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Mehrstufige Streitbeilegungsklauseln: Das Schweizerische Bundesgericht weist eine Beschwerde ab, mit der die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts angefochten wurde. Der Beschwerdeführer hatte sich in rechtsmissbräuchlicher Weise darauf berufen, dass vor dem Schiedsverfahren zwingend ein Schlichtungsverfahren durchzuführen sei.
Sachverhalt
Grundlage des vorliegenden Verfahrens war ein zwischen vier Parteien abgeschlossener Konsortialvertrag. Dieser enthielt eine Schiedsklausel, welche die folgende Passage enthielt:
«In jedem Fall ist vor Einleitung des Schiedsgerichtsverfahrens unter den Parteien ein Schlichtungsversuch vorzunehmen, welcher durch einen von den Parteien bestimmten Schlichter zu erfolgen hat. Ein allfälliger Vergleich vor dem Schlichter gilt als schiedsgerichtlicher Vergleich im Sinn der Prozessordnung.»
Innerhalb des Konsortiums kam es zu Differenzen, aufgrund derer ein Liquidationsverfahren eingeleitet wurde. In der Folge fand eine Sitzung zwischen den Parteien und dem Liquidator des Konsortiums statt. Gemäss Sitzungsprotokoll war das Ziel dieser Sitzung, «eine Lösung für die bestrittenen Forderungen zu finden». Aus dem Protokoll ging ferner hervor, dass die eingeklagte Forderung ein zentrales Thema im Rahmen der angestrebten Lösungsfindung war und dass es an der Sitzung darum ging, einen Vergleich zu erzielen. In Bezug auf das weitere Vorgehen wurde festgehalten: «Die Vergleichsgespräche sollen dann im Zeitraum von 2 Monaten, also ca. Anfang Juni abgeschlossen werden. Ansonsten werden die nächsten rechtlichen Schritte eingeleitet.»
Im Anschluss korrespondierten die Parteien während mehr als vier Monaten schriftlich via den Liquidator betreffend einen Vergleichsabschluss. Dabei konnte ebenfalls keine Einigung erzielt werden.
Daraufhin leiteten die Klägerinnen das Schiedsverfahren gegen die Beklagten ein. Diese beantragten, dass auf die Klage nicht einzutreten sei. Sie machten geltend, der in der Schiedsklausel vorgesehene Schlichtungsversuch sei nicht durchgeführt worden.
Entscheid des Schiedsgerichts
Mit einem Zwischenschiedsspruch wies das Schiedsgericht die Einrede der fehlenden Zuständigkeit ab. Es hielt fest, dass der Konsortialvertrag zwar vorsehe, dass «in jedem Fall» vor Einleitung des Schiedsverfahrens unter den Parteien ein Schlichtungsversuch vorzunehmen sei. Eine Auslegung der Klausel ergebe aber, dass hieran tiefe Anforderungen zu stellen seien; jeder Versuch, mittels einem von den Parteien ernannten Schlichter eine einvernehmliche Lösung zu finden, genüge. Insbesondere sei kein institutionelles Schlichtungs- oder Mediationsverfahren mit definiertem Regelwerk und keine bestimmte Frist für ein solches Verfahren festgelegt worden.
Das Schiedsgericht führte fort, die Sitzung im April 2018 und die nachfolgenden schriftlichen Vergleichsverhandlungen, je geleitet vom Liquidator, der konkludent zum Schlichter bestimmt worden sei, stellten einen Schlichtungsversuch im Sinne des Konsortialvertrags dar. Zudem schloss das Schiedsgericht, dass, auch wenn dem nicht so wäre, der Einwand des unterbliebenen Schlichtungsverfahrens des Beschwerdeführers als offensichtlich rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren sei.
Einer der beiden Beklagten erhob gegen diesen Schiedsspruch Beschwerde beim Schweizerischen Bundesgericht. Der Beschwerdeführer machte geltend, das Schiedsgericht habe sich zu Unrecht für zuständig erklärt, weil der in der Schiedsklausel vereinbarte Schlichtungsversuch nicht durchgeführt worden sei.
Entscheid des Bundesgerichts
Das Bundesgericht erläuterte einleitend, dass es die Rüge der Verletzung eines vertraglichen Streitbeilegungsmechanismus, der als Vorbedingung für ein Schiedsverfahren zwingend vorgesehen ist (wie etwa ein Schlichtungsverfahren), unter dem Blickwinkel der Zuständigkeit des Schiedsgerichts beurteile. Es verwies diesbezüglich auf seine frühere Rechtsprechung zu Art. 190 Abs. 2 IPRG im Rahmen der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (vgl. BGE 142 III 296 E. 2.2.). Dieser Grundsatz gilt gleichermassen für den Bereich der internen Schiedsgerichtsbarkeit (um einen solchen Fall handelte es sich vorliegend).
