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Mit Bericht vom 2. Dezember 2022 hat der Bundesrat im Wesentlichen das lebensmittelbezogene Ampelsystem Nutri-Score befürwortet. Nun hat sich jedoch die ständerätliche Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK-S) kritisch über den Nutzen des Nutri-Scores geäussert. Die WBK-S hält in diesem Zusammenhang fest, dass in Zukunft – statt auf den Nutri-Score – vielmehr verstärkt auf die Lebensmittelpyramide gesetzt werden müsste. Da jedoch die Lebensmittelpyramide die jeweils evaluierten Lebensmittel nicht ausreichend detailliert bzw. kategorisch unterscheide (was zumindest beim Nutri-Score der Fall sei), wäre idealerweise auf ein kombiniertes Kennzeichnungsmodell abzustellen.
Mit dem Begriff ‹Nutri-Score‹ wird ein (aus rechtlicher Sicht freiwilliges) produktebezogenes Kennzeichnungselement bezeichnet, welches die Ausgewogenheit von Lebensmitteln über eine Farbskala bzw. ein Ampelsystem in den Abstufungen A (‹ausgewogen›) bis E (‹unausgewogen›) ausweist.1
(Abbildung der Ampel-Skala Nutri-Score)
Der Nutri-Score soll Konsumentinnen und Konsumenten helfen, ähnliche Lebensmittel auf effiziente Art miteinander zu vergleichen, um in der Folge entsprechend gesündere Alternativen unter den verglichenen Produkten schneller eruieren zu können. Verglichen werden ausschliesslich Lebensmittel der gleichen Kategorie (z.B. Tiefkühlpizzen). Der Nutri-Score folgt einer wissenschaftlich validierten Formel, wobei positive wie negative Aspekte eines Erzeugnisses miteinander verrechnet werden können (z.B. Anteil Gemüse und/oder Nüsse in Kompensation von Zucker und/oder Salz). Da der Nutri-Score im Gegensatz zur Zutatenliste und Nährwertdeklaration nicht rechtlich notwendig ist, kann dieser zu den erstgenannten Kennzeichnungselementen auf der Verpackung eines Lebensmittels hinzutreten.2
Der Nutri-Score wird berechnet, indem den als günstig bewerteten Nährstoffen und Inhaltsstoffen (d.h. ausgewählten Ölen, Nüssen, Obst, Gemüse, Ballaststoffen, Proteine) sog. Negativpunkte zugeschrieben werden. Gleichzeitig erhalten die als ungünstig bewerteten Nährstoffe wie Zucker, Energie (Kalorien), Natrium und gesättigte Fettsäuren sog. Positivpunkte. Der Nutri-Score wird in der Folge dadurch ermittelt, indem die Negativ- und Positivpunkte des betreffenden Lebensmittels miteinander verrechnet werden. Dabei fallen die Nähr- und Inhaltsstoffe bei der Berechnung unterschiedlich stark ins Gewicht. Je niedriger am Ende die Gesamtpunktzahl liegt, desto besser ist die produktebezogene Gesamtbewertung.
Regulierung des Nutri-Scores und deren Entwicklung
Am 26. Juni 2020 reichte Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-NR) das Postulat 20.3913 betreffend die Verbesserung der Wirksamkeit des Nutri Score ein. Insbesondere wurde der Bundesrat damit beauftragt, aufzuzeigen, unter welchen Voraussetzungen der Nutri-Score die Nährwertqualität des Warenkorbes möglichst wirksam beeinflussen kann.
