Ihr Kontakt
In der Schweiz sind über 12’000 gemeinnützige Stiftungen aktiv. Diese Stiftungen finanzieren sich in erster Linie durch das Stiftungsvermögen bei Gründung und durch Spenden und andere unentgeltliche Zuwendungen. Viele Stiftungen erwirtschaften aber auch Erträge aus dem Handel mit Produkten und der Erbringung von Dienstleistungen. Die entsprechenden Gewinne werden wiederum dem Stiftungszweck zugeführt, mithin im Rahmen des gemeinnützigen Zwecks eingesetzt. Eine kürzlich veröffentlichte Praxis der Eidgenössischen Steuerverwaltung kann solche Stiftungen nun viel Geld kosten.
Gemeinnützige Stiftungen im Mehrwertsteuerrecht
Ist eine gemeinnützige Stiftung unternehmerisch – z.B. im Handel mit Merchandise-Produkten oder dem Vertrieb von nachhaltigen Produkten – tätig, wird sie grundsätzlich auch mehrwertsteuerpflichtig. Sie hat dann auf ihren Handels- und Dienstleistungserträgen die Mehrwertsteuer zum jeweils anwendbaren Steuersatz zu erheben. Auf der anderen Seite kann diese Stiftung aber die ihr in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer wiederum als Vorsteuer geltend machen.
In der Praxis kann dies dazu führen, dass die unternehmerisch tätige Stiftung günstiger einkaufen kann als eine Stiftung, welche ausschliesslich durch Spenden finanziert wird. Letztere dürfte nämlich regelmässig nicht als Unternehmer qualifizieren und entsprechend nicht der subjektiven Mehrwertsteuerpflicht unterliegen. Konsequenterweise wird sie auch keine Möglichkeit haben, den Vorsteuerabzug auf ihren Aufwendungen (z.B. Druck von Broschüren, Einkauf von Büromaterial oder Infrastruktur) geltend zu machen.
Das Bundesgesetz über die Mehrwertsteuer (MWSTG) sieht vor, dass gemeinnützige Institutionen aber nur dann kraft Gesetz mehrwertsteuerpflichtig werden, wenn ihr Umsatz aus steuerbaren Leistungen den Betrag von CHF 150’000 übersteigt. Wird dieser Umsatz nicht erreicht, kann die gemeinnützige Stiftung aber freiwillig auf diese Befreiung von der Steuerpflicht verzichten. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass Spenden als sog. Nicht-Entgelte qualifizieren. Sie sind somit mehrwertsteuerlich grundsätzlich unbeachtlich.
Unternehmerqualität
Damit aber eine Mehrwertsteuerpflicht entstehen kann, wird nach Art. 10 Abs. 1 MWSTG vorausgesetzt, dass eine unternehmerische Tätigkeit ausgeübt wird. Das Gesetz umschreibt die unternehmerische Tätigkeit als eine auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen aus Leistungen ausgerichtete berufliche oder gewerbliche Tätigkeit. Eine griffigere Definition lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen. Die Gewinnstrebigkeit ist nicht Voraussetzung der unternehmerischen Tätigkeit und damit der Mehrwertsteuerpflicht.
Die Botschaft des Bundesrates zum Entwurf des MWSTG äussert sich wie folgt zum Unternehmerbegriff: Die Tätigkeit des Unternehmers muss einerseits nachhaltig sein, das heisst darauf ausgerichtet sein, über eine gewisse Dauer durch planmässiges Vorgehen Einnahmen aus Leistungen zu erzielen, und andererseits beruflicher oder gewerblicher Natur sein. Es muss sich sodann um eine wirtschaftliche Tätigkeit handeln, also um die Produktion von oder den Handel mit Gütern oder das Erbringen von Dienstleistungen, die für den Austausch auf dem Markt oder für den persönlichen Konsum bestimmt sind. Die Tätigkeit muss ausserdem selbstständig ausgeübt werden, weshalb Lohnempfänger, die durch einen Arbeitsvertrag mit dem Arbeitgeber gebunden sind, nicht mehrwertsteuerpflichtig werden. Vorstehende Ausführungen lassen erkennen, dass der Unternehmerbegriff im Mehrwertsteuerrecht weiter ist als im allgemeinen Sprachgebrauch. Auch die betriebswirtschaftliche Definition des Unternehmens bzw. des Unternehmers ist enger gefasst als bei der Mehrwertsteuer.
