Kartellrecht Uhrenhersteller Schweiz

Kartellrecht: Untersuchung gegen Schweizer Uhrenhersteller auf Reparatur- und Ersatzteilmarkt in der EU eingestellt – Eröffnung in der Schweiz?


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Das Europäische Gericht (EuG) hat kürzlich entschieden, dass Luxusuhren-Hersteller (und damit wohl auch Hersteller von anderen Luxus- und hightech-Gütern) selektive Reparatur- und Wartungssysteme nutzen dürfen, sofern sie auf objektiven Kriterien beruhen, nicht diskriminierend sind und nicht über das zur Erreichung des Zwecks erforderliche Mass hinausgehen. Des Weiteren hat es festgehalten, dass die Weigerung, Ersatzteile an unabhängige Uhrmacher zu liefern, nur dann eine Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung darstellt, wenn dadurch der Wettbewerb auf dem Markt für Reparatur- und Wartungsdienstleistungen insgesamt ausgeschaltet wird.

Sachverhalt

Dem Urteil des EuG vom 23. Oktober 2017 (T-712/14) liegt eine auf das Jahr 2004 zurückgehende Klage einer Vereinigung unabhängiger Uhrmacher gegen eine Vielzahl von Luxusuhren-Herstellern vor der EU-Kommission zu Grunde. Vorgebracht wurde, dass durch Weigerungen der Hersteller Ersatzteile an Uhrmacher zu liefern, welche nicht Teil des selektiven Reparatur- und Wartungssystems sind, letztere aus dem Markt gedrängt würden. Um Teil des entsprechenden Reparatur- und Wartungssystems zu sein, müssen die unabhängigen Uhrmacher – je nach den angebotenen Dienstleistungen in unterschiedlichem Ausmass – in Maschinen, Ausbildung und ihr Geschäftslokal investieren.

Die EU-Kommission stellte das Verfahren 2008 mit dem Hinweis ein, die Auswirkungen auf die EU seien nicht ausreichend, um mit den Untersuchungen fortzufahren. Das EuG hob die Einstellungsverfügung gestützt auf eine entsprechende Beschwerde auf und wies die EU-Kommission an, sich mit den Vorbringen der Beschwerdeführerin und den Fakten auseinanderzusetzen. In der Folge eröffnete die EU-Kommission 2011 ein neues Untersuchungsverfahren. Die Untersuchung wurde 2014 indessen wiederum mit dem Hinweis eingestellt, die benötigten Ressourcen zur detaillierten Untersuchung des relevanten Sachverhalts seien aufgrund der geringen Wahrscheinlichkeit eines wettbewerbswidrigen Verhaltens nicht verhältnismässig. Auch diese Entscheidung wurde von der Beschwerdeführerin angefochten.

Selektive Vertriebssysteme/selektive Reparatur- und Wartungssysteme

Zur Einschätzung, ob selektive Vertriebssysteme kartellrechtswidrig sind, ist der Zweck des gesamten Wettbewerbsrechts, welcher im Schutz vor Wettbewerbsverzerrung liegt, zu berücksichtigen. Unter Wettbewerb ist nach der Rechtsprechung des EuGH jedoch nicht nur der klassische Preiswettbewerb zu verstehen, sondern auch die Förderung der Diversität von Produktangeboten, Optimierung der Qualität und Innovation. Es kann nach Ansicht des EuGH daher durchaus gerechtfertigt sein, eine Einschränkung des Preiswettbewerbs hinzunehmen, um andere Aspekte des Wettbewerbs zu stärken. So kann beispielsweise eine Beschränkung des Preiswettbewerbs zugunsten der Qualitäts- und Imagesicherung kartellrechtskonform sein.

Nach der Rechtsprechung des EuGH fallen selektive Vertriebssysteme, die auf den Vertrieb von Luxus- und Prestigewaren gerichtet sind und primär der Sicherstellung eines „Luxusimages“ der Waren dienen, nicht von vorneherein unter das Kartellverbot nach Art. 101 Abs. 1 AEUV, wenn sie folgende drei Kriterien erfüllten (vgl. dazu bspw. auch MLL-News vom 17.10.2011 bzgl. Online-Vertrieb):

  • Die Auswahl der Wiederverkäufer muss anhand objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolgen, die einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet werden;
  • die Natur des fraglichen Erzeugnisses einschließlich des Prestigeimages erfordern zur Wahrung seiner Qualität und zur Gewährleistung seines richtigen Gebrauchs einen selektiven Vertrieb und
  • die festgelegten Kriterien dürfen nicht über das erforderliche Mass hinausgehen.

