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Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in einer Vorabentscheidung vom 15. September 2016 die Auslegung von Art. 12 der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr (E-Commerce-Richtlinie) konkretisiert. Ein Geschäftsinhaber, welcher der Öffentlichkeit unentgeltlich ein WLAN-Netz zur Verfügung stellt, um Kunden anzulocken, ist für Urheberrechtsverletzungen eines Nutzers nicht schadenersatzpflichtig. Ein Gericht bzw. eine Behörde kann ihm aber auferlegen, sein Netz durch ein Passwort zu sichern, um die Urheberrechtsverletzungen zu beenden oder ihnen vorzubeugen.
Sachverhalt
Der Inhaber eines Geschäfts für Licht- und Tontechnik stellte seinen potentiellen Kunden kostenlos ein öffentliches WLAN-Netz zur Verfügung. Dies tat er zu Werbezwecken, um die Aufmerksamkeit dieser Kunden auf sein Angebot zu lenken. Über dieses Netz wurde 2010 das musikalische Werk „Wir sind Helden“, für welches Sony die Rechte besitzt, rechtswidrig zum Download angeboten. Daraufhin erhob Sony am Landgericht München I Klage wegen Urheberrechtsverletzung gegen den Geschäftsinhaber. Das Landgericht anerkannte, dass der Geschäftsinhaber keine unmittelbare Urheberrechtsverletzung begangen hat. Jedoch hielt es das Gericht für möglich, dass eine mittelbare Haftung des Geschäftsinhabers angenommen wird. Da sich das Gericht über die Haftung des Geschäftsinhabers und die Übereinstimmung mit Bestimmung der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr nicht sicher war, legte sie dem EuGH diverse Fragen zu diesem Thema zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vor.
Bereits in unserem Beitrag vom 9. Mai 2016 berichteten wir über die Schlussanträge des Generalanwalts Maciej Szpunar in diesem Fall, im Folgenden soll nun auf die Vorabentscheidung des EuGH eingegangen werden.
Rechtsgrundlagen in der EU und Deutschland
Die massgebende Bestimmung dieses Falles war Art. 12 Abs. 1 der E-Commerce-Richtlinie. Diese lautet wie folgt:
(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass im Fall eines Dienstes der Informationsgesellschaft, der darin besteht, von einem Nutzer eingegebene Informationen in einem Kommunikationsnetz zu übermitteln oder Zugang zu einem Kommunikationsnetz zu vermitteln, der Dienstanbieter nicht für die übermittelten Informationen verantwortlich ist, sofern er
- die Übermittlung nicht veranlasst,
- den Adressaten der übermittelten Informationen nicht auswählt und
- die übermittelte Information nicht auswählt oder verändert.
Die Richtlinie enthält damit eine Haftungsbeschränkung für Dienste der reinen Durchleitung von Daten. Sind die drei Voraussetzungen von Art. 12 Abs. 1 der E-Commerce-Richtlinie erfüllt, darf keine Haftung des Dienstanbieters angenommen werden. Eine solche Haftung sah das deutsche Recht jedoch unter gewissen Umständen in seiner alten Gesetzgebung vor (sog. Störerhaftung). Wohl aufgrund des Druckes, der von den Schlussanträgen des Generalanwalts ausging, wurde jedoch innerhalb von kurzer Zeit während der Revision des Telemediengesetzes eine neue Bestimmung aufgenommen, die Art. 12 Abs. 1 der E-Commerce-Richtlinie Wort für Wort entspricht. (Vgl. BR-News vom 9. Mai 2016)
Auslegung des EuGH
Dem EuGH wurde die Frage vorgelegt, ob das unentgeltliche zur Verfügung stellen eines WLAN-Netzes überhaupt als „Dient der Informationsgesellschaft“ qualifiziert werden kann. Dabei führte der Gerichtshof aus, dass grundsätzlich nur entgeltliche Dienstleistungen darunter fallen. Da hier aber das WLAN zu Werbezwecken zur Verfügung gestellt wird, wird sich dies im Preis des Angebots des Geschäftsinhabers wiederspiegeln. Gerade deshalb handelt es sich nur mittelbar um eine unentgeltliche Dienstleistung und es kann ein Dienst der Informationsgesellschaft auch bei dieser Konstellation angenommen werden. Damit erfasst die Haftungsbeschränkung von Art. 12 der E-Commerce-Richtlinie auch die Nebentätigkeit des Anbietens von Vermittlungsdiensten, wie dies bereits der Generalanwalt in seinem Schlussantrag festhielt.
Keine Schadenersatzforderung, aber Unterlassungsanspruch!
Ferner wurde festgehalten, dass kein Anspruch auf Schadenersatz gegen den Geschäftsinhaber besteht, wenn Dritte das WLAN-Netz zur Verletzung von Urheberrechten verwendet haben und die Voraussetzungen von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie erfüllt sind. Auch die Abmahn- und Gerichtskosten in diesem Zusammenhang dürfen dem Geschäftsinhaber nicht auferlegt werden. Die derzeitige Abmahnstrategie der Rechteinhaber wird sich also in Zukunft ändern müssen.