Unter Hinweis auf das Rechtsmissbrauchsverbot (Art. 2 Abs. 2 ZGB) erinnerte das Bundesgericht daran, dass allfällige Verfahrensmängel sofort vorzubringen seien und es unzulässig sei, Rügegründe gleichsam in Reserve zu halten, um diese bei ungünstigem Prozessverlauf und voraussehbarem Prozessverlust nachzuschieben. Gleich handle nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts rechtsmissbräuchlich, wer sich auf den fehlenden Schlichtungsversuch berufe, ohne vorgängig zum Schiedsverfahren ein Schlichtungsverfahren vorzuschlagen (BGer 4P.67/2003 E. 4, nicht publ. in: BGE 129 III 675; siehe ferner BGE 142 III 296 E. 2.4.3.1 und BGer 4A_46/2011 E. 3.5.). In diesem Zusammenhang verwies das Bundesgericht auf die differenzierende Meinung von Berger/Kellerhals hin, welche betonten, dass es grundsätzlich an der klagenden Partei sein müsse, einen vorgängigen Schlichtungsversuch einzuleiten. Die Verletzung dieser vertraglich vereinbarten Obliegenheit könne nicht allein deshalb als geheilt gelten, weil die beklagte Partei ihrerseits keine vorgängige Schlichtung initiiere (vgl. hierzu Berger/Kellerhals, International and Domestic Arbitration in Switzerland, 4. Auflage, 2021, N 583 ff.). Diese Meinung wurde jedoch im Entscheid nicht weiter thematisiert.
Das Bundesgericht stellte sodann fest, dass sich die Klägerinnen in der Zeit vor der Einleitung des Schiedsverfahrens bemüht hätten, eine Einigung zu finden. Es wies dabei auf die erwähnte Sitzung mit dem Liquidator hin, deren Ziel es gewesen sei, eine Lösung für die bestrittenen Forderungen zu finden, sowie auf die nachfolgende Korrespondenz betreffend einen Vergleichsabschluss, welche ergebnislos geblieben war.
Das Bundesgericht unterliess es jedoch in der Folge zu beurteilen, ob die erwähnte Sitzung und die anschliessende Korrespondenz effektiv einen Schlichtungsversuch im Sinne des Konsortialvertrages darstellten oder nicht. Gemäss dem Bundesgericht war vielmehr entscheidend, dass es am Beklagten gewesen wäre, ein seinen Vorstellungen entsprechendes Schlichtungsverfahren vorzuschlagen, wenn er der Meinung gewesen wäre, die bisherigen Einigungsbemühungen entsprächen nicht den Vorgaben des Konsortialvertrages. Dies gelte um so mehr, als die Klägerinnen ausdrücklich gerichtliche Schritte angekündigt hätten.
Das Bundesgericht hielt weiter fest, es erscheine mit Treu und Glauben nicht vereinbar, wenn der Beklagte zunächst die Einigungsbestrebungen der Klägerinnen abwarte, um nach Einleitung des Schiedsverfahrens zu monieren, der Schlichtungsversuch habe den Anforderungen nicht entsprochen. Sodann wies es darauf hin, dass der Beklagte im Schiedsverfahren den Vorschlag der Klägerinnen, anstelle der mündlichen Verhandlung einen Schlichtungsversuch (ohne Beteiligung des Schiedsgerichts) durchzuführen, ohne Weiteres abgelehnt hatte. Unter diesen Umständen verbiete es Art. 2 ZGB, sich im Nachhinein auf die Nichtausschöpfung des obligatorischen Schlichtungserfordernisses zu berufen.
Damit bestätigte das Bundesgericht den Entscheid des Schiedsgerichts, womit dieses sich für zuständig erklärt hatte, und wies die Beschwerde ab.
Kommentar
Grundsätzlich kann nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ein Schiedsentscheid wegen fehlender Zuständigkeit des Schiedsgerichts angefochten werden, wenn ein in der Schiedsvereinbarung vorgesehenes, dem Schiedsverfahren vorgelagertes Schlichtungs- oder Mediationsverfahren nicht durchgeführt worden ist. Gemäss dem Bundesgericht ist in Fällen, in welchen die Schiedsvereinbarung ein Schlichtungs- oder ein Mediationsverfahren vorsieht, zu prüfen:
- ob das vereinbarte Schlichtungs- oder Mediationsverfahren zwingender Natur ist,
- ob es korrekt durchgeführt worden ist, und
- ob sich die beschwerdeführende Partei auf eine unterbliebene oder mangelhafte Anwendung berufen kann, ohne rechtsmissbräuchlich zu handeln.
