Bereichen Film und Videospiele verabschiedet.
Die aktuelle Regulierung im Bereich der Film- und Videospiele weist Handlungsbedarf auf
Derzeitig richtet sich die Gesetzgebung nach der Art des Mediums und ist verteilt auf Bundes- und Kantonsebene. Ebenso haben diverse Branchenverbände unverbindlich selbstregulierende Massnahmen für ihren Bereich erlassen. Diese fragmentierte und uneinheitliche Regulierung weist nach Ansicht des Bundesrats verschiedene Lücken, Schwächen und Vollzugsprobleme auf.
Die Regulierungskompetenz im Bereich der physischen Trägermedien von Filmen und Videospielen liegt primär bei den Kantonen, wobei nur wenige Kantone von ihrer Kompetenz Gebrauch gemacht haben und Unternehmen zu Alterskennzeichnung und Abgabekontrollen verpflichten. Aus diesem Grund haben es sich verschiedene Marktteilnehmerinnen zur Aufgabe gemacht, mittels selbstregulierenden Massnahmen die Einstufung von Filmen und Videospielen nach Alterskategorien vorzunehmen. Dabei orientieren sie sich meist an den Klassifikationen im Ausland. Gänzlich von den selbstregulierenden Massnahmen ausgenommen sind diejenigen Unternehmen, die sich den jeweiligen Branchenregelungen nicht angeschlossen haben. Dies führt zu einem uneinheitlichen Flickenteppich von Regulierungen, welche auch nur teilweise von den Branchenverbänden kontrolliert und sanktioniert werden. Hinzu kommt die Möglichkeit von Jugendlichen, Videospiele und Filme mit Alterskennzeichnungen über den Online-Versand aus dem Ausland zu beziehen, wo möglicherweise andere Regelungen gelten können.
Im Bereich der öffentlichen Filmvorführungen gibt die Schweizerische Kommission Jugendschutz im Film (JIF) jeweils Empfehlungen für das Zulassungsalter ab. Da die Alterskennzeichnung und die Zugangskontrolle für Kinos und Filmfestivals in den meisten Kantonen nicht vorgeschrieben sind, kann ein Film je nach Kanton eine andere Alterseinstufung haben und die Zugangskontrolle unterschiedlich gehandhabt werden.
Darüber hinaus nimmt die Nutzung von Abrufdiensten wie Netflix oder Disney Plus und Plattformdiensten wie Youtube stetig zu. Abrufdienste bieten die Funktion an, Videos auf Abruf abzuspielen (sog. Video-on-Demand, VoD), indem Videos entweder heruntergeladen und danach abgespielt werden (Download) oder indem beide Aktionen gleichzeitig vorgenommen werden (Streaming). Für Abrufdienste existieren in der Schweiz keine gesetzlichen Jugendschutzbestimmungen. Die Branche sieht selbstregulatorisch lediglich vor, dass die Mitglieder des Schweizerischen Verbands der Telekommunikation (asut), welche VoD anbieten, eine Sperrfunktion für Filme mit Altersbeschränkungen bereitzustellen haben. Bieten Abrufdienste eine solche Funktion an und sind sie Mitglied der asut, so gelten diese Anforderungen auch für sie.
Anders als Abrufdienste stellen die Plattformdienste eine grosse Menge an Videospielen oder Filme zur Verfügung, welche von Nutzerinnen erstellt wurden. Dabei trägt die Plattform keine redaktionelle Verantwortung für deren Inhalt. Für Plattformdienste bestehen im Zusammenhang mit dem Jugendschutz weder gesetzliche Regelungen noch Selbstregulierungsmassnahmen in der Schweiz. Auch die EU-Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste (AVMD), welche Abruf- und Plattformdiensten Pflichten zum Schutz vor Gewalt, Hass, Terrorismus und schädlicher Werbung auferlegt, ist für die Schweiz nicht verbindlich (siehe MLL-News vom 9.12.18).
Auch in Bezug auf den Fernsehbereich ist es aufgrund der technischen Entwicklung, zu Schutzlücken gekommen. Die Fernsehprogrammveranstalter sind gemäss Bundesgesetz für Radio und Fernsehen (RTVG) verpflichtet, lediglich durch die Wahl der Sendezeit sowie akustische Hinweise dafür zu sorgen, dass Minderjährige nicht mit Sendungen konfrontiert werden, die deren Entwicklung gefährden. Jedoch sind die genannten Massnahmen mit der Möglichkeit des zeitversetzten Fernsehens (Replay-Funktion) weitgehend obsolet geworden.
