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Norm SIA 118, Allgemeine Bedingungen für Bauarbeiten, neu aufgelegt
Einleitung
Der Gesetzgeber hat den Werkvertrag im Schweizerischen Obligationenrecht äusserst knapp geregelt. Im Baubereich einigen sich die Parteien deshalb zur Ergänzung der allgemeinen Regelungen des gesetzlichen Werkvertrags häufig auf die vertragliche Übernahme eines konkretisierenden privaten Normenwerks. Besonderer Beliebtheit erfreut sich dabei in der Schweiz seit Jahrzehnten die ursprünglich aus dem Jahr 1977 stammende Norm 118 des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA), Allgemeine Bedingungen für Bauarbeiten. Nun hat der SIA die Norm 118 nach jahrelangen Vorarbeiten per 1. Januar2013 neu aufgelegt.
Der neu aufgelegten SIA 118:2013 liegt eine sanfte Revision zu Grunde, welche darauf abzielte, das Gleichgewicht zwischen Bauherren- und Unternehmerinteressen zu wahren. Die meisten Änderungen sind formeller Natur und betreffen sprachliche Anpassungen (bspw. konsequente Ersetzung des Begriffs der Garantiefrist mit jenem der Rügefrist) und Anpassungen an geänderte gesetzliche Grundlagen (bspw. im Zusammenhang mit der Gesetzgebung zum öffentlichen Beschaffungswesen, zur Mehrwertsteuer (MWSt) oder zum Zivilprozess). Die bisherige Artikelnummerierung wurde ebenfalls beibehalten.
In der Lehre wird zum Teil in Frage gestellt, ob das Revisionsziel der Wahrung des Gleichgewichts zwischen Bauherren- und Unternehmerinteressen durchwegs erreicht wurde und es wird die Auffassung vertreten, dass die inhaltlichen Anpassungen der neu aufgelegten SIA 118:2013 insgesamt zu einer (leichten) Gewichtsverschiebung zu Lasten des Bauherrn führen würden (vgl. Peter Reetz, Anwaltspraxis 6/7 2013, S. 285 ff. und 288).
Was ist neu?
In inhaltlicher Hinsicht sind insbesondere folgende Änderungen der Norm SIA 118:2013 gegenüber der Norm SIA 118:1977/1991 zu erwähnen:
- Gemäss Art. 5 muss der Bauherr vor der Ausschreibung nicht nur insbesondere die Beschaffenheit des Baugrundes, sondern neu auch ausdrücklich der bestehenden Bausubstanz ermitteln und das Ergebnis in den Ausschreibungsunterlagen festhalten. Gemäss Art. 7 umfassen die in den Ausschreibungsunterlagen enthaltenen besonderen Bestimmungen neu auch ausdrücklich spezielle Anforderungen an die Qualität, an die Organisation und an die seitens des Unternehmers zu beachtenden Arbeitsabläufe (Qualitätsmanagement).
- Art. 38 hält neu fest, dass bei einer Preisangabe, wenn nichts vereinbart ist, die MwSt als nicht eingerechnet gilt. Zudem wird neu ausdrücklich festgehalten, dass der Bauherr nur dann Anspruch auf einen Preisnachlass (Rabatt) oder einen Abzug für fristgerechte Bezahlung (Skonto) hat, wenn dies vereinbart ist.
- Art. 65 betreffend Teuerungsabrechnungsverfahren wurde angepasst und die Art. 69 bis 82 wurden aufgehoben.
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Im Bereich der Sicherheitsleistungen wurden die Mindest- und Höchstbeträge des Rückbehaltes (Art. 150) und der Solidarbürgschaft (Art. 181) der seit 1977 eingetretenen Teuerung angepasst. In Art. 181 Abs. 3 der Norm wird zudem neu explizit festgehalten, dass die Solidarbürgschaft für die Dauer der (zweijährigen) Rügefrist zu leisten ist und die Solidarbürgschaft bis zur vollständigen Mängelbehebung zu verlängern ist, falls vor Ablauf der Rügefrist gerügte Mängel bei Ablauf der Rügefrist noch nicht behoben sind.
Was gilt übergangsrechtlich?
Die Norm SIA 118 hat den Charakter von Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Um im Einzelfall Rechtswirkung zu entfalten, muss die Norm SIA 118 deshalb von den Vertragsparteien vertraglich übernommen werden.
Diese vertragliche Übernahme ist an keine besondere Formvorschrift gebunden und kann daher auch durch konkludentes Verhalten geschehen. In der Praxis erfolgt die Übernahme in der Regel im Rahmen einer schriftlichen Vereinbarung. Die Vertragsparteien sind dabei frei, ob sie die Norm SIA 118 insgesamt, nur in einzelnen Teilen oder in abgeänderter Form übernehmen wollen.
Die Vertragsparteien können auch frei vereinbaren, ob sie die neueste oder eine ältere Auflage der Norm SIA 118 übernehmen wollen. Denkbar ist auch, dass die Parteien in dem Sinn einen dynamischen Verweis auf die Norm SIA 118 vereinbaren, als sie die jeweils aktuellste Auflage der Norm auf ihr Vertragsverhältnis anwendbar erklären und sich damit auch nach Vertragsabschluss ergehenden Revisionen der Norm SIA 118 unterwerfen.
Halten die Vertragsparteien nicht explizit und klar fest, welche Auflage der Norm SIA 118 sie übernehmen, müssen die Gerichte im Streitfall durch Auslegung der Übernahmeerklärungen ermitteln, was im konkreten Einzelfall gilt. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass dabei mangels anderer Anhaltspunkte die Vermutung für die jeweils bei Übernahme der Norm SIA 118 aktuellste Version gelten dürfte (Peter Gauch, Der Werkvertrag, 5. Aufl. Zürich u.a. 2011, N 284).
Bei nach dem 1. Januar 2013 abgeschlossenen Werkverträgen, welche ohne genaue Bezeichnung der Ausgabe auf die Norm SIA 118 verweisen, dürfte die Auslegung der Übernahmeerklärungen (bis zum Inkrafttreten einer zukünftigen Auflage) regelmässig zur Anwendung der Norm SIA 118:2013, als der im Zeitpunkt der Übernahme aktuellsten Version, führen. Bei vor dem 1. Januar 2013 abgeschlossenen Werkverträgen, welche ohne genaue Bezeichnung der Auflage auf die Norm SIA 118 verweisen, dürfte die Auslegung der Übernahmeerklärungen regelmässig zur Anwendung der im Zeitpunkt der Übernahme aktuellsten Norm (also der Norm SIA 118:1977/1991 oder einer früheren Auflage) führen, es sei denn, die Auslegung würde ergeben, die Parteien hätten einen dynamischen Verweis vereinbart.
Um langwierige Streitigkeiten und Auslegungsschwierigkeiten zu vermeiden, ist es auf jeden Fall empfehlenswert, bei der Redaktion von Werkverträgen im Allgemeinen und bei der Übernahme (sowie der allfälligen Abänderung) der Norm SIA 118 im Besonderen Sorgfalt walten zu lassen.