Wurde ein zwingend vorgesehenes Schlichtung- oder Mediationsverfahren nicht durchgeführt oder zu Unrecht vorzeitig beendigt, führt dies gemäss Bundesgericht aber nicht etwa zur Unzuständigkeit des Schiedsgerichts; vielmehr betrachtet das Bundesgericht in diesem Fall eine Sistierung des Schiedsverfahrens unter Ansetzung einer Frist, innert welcher die Parteien das Schlichtungsverfahren durchzuführen haben, als geeignetste Sanktion (vgl. BGE 142 III 296 E. 2.4.4.1).
Trotz dieser im Grundsatz geltenden Praxis reiht sich der besprochene Entscheid in eine Reihe mit bisherigen Entscheiden ein, in welchen das Bundesgericht den beanstandeten Schiedsentscheid nicht aufhob. Es kam in der Vergangenheit regelmässig zum Schluss, dass das vereinbarte Schlichtungsverfahren nicht verbindlich gewesen sei (BGer 4A_18/2007 E. 4.3.2.; BGer 4A_46/2011 E. 3.5.) und/oder eine Berufung auf die unterbliebene Durchführung des Schlichtungsverfahrens rechtsmissbräuchlich sei (BGer 4A_18/2007 E. 4.3.3.1; BGer 4A_46/2011 E. 3.5; 4A_124/2014 E. 3.5.).
Insbesondere bestätigt der vorliegende Entscheid den bereits 2003 ergangenen Entscheid BGer 4P.67/2003 (teilweise veröffentlicht in BGE 129 III 675). Bereits dort hielt das Bundesgericht fest:
«Ob tatsächlich eine Schlichtungsvereinbarung vorliegt, kann offen bleiben, da die Beschwerdeführerin, wenn sie an einem Schlichtungsverfahren interessiert gewesen wäre, der Beschwerdegegnerin die Durchführung eines solchen Verfahrens hätte vorschlagen können. Da die Beschwerdeführerin dies nicht getan hat und sie im vorliegenden Verfahren ihre fehlende Vergleichsbereitschaft klar zum Ausdruck bringt, ist der Einwand des fehlenden Schlichtungsverfahrens mangels eines schützenswerten Interesses als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren und damit nicht zu hören.»
Soweit ersichtlich wurde bislang nur einmal ein Schiedsentscheid aufgrund einer Missachtung des vereinbarten Schlichtungsmechanismus aufgehoben (BGer 4A_628/2015). Im dortigen Verfahren hatten die Parteien die Anwendung des ADR-Schlichtungsverfahrens der ICC vor Einleitung eines Schiedsverfahrens vereinbart. Die Klägerin leitete zwar nach dem Entstehen von Differenzen das ADR-Schlichtungsverfahren ein. In der Folge aber, aus der Klägerin anzulastenden Gründen, konnte die in Art. 5 Abs. 1 der ADR-Regeln vorgesehene Diskussion nicht stattfinden, woraufhin die Klägerin das Schiedsverfahren einleitete. Die Beklagte erhob sowohl im Schlichtungsverfahren, als auch direkt zu Beginn des Schiedsverfahrens den Einwand, es sei vorgängig ein Schlichtungsverfahren zu führen; sie sei dazu bereit. Das Bundesgericht kam in der Folge zum Schluss, dass gemäss den ADR-Regeln eine Diskussion zwingend hätte stattfinden müssen, bevor die Schlichtung abgebrochen und ohne Einigung hätte beendet werden können. Im Verhalten der Beklagten sei sodann kein Rechtsmissbrauch zu erkennen, da diese immer das aus ihrer Sicht fehlende Schlichtungsverfahren beanstandet habe.
Konkret betont das Bundesgericht mit dem vorliegend diskutierten Entscheid nochmals, dass diejenige Partei, welche auf der vorgängigen Durchführung eines Schlichtungsverfahrens bestehen möchte, dieses nicht nur generell einfordern, sondern gegebenenfalls auch konkretisieren muss, wie das gemäss ihrem Verständnis durchzuführende Verfahren auszugestalten sei. Insbesondere bei vage formulierten Schlichtungsabreden, welche das Schlichtungsverfahren gar nicht oder nur rudimentär definieren, läuft sie ansonsten die Gefahr, ihr Recht auf das Schlichtungsverfahren zu verlieren (vgl. u.a. BGer 4A_46/2011).
Die Auffassung von Berger/Kellerhals, welche betonten, dass es grundsätzlich an der klagenden Partei sein müsse, einen vorgängigen Schlichtungsversuch einzuleiten, weswegen die Verletzung dieser vertraglich vereinbarten Obliegenheit nicht allein deshalb als geheilt gelten könne, weil die beklagte Partei ihrerseits keine vorgängige Schlichtung initiiere (Berger/Kellerhals, a.a.O, N 583 ff.), wird vom Bundesgericht wie schon in BGer 4A_628/2015 wiederum erwähnt, führte aber auch vorliegend zu keinem anderen Ergebnis.
Klicken Sie hier um das Urteil des Bundesgerichts 4A_90/2021 vom 9. September 2021 einzusehen.