Am 2. Dezember 2022 hat der Bundesrat in der Folge seinen Bericht in Erfüllung des Postulats 20.3913 der SGK-NR vom 26. Juni 2020 publiziert. Darin wird festgehalten, dass der Nutri-Score unter anderem als Massnahme dienlich sei, um die Ziele gemäss der Schweizer Ernährungsstrategie 2017-2024 umzusetzen.3 Schliesslich könne die Ausgewogenheit der Zusammensetzung eines Lebensmittels aus gesundheitlicher Sicht zwar mittels der obligatorischen Zutatenliste und Nähwertdeklaration beurteilt werden, jedoch sei die korrekte Interpretation der vorgeschrieben Lebensmittelkennzeichnung aufgrund der Komplexität oftmals nur durch Fachpersonen möglich. Der Nutri-Score sei eine Entscheidungshilfe für die gewöhnlich unter Zeitdruck stehenden Konsumentinnen und Konsumenten. Damit der Nutri-Score diese Aufgabe wirksam wahrnehmen könne, müsse dieser auf möglichst vielen Produkten angebracht sein und die Konsumentinnen und Konsumenten müssten gleichzeitig den Nutri-Score erkennen, verstehen und anwenden können. Entsprechend beschloss der Bundesrat, im Laufe des Jahres 2023 eine entsprechende Informationskampagne zu lancieren.
Der Nutri-Score ist eine freiwillige Kennzeichnung für Lebensmittel. Das Logo ist rechtlich geschützt. In der Schweiz wird der Nutri-Score vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) verwaltet, welches den Nutri-Score seit 2019 unterstützt.4 Unternehmen, welche den Nutri-Score auf ihren Lebensmitteln anbringen möchten, müssen sich beim BLV registrieren. Mit der Registrierungsbestätigung erhalten die Unternehmen die Berechnungstabelle, nach welcher sie den Nutri-Score für ihre Produkte zu berechnen haben. Anschliessend wird den Unternehmen gemäss Benutzungsreglement eine Frist von 24 Monaten gewährt, um das Logo auf allen Lebensmitteln für die unter eigener Marke in den Verkehr gebrachten Lebensmittelkategorien anzubringen. Ein Unternehmen kann sich hierbei dazu entschliessen, den Nutri-Score nur auf einigen von ihr in den Verkehr gebrachten Marken anzubringen.5
Die WBK-S forderte am 21. Februar 2023 den Bundesrat mit der Motion 23.018 dazu auf, den problematischen Einsatz des Nutri-Scores zu unterbinden und dazu die gesetzlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz von Nutri-Score so zu legen, dass die negativen Effekte von Nutri-Score vermieden werden. Der Nutri-Score sei zu stark vereinfacht, er berücksichtige wichtige Kriterien, wie Verarbeitungsgrad, Zusatzstoffe, Wertigkeit der Proteine, Vitamingehalt, Produktionsmethode und Herkunft nicht oder zu wenig. Dies sei Wettbewerbsverzerrend und benachteiligte bestimmte Lebensmittelproduzenten.
Der Bundesrat lehnte die Motion ab. Die Anwendung von Nutri-Score sei Sache der Unternehmen, müsse aber unter den Bedingungen von Santé Publique France erfolgen, die Eigentümerin der Marke Santé Public ist. Die Landesregierung sieht keinen Regelungsspielraum; eine Regulierung des Nutri-Scores würde vielmehr dazu führen, dass dieser in der Schweiz nicht mehr verwendet werden könnte. Die Befürchtung einer Benachteiligung konventioneller Lebensmittel wie Käse hält der Bundesrat folglich unter Verweis auf Studien für unbegründet. Schliesslich würden ab Ende 2023 ohnehin neu weiterentwickelte Nutri-Score Algorithmen in Kraft treten.6
Der Ständerrat seinerseits erachtet den Nutri-Score als problematisch und möchte Rahmenbedingungen für den Einsatz des Nutri-Scores schaffen. Nach der Annahme des Vorstosses durch den Ständerat am 6. Juni 2023 liegt das Geschäft nun beim Nationalrat.7
Täuscht der Nutri-Score?