Da mit der Revision des Schweizer Mehrwertsteuersystems auch eine weitgehende Angleichung mit dem in der EU geltenden System angestrebt wurde, lohnt hinsichtlich des Unternehmensbegriffs auch ein Blick über die Grenze. In der EU gilt nämlich grundsätzlich jede Produktions- oder Handelsaktivität sowie jede Dienstleistungserbringung als wirtschaftliche Aktivität, welche die Mehrwertsteuerpflicht auslöst. Auch in der EU gelten, je nach Mitgliedsstaat, allerdings gewisse Umsatzschwellen.
Weder dem MWSTG noch den Materialien ist eine Einschränkung zu entnehmen, wonach gewisse Wirtschaftsaktivitäten nicht als unternehmerisch gelten würden. Somit können grundsätzlich auch gemeinnützige Stiftungen mehrwertsteuerpflichtig sein und im Einzelfall vom Vorsteuerabzug profitieren.
Praxis der Eidgenössischen Steuerverwaltung
Die Vorsteuerabzugsberechtigung von gemeinnützigen Stiftungen wurde im Einzelfall auch durch die Eidgenössische Steuerverwaltung (ESTV) bestätigt. Mit der Veröffentlichung der MWST-Praxis-Info 04 hat die ESTV aber ihre Auffassung bezüglich des Begriffs der unternehmerischen Tätigkeit präzisiert.
Das MWSTG knüpft die unternehmerische Tätigkeit an die Ausrichtung auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen aus Leistungen an. Daraus geht hervor, dass jemand, der sich ausschliesslich mit Nicht-Entgelten (Spenden, Subventionen) finanziert und für seine Leistungen kein eigentliches Entgelt vereinnahmt, nicht unternehmerisch tätig ist. In diesem Fall ist die Steuerpflicht ausgeschlossen.
Nach Auffassung der ESTV heisst dies aber auch, dass wenn zwar Einnahmen aus Leistungen erzielt werden, diese jedoch lediglich eindeutig untergeordneter Natur sind, nicht von einer Ausrichtung auf die Erzielung von Einnahmen aus Leistungen gesprochen werden kann. Nach der publizierten Praxis der ESTV ist die Ausrichtung auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen zu verneinen, wenn eine gemeinnützige Stiftung zu mehr als 75% durch Spenden, Subventionen und anderen Zuwendungen finanziert wird.
Mit anderen Worten kann eine gemeinnützige Stiftung, welche sich lediglich zu 25% oder weniger durch die eigene unternehmerische Tätigkeit finanziert, nicht mehr Subjekt der Mehrwertsteuer sein und entsprechend auf ihren Aufwendungen auch keine Vorsteuer geltend machen. Es ist davon auszugehen, dass dies auf die grosse Mehrzahl der Stiftungen in der Schweiz zutrifft.
Entsprechend dürfte die Mehrheit der gemeinnützigen Stiftungen in der Schweiz nicht mehr der Mehrwertsteuer unterstehen. Das bedeutet, dass diese Stiftungen höhere Kosten haben werden, da sie eben nicht mehr vom Vorsteuerabzug profitieren können.
Zeitliche Wirkung der Praxis
Nach Auffassung der ESTV gilt diese Praxis seit Inkrafttreten des neuen MWSTG per 1. Januar 2010, auch wenn die Praxisfestlegung erst im Jahr 2012 erfolgte. Die ESTV erwartet nun von den betroffenen Stiftungen, dass diese die in der Vergangenheit geltend gemachten Vorsteuern korrigieren, oder anders gesagt, der ESTV zurückerstatten. Das bringt wohl einige betroffene Stiftungen in eine schwierige Situation. Es ist nämlich davon auszugehen, dass die entsprechenden finanziellen Mittel ganz oder zumindest teilweise bereits dem gemeinnützigen Zweck zugeführt wurden. Für diese Stiftungen entsteht nun eine wohl unbudgetierte Ausgabenposition, welche in der Regel über neu eingenommene Spendengelder finanziert werden muss.