Angleichung des Schutzniveaus an die AVMD-Richtlinie
Mit der vorgeschlagenen Regelung würde erstmals für die ganze Schweiz ein einheitlicher Standard beim Schutz von Kindern und Jugendlichen vor ungeeigneten Inhalten in Filmen und Videospielen gelten. Auf der einen Seite sollen die Anstrengungen der Selbstregulierung gesetzlich verankert werden und auf der anderen Seite wird durch eine Anlehnung an die AVMD-Richtlinie ein europaweit vergleichbarer Standard angestrebt. Das vom Bundesrat verabschiedete Gesetz stimmt denn auch zumindest im Filmbereich für Abruf- und Plattformdienste zu einem wesentlichen Teil mit den Bestimmungen der EU-Richtlinie überein. Wie die Regelung in der EU richtet sich das Jugendschutzgesetz hauptsächlich an zwei verschiedene Adressatinnen: es sind einerseits die Akteurinnen in den Bereichen Film und Videospiele und andererseits die Anbieterinnen von Plattform- und Abrufdiensten. Die Einhaltung des Jugendschutzes wird allerdings erst beim Zugänglichmachen, sprich im letzten Schritt der Wertschöpfungskette, gefordert. Kauft eine Kundin in einem Geschäft eine DVD oder Blu-ray, so hat das Verkaufslokal die Jugendschutzbestimmungen beim Verkauf des Produktes einzuhalten. Wie erwähnt, findet dies ebenso auf Plattformdienste Anwendung. Denn obwohl der gekaufte Inhalt nur in digitaler Form zugänglich gemacht wird und kein physischer Gegenstand Teil der Transaktion ist, wird der Inhalt des Films bzw. Videospiels bei der Konsumentin mindestens für eine kurze Zeit auf einer Festplatte zwischengespeichert. Demgegenüber haben am Zwischenhandel betroffene Unternehmen die Anforderungen des Jugendschutzes nicht einzuhalten und die Alterskennzeichnung auf den physischen Trägermedien muss nicht zwingend schon erfolgt sein.
In Bezug auf die derzeit uneinheitliche Alterskennzeichnung und Alterskontrolle sieht das zukünftige Gesetz vor, dass sich die verschiedenen Akteurinnen zu je einer Jugendschutzorganisation für die beiden Bereiche Film und Videospiele zusammenschliessen. Die von ihnen erlassenen Regelungen sollen für die gesamte Schweiz gelten und für verbindlich erklärt werden. Auch das bisher unterschiedliche Altersklassifizierungssystem für Kinofilme wird nicht mehr möglich sein.
Alterskontrollen durch Anbieterinnen von Abrufdiensten
Bei Abrufdiensten hat eine Alterskontrolle auf eine andere Art zu erfolgen als diejenige für Anbieterinnen von audiovisuellen Trägermedien und Veranstalterinnen. Das Gesetz sieht dafür technische Mittel vor. Erstens ist der Abrufdienst verpflichtet, ein System einzurichten, mit welchem das Alter der Nutzerinnen vor der erstmaligen Anmeldung überprüft werden kann. Wird ein Abonnement zur Nutzung von einer volljährigen Person gelöst, so liegt ab diesem Zeitpunkt die Verantwortung zur Nutzung des Abrufdiensts nicht mehr beim Dienst selbst, sondern bei der volljährigen Person.
In Zukunft könnte das Bundesgesetz über elektronische Identifizierungsdienste (BGEID) eine geeignete Massnahme zur Identifizierung des Alters darstellen. Vorgesehen ist, die Identität von natürlichen Personen aufgrund von eindeutigen Personenidentifizierungsdaten (z.B. Name, Geschlecht, Geburtsdatum) der staatlich geführten Register (z.B. im Zivilstands-, Pass- oder Ausländerregister) in einer staatlich anerkannten elektronischen Identität festzuhalten. Die staatlich anerkannte E-ID soll in erster Linie Rechtssicherheit und Vertrauen schaffen und unwahre Angaben bei der Registrierung vorbeugen. So wäre es möglich, Anbieterinnen im Internet gesetzlich dazu zu verpflichten, potentiell gefährdende Inhalte nur an Nutzerinnen zu übermitteln, deren Alter durch eine E-ID nachgewiesen sind. Gegen das Gesetz ist im Februar 2020 jedoch ein Referendum zustande gekommen, ein Datum der Abstimmung steht noch aus.