Das Lebensmittelrecht bezweckt unter anderem, die Konsumentinnen und Konsumenten vor Täuschungen zu schützen sowie den Konsumentinnen und Konsumenten die für den Erwerb von Lebensmitteln notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen (vgl. Art. 1 lit. c und lit. d LMG). Sämtliche Angaben über Lebensmittel müssen den Tatsachen entsprechen; die Aufmachung, Kennzeichnung und Verpackung und die Werbung für Lebensmittel dürfen die Konsumentinnen und Konsumenten nicht täuschen (Art. 18 Abs. 1 und 2 LMG i.V.m. Art. 12 LGV). Täuschend sind namentlich Angaben, die geeignet sind, bei den Konsumentinnen und Konsumenten falsche Vorstellungen über Herstellung, Zusammensetzung, Beschaffenheit, Produktionsart, Haltbarkeit, Produktionsland, Herkunft der Rohstoffe oder Bestandteile, besondere Wirkungen oder besonderen Wert des Produkts zu wecken (Art. 18 Abs. 3 LMG).
Innerhalb einer Kategorie von Lebensmitteln kann der Nutri-Score eine falsche Vorstellung über den Nährwert eines Produkts schaffen, so zum Beispiel, wenn ein Cola Zero, bestehend aus etlichen Zusatzstoffen und Süssungsmitteln, ein Nutri-Score B hat, eine Apfelschorle bestehend aus Äpfeln hingegen lediglich ein Nutri-Score D. Auch kann der Nutri-Score gänzlich über die Beschaffenheit und Nähwertigkeit eines Produkts täuschen (so bei Olivenöl, welches bloss Olivenöl enthält), welches bekannt ist für seine gesundheitsfördernden Eigenschaften, dennoch ein Nutri-Score D aufweist. Unter diesen Gesichtspunkten kommt es daher nicht von ungefähr, dass bspw. Spanien den Nutri-Score für Olivenöl entfernt hat.
Diese Beispiele zeigen oberflächlich: Bei nüchterner Betrachtung kann ein Vergleich von unterschiedlichen Lebensmittelkategorien (auch wenn dieser prinzipiell vom Nutri-Score so nicht vorgesehen ist) durchaus dazu führen, dass Konsumentinnen und Konsumenten sich über die Eigenschaften eines bestimmten Produkts ein falsches Bild machen bzw. diesbezüglich «getäuscht» werden. Trotz dieser unliebsamen Nebenwirkungen darf jedoch grundsätzlich festgestellt werden, dass dem Nutri-Score mehr Aufmerksamkeit zukommt, als dies etwa für eine gewöhnliche rechtlich vorgeschriebene Zutatenliste oder Nährwertdeklaration gilt. Insofern bleibt es spannend und abzuwarten, ob durch eine mögliche künftige – vom Parlament angeordnete – Regulierung des Nutri-Scores in Verbindung mit der Lebensmittelpyramide sowie der Nährwertdeklaration ein sinnvoller Kompromiss gefunden werden kann, welcher sowohl für die Konsumentinnen und Konsumenten als auch für die Anbieter bzw. die Industrie annehmbar (und vor allem hilfreich) sein wird.
1 Vgl. hierzu die informative Übersicht des BLV (zuletzt eingesehen am 23. Juni 2023).
2 Vgl. etwa die weiterführenden Informationen der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (zuletzt eingesehen am 23. Juni 2023).
3 Vgl. hierzu die Informationen des BLV (zuletzt eingesehen am 23. Juni 2023); die Kernziele der Schweizer Ernährungsstrategie 2017-2024 sind (1.) Stärkung der Ernährungskompetenzen, (2.) Verbesserung der Rahmenbedingungen und (3.) Einbindung der Lebensmittelwirtschaft.
4 Vgl. Informationen zum Nutri-Score des BLV (zuletzt eingesehen am 23. Juni 2023).
5 Vgl. BLV Q&A zu den Berechnungsmodalitäten des Nutri-Scores (zuletzt eingesehen am 23. Juni 2023).
6 Vgl. Geschäftsübersicht im Bundesrat (zuletzt eingesehen am 23. Juni 2023)
7 Vgl. SDA-Meldung (zuletzt eingesehen am 23. Juni 2023).