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Mitte Juli hat die Schweizer Wettbewerbskommission (WEKO) ihr neues Regelwerk für den Kraftfahrzeugvertrieb in der Schweiz (sog. Kfz-Bekanntmachung) vorgestellt. Die überarbeitete Kfz-Bekanntmachung wird ab Januar 2016 die aus dem Jahr 2002 stammende Fassung ablösen. Damit schafft die WEKO mehr Klarheit und verzichtet zugleich – wie im letzten Dezember angekündigt – auf grundlegende Änderungen. Folglich hat die WEKO bewusst einige Abweichungen zum EU-Recht beibehalten, so namentlich die Vorschriften über Mindestkündigungsfristen bzw. Mindestvetragslaufzeiten und über den Mehrmarkenvertrieb. Problematisch ist allerdings eine neu geschaffene Ausnahme für die Ablehnung von Werkstätten.
Ausgangslage: Reform in der EU und neue CH-Praxis
In Anlehnung an die Vorgaben des EU-Kartellrechts hat die WEKO im Jahr 2002 zwei Regelwerke veröffentlicht: Zum einen die branchenübergreifende Vertikal-Bekanntmachung und zum anderen die branchenspezifische Kfz-Bekanntmachung. Mit letzterer sollte den Besonderheiten des Vertriebs von Kraftfahrzeugen Rechnung getragen werden. Grundlegender Unterschied gegenüber den Regelungen in der EU ist dabei, dass es sich bei den Bekanntmachungen nicht um rechtlich verbindliche Vorschriften handelt. Vielmehr erläutert die WEKO in der Kfz-Bekanntmachung„lediglich“, wie sie die allgemeinen Vorgaben des Schweizer Kartellgesetzes im Bereich des Automobilvertriebs interpretiert. Gerichte sind somit nicht an diese Interpretation der WEKO gebunden. In der Praxis sind die Regelwerke dennoch von grosser Bedeutung, halten sich doch die Marktakteure in der Regel daran.
Seit dem Erlass der ursprünglichen Fassung der Kfz-Bekanntmachung wurde im Jahre 2004 der für Vertriebssachverhalte (sog. vertikale Abreden) zentrale Art. 5 Abs. 4 in das Schweizer Kartellgesetz eingeführt. Dies hat insbesondere dazu geführt, dass bestimmte Abreden über die Vorgabe des Weiterverkaufspreises sowie gewisse Gebietsschutzabreden mit einer einschneidenden „Busse“ bestraft werden können. Anders als die Vertikal-Bekanntmachung der WEKO wurde das Regelwerk für den Kfz-Vertrieb in der Folge nicht revidiert. Wie der Leitentscheid der WEKO in Sachen BMW aus dem Jahr 2012 gezeigt hat, spielte die Kfz-Bekanntmachung bei der Beurteilung einer Abrede nach Art. 5 Abs. 4 KG denn auch praktisch keine Rolle mehr (vgl. BR-News vom 2. August 2012).
Darüber hinaus wurde das europäische Vorbild der Kfz-Bekanntmachung, die Kfz-GVO, nach Ablauf der einer Übergangsfrist Ende Mai 2013 grundlegend geändert. Zumindest im sog. Primärmarkt, d.h. beim Vertrieb neuer Kraftfahrzeuge, gelten seither die allgemeinen Vorgaben der sog. Vertikal–GVO (vgl. BR-News vom 3.7.2010). Dies führt dazu, dass den Herstellern bzw. Importeuren ab Juni 2013 mehr Flexibilität bei der Gestaltung ihrer Vertriebssysteme zugestanden wird und z.B. ein Verbot des Mehrmarkenvertriebs wieder zulässig ist. Zudem sind auch die bis anhin für unverzichtbar gehaltenen Händlerschutzvorschriften (v.a. die Vorschriften über die Mindestlaufzeit von Verträgen und die Kündigungsvorschriften) entfallen.
Entscheid für Beibehaltung im Dezember 2014
Ausgehend davon und angesichts der vorgeschlagenen Kartellgesetzrevision, welche mittlerweile abgelehnt wurde, hat die WEKO zunächst abgewartet und die Kfz-Bekanntmachung vorläufig nicht verändert. Im vergangenen Dezember beschloss die WEKO sodann, die Kfz-Bekanntmachung definitiv beizubehalten (vgl. BR-News vom 22. Dezember 2014).
