Kündigung im Mietrecht: Fristbeginn für die Einreichung eines Anfechtungs- oder Erstreckungsbegehrens / Verwendung eines veralteten Formulars


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Die 30-tägige Frist für die Einreichung eines Anfechtungs- oder Erstreckungsbegehrens des Mieters nach erfolgter Kündigung beginnt mit dem Empfang der Kündigung zu laufen (Art. 273 Abs. 1 und 2 OR). Massgeblich für den Fristbeginn ist, wann der Mieter das eingeschrieben versandte Kündigungsschreiben gemäss Abholungseinladung erstmals bei der Poststelle hätte abholen können (BGE 140 III 244 vom 19. Mai 2014). Der Gebrauch eines veralteten amtlichen Formulars für die Mitteilung der Kündigung hat keine Nichtigkeit zur Folge.

1. Sachverhalt

Dem Bundesgerichtsurteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Eigentümer vermieteten der Mieterin im März 2009 eine Wohnung im Kanton Waadt. Sie kündigten das Mietverhältnis mit eingeschriebenem Brief vom 11. Januar 2012 auf den nächstmöglichen Kündigungstermin, wobei sie ein veraltetes amtliches Formular verwendeten. Die eingeschriebene Kündigung konnte der Mieterin nicht ausgehändigt werden. Der Postbeamte legte ihr die Abholungseinladung am 12. Januar 2012 in den Briefkasten mit dem Hinweis, dass die Sendung ab 13. Januar 2012 beim Postschalter abgeholt werden könne. Die Mieterin holte das Kündigungsschreiben am 18. Januar 2012, d.h. am sechsten Tag der Abholfrist, ab. Am 17. Februar 2012, und damit am dreissigsten Tag nach erfolgter Abholung beim Postschalter, gelangte die Mieterin an die zuständige Schlichtungsbehörde und beantragte die Nichtigkeit und eventualiter die Aufhebung der Kündigung.

2. Beurteilung durch das Bundesgericht

Vom Bundesgericht zu entscheiden war einerseits, ob die Kündigung aufgrund der Verwendung eines veralteten amtlichen Formulars als nichtig zu betrachten ist, und andererseits – sofern die Kündigung gültig erfolgt ist –, ob der Antrag auf Aufhebung der Kündigung innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist von 30 Tagen nach Empfang der Kündigung erfolgt ist (Art. 273 Abs. 1 OR).

2.1 Keine Nichtigkeit der Kündigung aufgrund des Gebrauchs eines veralteten amtlichen Formulars

Nach Art. 266l Abs. 2 OR muss der Vermieter mit einem vom Kanton genehmigten Formular kündigen, welches angibt, wie der Mieter vorzugehen hat, wenn er die Kündigung anfechten oder die Erstreckung des Mietverhältnisses verlangen will. Die Kündigung des Vermieters ist nichtig, wenn sie dieser Vorgabe nicht entspricht (Art. 266o OR).

Für die Beurteilung der Gültigkeit der Kündigung stützt sich das Bundesgericht auf den Zweck des amtlichen Formulars. Die Folgen der Verwendung eines veralteten, vom Kanton genehmigten Formulars sind danach zu bestimmen, welchem Zweck die Pflicht zum Gebrauch des aktuell gültigen Formulars dient. Zweck des vorgeschriebenen amtlichen Formulars ist es, den Mieter über sein Recht zu informieren, die Kündigung anzufechten bzw. eine Erstreckung zu erlangen, sowie den Mieter darüber zu informieren, wie er vorzugehen und an welche Stelle er sich zu wenden hat und innerhalb welcher Frist, wenn er dieses Recht geltend machen möchte (Aufklärungsfunktion). Gemäss Bundesgericht kann das veraltete genehmigte Formular nur dann Nichtigkeit der Kündigung bewirken, wenn es nicht dieselben Informationen wie das aktuelle amtliche Formular enthält, welche den Anforderungen von Art. 266l OR und Art. 9 Abs. 1 VMWG genügen. Im vorliegend vom Bundesgericht zu beurteilenden Fall habe das veraltete Formular den Mieter aber genau gleich gut in Kenntnis darüber gesetzt, wie er vorgehen und an wen er sich wenden muss, um die Kündigung anzufechten bzw. eine Erstreckung zu verlangen, wie wenn das an sich zu gebrauchende neue Formular verwendet worden wäre. Deshalb sei die Kündigung formell gültig.

2.2 Fristbeginn des Anfechtungsbegehrens

Das Bundesgericht prüfte sodann die Frage, welches der Fristbeginn zur Erhebung der Anfechtungsklage gemäss Art. 273 Abs. 1 OR ist.