Als zweite Anforderung haben Abrufdienste wie beispielsweise Netflix ein System bereitzustellen, welches die elterliche Kontrolle gewährleistet und den Erwachsenen die Möglichkeit gibt, den Kindern und Jugendlichen lediglich dem Alter entsprechende Inhalte bereitzustellen. Der Abrufdienst kann hierfür beispielsweise die Eingabe eines PIN-Codes oder Passworts vorsehen, ohne dessen Eingabe nur als geeignet eingestufte Inhalte zur Verfügung stehen. In denjenigen Fällen, in welchen die Nutzung eines Abrufdiensts nicht Volljährigkeit verlangt, ist sicherzustellen, dass der betreffenden minderjährigen Person nur die für sie geeigneten Inhalte zur Verfügung stehen.
Nicht vorgesehen ist eine Überprüfung des Alters vor jedem einzelnen Abruf eines Films oder Videospiels, da das Alter bei der Anmeldung bereits verifiziert sein muss.
Spezielle Regelungen für Plattformdienste
In Bezug auf Plattformdienste gilt es einige Abgrenzungen hervorzuheben. Nicht unter die Jugendschutzbestimmungen fallen diejenigen Personen, die Beiträge auf Plattformdiensten veröffentlichen. Denn diese stellen Inhalte lediglich indirekt der Allgemeinheit bereit und gelten somit nicht als Anbieterinnen. Ebenfalls nicht vom Geltungsbereich erfasst sind die Infrastrukturanbieterinnen (sog. Hosting-Provider). Denn bei ihnen werden lediglich audiovisuelle Inhalte der Plattformdienste gespeichert. Folglich finden, obwohl sie keine redaktionelle Verantwortung für den Inhalt tragen, die Jugendschutzbestimmungen lediglich auf die Plattformdienste selbst Anwendung.
Im Gegensatz zu Abrufdiensten werden auf Plattformdiensten meist wenig Filme oder Videospiele hochgeladen. Deshalb, und aufgrund der oftmals gewaltigen Masse der sich auf Plattformdiensten befindenden Inhalte, ist es nach Ansicht des Bundesrats nicht angebracht, Plattformdienste denselben Bestimmungen zu unterstellen. Das Gesetz sieht aus diesen Gründen keine Altersklassifizierung für sämtliche Inhalte vor. Dennoch haben die Anbieterinnen geeignete Massnahmen zu treffen, um den Jugendschutz zu gewähren. Wie auch bei den Abrufplattformen muss die Plattformanbieterin ein System zur Alterskontrolle vor der erstmaligen Nutzung des Dienstes gewähren. Des Weiteren ist ein Meldesystem zu implementieren, welches den Nutzerinnen die Möglichkeit gibt, für Minderjährige ungeeignete Inhalte zu melden.
Auswirkungen in der Praxis
Mit dem Gesetzeserlass sollen die zum Teil fehlenden, uneinheitlichen und nicht für alle verbindlichen Bestimmungen durch gesetzliche Mindestanforderungen ersetzt werden. Danach würde künftig für die ganze Schweiz ein einheitlicher Standard beim Schutz von Kindern und Jugendlichen vor für sie ungeeigneten Inhalten in Filmen und Videospielen gelten.
Der Entwurf bringt insbesondere für die Anbieterinnen der viel genutzten Abruf- und Plattformdienste neue Anforderungen mit sich. Die konkrete Ausgestaltung in der Praxis wird im Übrigen aber auch den Akteurinnen in den Film- und Videospielbereichen überlassen. Die erarbeiteten Jugendschutzregelungen können, sofern sie die gesetzlichen Anforderungen erfüllen, durch den Bundesrat verbindlich erklärt werden. Dadurch soll die nötige Praxisnähe gewährleistet werden. Sollte zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes keine Jugendschutzregelung für verbindlich erklärt worden sein, erlässt der Bundesrat die notwendigen Vorschriften für den jeweiligen Bereich.
Dennoch verweist der Bundesrat auch auf die Verantwortung der erziehungsberechtigten Personen. Denn sie entscheiden letztlich, ob sie für Minderjährige physische Trägermedien erwerben oder ob sie die vorhandenen Kontrollsysteme der Abrufdienste zum Schutz vor ungeeigneten Inhalten aktivieren. Der Gesetzesentwurf sieht insofern bspw. auch von einer Massnahme ab, die Replay-Funktion bei Fernsehprogrammen zu beschränken.
Weitere Informationen:
- Pressemitteilung vom 11.9.2020
- Botschaft
- Gesetzesentwurf JSFVG
- Gesetzesentwurf BGEID
- EU-Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste (AVMD)
- MLL-News vom 9. Dezember 2018: «Revision der EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste: Netflix, YouTube & Co. im Visier des Europäischen Gesetzgebers»
- Bundesgesetz für Radio und Fernsehen (RTVG)