Eckpunkte des neuen Regelwerks
Im neu vorgestellten Regelwerk und den überarbeiteten Erläuterungen zur Kfz-Bekanntmachung sind denn auch gegenüber der bisherigen Praxis (im Ergebnis) keine grundlegenden Änderungen enthalten. Mit der Überarbeitung wird vielmehr primär Klarheit geschaffen. So führt die Kfz-Bekanntmachung nach wie vor Beschränkungen in folgenden Bereichen auf, welche von der WEKO genauer geprüft werden:
- Beschränkungen betreffend den Bestimmungsort des Kraftfahrzeugs und die Garantie
- Beschränkungen betreffend Ersatzteilvertrieb und Erbringung von Reparaturdienstleistungen
- Beschränkungen betreffend den Zugang zu technischen Informationen, Werkzeugen und fachliche Unterweisungen
- Beschränkungen des Mehrmarkenvertriebs
- Beschränkungen bzw. Vorgaben hinsichtlich der Vertragsauflösung
Anders als in der noch bis Ende Jahr geltenden Fassung, werden die entsprechenden Beschränkungen jedoch nicht mehr als „in der Regel erhebliche und nicht gerechtfertigte Wettbewerbsbeschränkungen“ und damit nicht mehr als in der Regel unzulässig bezeichnet. Vielmehr werden sie als „qualitativ erhebliche Beschränkungen“ eingestuft. Die WEKO hält dabei ausdrücklich fest, dass auch hierbei die Zulässigkeit im Einzelfall zu prüfen ist. Dies bedeutet namentlich, dass unter anderem die Marktposition des Kfz-Anbieters und eine allfällige Rechtfertigung aus Gründen der wirtschaftlichen Effizienz zu beurteilen sind. Diese Beurteilung richtet sich nun nach der allgemeinen Vertikal-Bekanntmachung, wie bereits das Vorgehen der WEKO im Fall BMW gezeigt hatte.
Die Vertikal-Bekanntmachung hat künftig auch insofern mehr Gewicht für den Kfz-Sektor, als die darin enthaltenen weiteren kritischen Beschränkungen wie z.B. Vorgaben des Wiederverkaufspreises oder Vorgaben hinsichtlich des Wiederverkaufsgebiets nun ergänzend zur Anwendung gelangen. Die veralteten und teilweise unklaren Formulierungen in der bisherigen Kfz-Bekanntmachung wurden nicht übernommen.
Leasingunternehmen gelten auch als Endverbraucher
Darüber hinaus hat die WEKO in ihrer Erläuterungen zur Kfz-Bekanntmachungen nun ausdrücklich festgehalten, dass auch Leasingunternehmen als Endverbraucher gelten. Die zugelassenen Händler dürfen demnach auch nicht daran gehindert werden, neue Kraftfahrzeuge an Leasingunternehmen ihrer Wahl zu verkaufen, sofern diese die Fahrzeuge nicht als neue Kraftfahrzeuge weiterverkaufen.
Problematische neue Ausnahme für die Ablehnung von Werkstätten
Schliesslich bleibt auch auf dem Sekundärmarkt grundsätzlich alles beim Alten. So müssen alle jene Werkstätten, welche in der Lage sind, die vom Kfz-Anbieter vorgesehenen qualitativen (!) Kriterien erfüllen, die Möglichkeit haben, als zugelassen Werkstatt ins Werkstattnetz des Anbieters aufgenommen zu werden.
In den überarbeiteten Erläuterungen zur Kfz-Bekanntmachung hat die WEKO nun allerdings eine neue Ausnahme zu diesem Grundsatz eingefügt. Danach dürfen Kfz-Anbieter ausnahmsweise quantitative Kriterien festlegen, also Kriterien, welche die Zahl der Werkstätten unmittelbar beschränken. Hierfür verlangt die WEKO von den Kfz-Anbietern jedoch den Nachweis, dass „die Durchführbarkeit und die sachgemässe Ausführung der Reparatur- und Wartungsarbeiten durch die Zulassung von weiteren Werkstätten in ihrem Netz gefährdet wären.“ Dies soll nach Ansicht der WEKO z.B. dann der Fall sein, „wenn die zugelassenen Werkstätten in einem bestimmten Gebiet oder in einer bestimmten Aktivitätszone die wirtschaftlich verträgliche, maximale Anzahl erreicht haben.“
In der Praxis könnte dieser neue Ausnahmetatbestand für Bewerber um eine Zulassung als Werkstatt problematisch werden. Sofern sich der Kfz-Anbieter vorschnell auf diese Ausnahme beruft, müsste der Bewerber eine Aufnahme auf gerichtlichem Weg oder via WEKO erzwingen, was sehr kosten- und zeitinensiv sein wird. Es bleibt jedoch abzuwarten, in welchem Ausmass die Kfz-Anbieter sich auf die Ausnahme berufen werden und inwiefern dies von der WEKO in ihrer Praxis toleriert wird.
Weitere Informationen:
- Kfz-Bekanntmachung 2015
- Kfz-Bekanntmachung 2002
- Erläuterungen zur Kfz-Bekanntmachung 2015
- Erläuterungen zur Kfz-Bekanntmachung 2010
- Vertikal-Bekanntmachung
- Schweizer Kartellgesetz (KG)
Ansprechpartner: Lukas Bühlmann & Michael Schüepp