Kritische Würdigung
Die Praxis der ESTV ist in zweierlei Hinsicht zu kritisieren.
Einerseits ist die Praxis der ESTV nach Ansicht des Autors an sich abzulehnen. Das MWSTG knüpft zur Beurteilung der Steuerpflicht ausschliesslich an die Unternehmensqualität an. Quantitative Elemente lassen sich weder dem Gesetz noch den Materialien entnehmen. Die Unternehmensqualität wiederum liegt grundsätzlich vor, wenn eine selbständige, auf die nachhaltige Erzielung von Einnahmen aus Leistungen ausgerichtete Tätigkeit verfolgt wird. Art. 18 Abs. 2 lit. d qualifiziert Spenden ausdrücklich als Nicht-Entgelte, weil es eben an der Leistung (des Unternehmens bzw. der Stiftung) fehlt. Daraus erhellt, dass die ESTV einer ausschliesslich spendenfinanzierten gemeinnützigen Stiftung die Eintragung in das Register der Mehrwertsteuerpflichtigen wohl zu Recht verweigert. Eine solche Stiftung ist nämlich gerade nicht unternehmerisch tätig, da es an der Erbringung von Leistung gegen Entgelt fehlt. Eine gemeinnützige Stiftung, welche aber neben Spendeneinnahmen auch Leistungen am Markt gegen Entgelt erbringt, ist im Sinne des MWSTG unternehmerisch tätig. In welchem Verhältnis die Nicht-Entgelte (Spenden) zu den Entgelten (Einnahmen aus unternehmerischer Tätigkeit) stehen, kann dabei keine Rolle spielen. Sämtliche vom Gesetz genannten Voraussetzungen für die Mehrwertsteuerpflicht sind nämlich erfüllt.
Zum anderen ist die gemäss ESTV rückwirkende Anwendung dieser Praxis nach Auffassung des Autors zumindest fragwürdig. Betroffene Stiftungen haben sich auf den Wortlaut des Gesetzes verlassen und in guten Treuen den Vorsteuerabzug geltend gemacht. Wäre bereits ab Inkrafttreten des MWSTG klar gewesen, dass die ESTV diese Abzüge verweigern würde, hätten die Stiftungen wohl anders kalkulieren müssen bzw. weniger Mittel zur Verfolgung ihres gemeinnützigen Zwecks bereitstellen können. Vor diesem Hintergrund ist eine Rückwirkung rechtsstaatlich bedenklich.
Die ESTV stellt sich auf den Standpunkt, dass die Festlegung des 25%/75%-Kriteriums eine erstmalige Äusserung der Verwaltung zur entsprechenden Fragestellung darstellt. Entsprechend liege keine eigentliche Rückwirkung vor. Dem lässt sich entgegenhalten, dass sich die ESTV – wenn auch nur in konkreten Einzelfällen – sehr wohl zur Vorsteuerabzugsberechtigung von gemeinnützigen Stiftungen geäussert und die Berechtigung bejaht hat. Inwieweit solche Äusserungen für die ESTV verbindlich sind, müsste im Einzelfall wohl gerichtlich überprüft werden. In Fällen, bei denen keine ausdrückliche Äusserung der ESTV besteht, wird es für betroffene gemeinnützige Stiftungen voraussichtlich erheblich schwieriger, die rückwirkende Verweigerung des Vorsteuerabzugs anzufechten.
Handlungsbedarf für betroffene Stiftungen
Stiftungen, welche bis anhin einen Vorsteuerabzug geltend gemacht haben, sollten mit ihrem Steuerberater das Risiko für die Vergangenheit und die Strategie für die Zukunft analysieren. Zudem sei in Erinnerung gerufen, dass Praxisfestlegungen bzw. entsprechende Publikationen der ESTV lediglich Meinungsäusserungen der Verwaltung darstellen. Diese sind für die Justizbehörden grundsätzlich nicht verbindlich und können durch diese umgestossen werden. Im Einzelfall kann es sich daher durchaus lohnen, die Erfolgschancen vor Gericht konkret zu prüfen.