Das EuG hat nun auch im vorliegenden Verfahren – analog zur Rechtsprechung des EuGH in Bezug auf selektive Vertriebssysteme – festgehalten, dass selektive Reparatur- und Wartungssysteme kartellrechtskonform sind, solange sie auf objektiven Kriterien beruhen, nicht diskriminierend sind und nicht über das zur Erreichung des Zwecks erforderliche Mass hinausgehen.

Die EU-Kommission hatte in seiner Entscheidung im Jahre 2014 festgehalten, das hier in Frage stehende selektive Reparatur- und Wartungssystem sei infolge der Komplexität von Luxusuhren sowie zur Aufrechterhaltung des Rufs der Marken, der Sicherstellung von qualitativ hochwertigen Reparaturdienstleistungen und der Vermeidung von Fälschungen gerechtfertigt.

Das EuG kam zum Schluss, dass die Aufrechterhaltung des guten Rufs einer Marke für sich allein keine Wettbewerbsbeschränkung durch Implementierung eines selektiven Reparatur- und Wartungssystems rechtfertige. Das Ziel der Aufrechterhaltung einer bestimmten Qualität rechtfertige aber das selektive Reparatur- und Wartungssystem. Des Weiteren sei auch die Vermeidung von Fälschungen ein legitimes Ziel; diesbezüglich habe die Beschwerdeführerin nicht dargelegt, weshalb kein Fälschungsrisiko vorliege bzw. weshalb das selektive Reparatur- und Wartungssystem keinen erhöhten Schutz vor Fälschungen bietet. Auch sei das Erfordernis der diskriminierungsfreien Ausgestaltung des selektiven Reparatur- und Wartungssystems im vorliegenden Fall erfüllt. Während des Verfahrens vor dem EuG kamen denn auch neue unabhängige Uhrmacher hinzu. Des Weiteren würden die festgelegten Kriterien nicht über das zur Qualitätssicherung erforderliche Mass hinausgehen, insbesondere weil die Anforderungen an die unabhängigen Uhrmacher je nach den von diesen angebotenen Dienstleistungen variieren.

Weigerung Ersatzteile zu liefern

In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH hielt das EuG fest, eine Weigerung Dienstleistungen und Güter (und damit auch Ersatzteile) zu liefern, stelle nur dann eine unzulässige Verhaltensweise dar, wenn folgende Voraussetzungen kumulativ vorliegen:

  • Die Lieferverweigerung führt zu einem vollständigen Ausschluss von Wettbewerb auf dem abgeleiteten Markt;
  • die Lieferverweigerung lässt sich nicht objektiv rechtfertigen und
  • die von der Lieferverweigerung betroffenen Güter oder Dienstleistungen sind zur Ausübung der Tätigkeit auf dem abgeleiteten Markt zwingend erforderlich bzw. nicht substituierbar.

Das EuG kam zum Schluss, ein vollständiger Ausschluss von Wettbewerb liege hier nicht vor. Es herrsche Wettbewerb zwischen den Uhrmachern, welche zum selektiven Reparatur- und Wartungssystem gehören, untereinander und zwischen diesen und den Uhrenherstellern, welche die entsprechenden Dienstleistungen auch selbst anbieten. Dies ergebe sich schon durch die Möglichkeit, Reparaturdienstleistungen für mehrere Uhrenmarken erbringen zu dürfen und Grössen- bzw. Skalenvorteile nutzen zu können. Des Weiteren sei die Lieferverweigerung an unabhängige Uhrmacher, welche die von den Herstellern festgesetzten Kriterien nicht erfüllen, auch gestützt auf die oben aufgeführten Überlegungen objektiv gerechtfertigt. Entsprechend sah das EuG in der Weigerung, Ersatzteile an unabhängige Uhrmacher zu liefern, keine Ausnützung einer marktbeherrschenden Stellung.

Vorabklärungen der WEKO in der Schweiz

Im August 2017, also rund zwei Monate vor Veröffentlichung des Urteils des EuG, hat die Schweizer Wettbewerbskommission (WEKO) in der Presse bekannt gegeben, dass sie aufgrund mehrerer Beschwerden erwäge, eine Untersuchung wegen restriktiver Lieferungen für Ersatzteile der Uhrenhersteller an unabhängige Uhrmacher zu eröffnen. Die entsprechenden Vorabklärungen sind momentan noch im Gang. Die Untersuchung in der EU und deren Ergebnisse dürften jedenfalls auch von der WEKO nicht unberücksichtigt bleiben, sind doch die relevanten Vorgaben des EU- und des Schweizer Kartellrechts zumindest im Ergebnis vergleichbar.

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