Bereits in BGE 137 III 208 hat das Bundesgericht ausführlich analysiert, wann eine Kündigung als empfangen gilt, d.h. wann die Mitteilung einer Willensäusserung eine Frist des materiellen Rechts auslöst. Es hat bestätigt, dass der Fristbeginn dem Zeitpunkt entspricht, in welchem die Willensäusserung in den Machtbereich des Empfängers oder seines Vertreters gelangt, so dass dieser bei üblichem Geschäftsgang davon Kenntnis nehmen kann (absolute Empfangstheorie). Kann die eingeschriebene Sendung dem Empfänger nicht ausgehändigt werden und hinterlässt der Postbeamte eine Abholungseinladung im Briefkasten oder Postfach, so gilt die Sendung als empfangen, sobald der Empfänger gemäss Abholungseinladung von der Sendung Kenntnis nehmen kann (so auch Urteil 4A_471/2013 vom 11. November 2013). Dabei handelt es sich entweder um den gleichen Tag, an welchem die Abholungseinladung im Briefkasten hinterlegt worden ist, wenn man vom Empfänger die unmittelbare Abholung erwarten kann, oder in der Regel um den Tag nach der Hinterlegung der Abholungseinladung. Ob bzw. wann der Empfänger tatsächlich Kenntnis von der Erklärung nimmt, ist für das Wirksamwerden nicht entscheidend. Die Mitteilung gilt als nicht wirksam zugegangen, wenn der Absender Kenntnis davon hat, dass der Empfänger in den Ferien oder abwesend ist.

Das Bundesgericht hat in seinem Urteil BGE 140 III 244 vom 19. Mai 2014 den Grundsatz der absoluten Empfangstheorie bestätigt und – entgegen der Auffassung der herrschenden Lehre und wohl mehrheitlichen kantonalen Gerichtspraxis – entschieden, dass die absolute Empfangstheorie auch zur Anwendung gelangt, um den Beginn der 30-tägigen Frist festzulegen, die für die Einreichung eines Anfechtungs- oder Erstreckungsbegehrens des Mieters nach erfolgter Kündigung gilt. Die absolute Empfangstheorie berücksichtige die gegenseitigen Interessen der Parteien, da der Absender das Risiko der Übermittlung der Sendung bis in den Machtbereich des Empfängers trägt, während der Empfänger das Risiko in seinem Machtbereich übernimmt. Im zugrundeliegenden Fall ist für den Beginn der 30-tägige Frist zur Anfechtung folglich massgebend, wann die Sendung in den Machtbereich der Mieterin gelangt ist. Die Sendung konnte am 13. Januar 2012 beim Postschalter abgeholt werden, weshalb die am 17. Februar 2012 erfolgte Anfechtung zu spät war.

Im Mietrecht hat das Bundesgericht aus Gründen des Mieterschutzes nur in zwei Ausnahmen die Abweichung vom Grundsatz der absoluten Empfangstheorie zugelassen, nämlich für die Mitteilung der Mietzinserhöhung gemäss Art. 269d OR und für die Zustellung der Zahlungsaufforderung gemäss Art. 257d Abs. 1 OR. In diesen Fällen hat sich das Bundesgericht für die relative Empfangstheorie ausgesprochen, gemäss welcher für den Empfang der Sendung auf den Zeitpunkt abgestellt wird, in welchem der Empfänger sie tatsächlich beim Postschalter abholt oder, falls dies nicht innerhalb der Abholfrist von sieben Tagen geschieht, am siebten und letzten Tag dieser Frist.

3. Bedeutung dieses Entscheids für Vermieter und Mieter

Vermieter, welche ein Mietverhältnis kündigen möchten, sollten hierfür ein aktuelles amtliches Formular verwenden. Aufgrund des an sich klaren Wortlautes von Art. 266l Abs. 2 OR, hätte das Bundesgericht durchaus auch anders entscheiden und die Nichtigkeit der Kündigung feststellen können. Es ist Vermietern daher zu empfehlen, nur aktuelle amtliche Formulare zu verwenden und sich nicht darauf zu verlassen, dass ein veraltetes amtliches Formular die gleichen Informationen enthält wie ein aktuelles amtliches Formular.

Mieter, denen ein Mietverhältnis gekündigt worden ist, sollten – um die Gefahr der Einreichung eines verspäteten Begehrens zu vermeiden – beachten, dass sowohl für die Fristberechnung zur Anfechtung der Kündigung (Art. 273 Abs. 1 OR) als auch für das Begehren um Erstreckung des Mietverhältnisses (Art. 273 Abs. 2 lit. a OR) die absolute Empfangstheorie massgebend ist. Die Fristen für die Anfechtung von Kündigungen und für Erstreckungsbegehren laufen bereits ab dem Zeitpunkt, in welchem die Kündigung in den Machtbereich des Mieters oder seines Vertreters gelangt, d.h. wenn diese gemäss Abholungseinladung bei der Poststelle abgeholt werden kann.


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