Eine innerstaatliche Behörde oder ein innerstaatliches Gericht hat jedoch nach dem EuGH die Möglichkeit, den Geschäftsinhaber durch eine Anordnung zu zwingen, den Urheberrechtsverletzungen durch seine Kunden ein Ende zu setzen oder solchen Rechtsverletzungen vorzubeugen. Dies steht im Einklang mit der Ausnahme von Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie. Es können dem Geschäftsinhaber grundsätzlich aber keine Massnahmen auferlegt werden, die seine unternehmerische Freiheit letztlich vollends einschränken. Dabei wurde insbesondere die Abschaltung des Dienstes oder die vollständige Überwachung jeder übermittelten Information erwähnt. Hingegen ist es möglich dem Geschäftsinhaber vorzuschreiben, sein Internetzugang anhand eines Passwortes zu schützen. Gerade dieser Passwortschutz wurde vom Generalanwalt jedoch als unzulässige gerichtliche Anordnung angesehen (Vgl. BR-News vom 9. Mai 2016). Diese Entscheidung steht nicht im Einklang mit der Kultur offener Netze in Europa. Es besteht die Möglichkeit, dass Abmahnungen in Zukunft dahingehend erstellt werden, dass die Verschlüsselung des WLAN verlangt wird. In einem solchen Verfahren müsste dann wohl auch der WLAN-Betreiber die Kosten des Verfahrens tragen.
Nach dieser ausführlichen Auslegung des EuGH von Art. 12 der europäischen Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr wird sich zeigen, wie das Landgericht München im konkreten Fall urteilen wird. Es lässt sich festhalten, dass sich der EuGH weitgehend den Anträgen des Generalanwaltes angeschlossen hat, ausser im Bereich des Passwortschutzes. Genau diese restriktive Auslegung der Richtlinie wirft in Zukunft offene Fragen auf, die entweder durch den EuGH oder neue Gesetzesvorstösse behoben werden müssen.
Situation in der Schweiz
Bis heute gibt es nur einen höchstrichterlichen Entscheid zur Thematik der Verantwortlichkeit von Providern. Diesem Problem will der Gesetzgeber Abhilfe schaffen. In der kommenden Urheberrechtsrevision will der Gesetzgeber Bestimmungen zur Providerhaftung einführen. Neben den zukünftigen Pflichten der Provider soll auch ein Haftungsausschluss der Provider vorgesehen werden (vgl. zu den weiteren Einzelheiten der Urheberrechtsrevision BR-News vom 23. Mai 2016).
Der Vorentwurf zum revidierten Urheberrechtsgesetz unterscheidet hierbei zwischen zwei Kategorien von Anbietern: Fernmeldedienstanbieter (Access Provider) und Anbieter von abgeleiteten Kommunikationsdiensten (Hosting Provider). Die Fernmeldedienstanbieter werden im Vorentwurf nicht definiert, weshalb für die Begriffsbestimmung wohl auf das Fernmeldegesetz zurückzugreifen wäre. Betreffend abgeleitete Kommunikationsdienste wird auf das revidierte Büpf verwiesen (siehe hierzu BR-News vom 18. April 2016). Der Anbieter eines WLAN-Zuganges ist hierbei nicht zwingend als Fernmeldedienstanbieter im Sinne des FMG zu qualifizieren. Ob damit der Anbieter eines WLAN-Zuganges gemäss zukünftigem Urheberrechtsgesetz Sperrpflichten unterliegt bzw. von der im Vorentwurf in Art. 66k VE-URG vorgesehenen Haftungsbeschränkung profitiert, ist im Einzelfall zu bestimmen. Anbieter, welche den WLAN-Zugang ausschliesslich in einem Gebäude anbieten (z.B. Hotels, Restaurants oder Verkaufsstellen) gelten nach Art. 2 FDV nicht als Fernmeldedienstanbieter und würden daher auch nicht unter die Definition der Access Provider nach dem VE-URG fallen. Diese Anbieter würden damit im Gegensatz zum vorangehend vorgestellten EuGH-Urteil weder Sperrpflichten unterliegen, noch von einem Haftungsprivileg profitieren. Hierbei ist festzuhalten, dass auch in der EU WLAN-Anbieter erst durch dieses neue Urteil des EuGH den Access Providern gleichgestellt wurden. Dies war vorher auch in der EU umstritten. Die Zuordnung von WLAN-Anbietern sollte im Zeichen der Rechtssicherheit auch in der schweizerischen Urheberrechtsgesetzrevision detaillierter geprüft werden.
Zuletzt ist noch auf Folgendes hinzuweisen: Im Begleitbericht zum Vorentwurf für das revidierte Urheberrechtsgesetz ist vorgesehen, dass Urheberrechtsinhaber beim Institut für Geistiges Eigentum (IGE) die Sperrung von urheberrechtswidrig zur Verfügung gestellten Inhalten verlangen können. Das IGE ordnet bei Erfüllung spezifischer Voraussetzungen die Sperre gegenüber Fernmeldedienstanbietern (Access Providern) oder Hosting Providern an. Im Zusammenhang mit der Sperranordnung gegenüber Access Providern (Art. 66d VE-URG) wird im Vorentwurf explizit darauf hingewiesen, dass die neu vorgesehen Möglichkeit der Sperre durch das IGE ein zivilrechtliches Vorgehen des Urheberrechtsinhabers nicht ausschliesst. Der Urheberrechtsinhaber kann jederzeit trotz der neuen Möglichkeiten zivilrechtliche Beseitigungs- oder Unterlassungsklagen initiieren. Bei diesen zivilrechtlichen Klagen gilt das vorgesehene Haftungsprivileg nach Art. 66k VE-URG nicht. Dies ergibt sich ebenfalls aus dem Begleitbericht. Die haftungsrechtliche Ausgangslage wäre damit wohl auch nach der geplanten Revision des URG nicht vollständig identisch mit derjenigen in der EU. Dies zumindest dann, wenn der Anbieter von WLAN-Diensten als Access Provider zu qualifizieren ist, was nach der vorliegenden Auffassung nicht immer der Fall ist.
Weitere Informationen:
- Urteil des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 15. September 2016 in der Rechtssache C-484/14
- Pressemittelung Nr. 99/16 des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 15. September 2016
- Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“)
- BR-News vom 18. April 2016