Möglichkeiten zur Änderung und Aufhebung von Verträgen aufgrund der COVID-19 Krise?


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Die aktuelle Corona-Krise wirft eine Vielzahl von rechtlichen Fragestellungen auf. Bislang wurden in der Presse vor allem die Auswirkungen der Krise auf Miet- und Arbeitsverhältnisse diskutiert. Aufgrund der tiefgreifenden Einschnitte in das private, öffentliche und wirtschaftliche Leben stellt sich jedoch bezüglich einer Vielzahl von Vertragsarten und -typen die Frage, wie diese durch die Krise betroffen sind.

Insbesondere stellen sich viele Unternehmen vor dem Hintergrund sich verschärfender Liquiditätsengpässe die Frage, inwieweit sie an nutzlos oder unmöglich gewordene Verträge gebunden sind und ob sie diese allenfalls an die aktuelle Situation anpassen können. Es sei hier nur eine kleine Zahl von Beispielen genannt: Gastronomen, welche schon bestellte Lebensmittel nicht mehr verwenden können, Transportunternehmen, welche keine Waren mehr ausliefern können, Konzertveranstalter, die in den reservierten Räumlichkeiten keine Konzerte mehr durchführen können etc.

Im Folgenden sollen deshalb verschiedene Möglichkeiten zur (einseitigen) Änderung oder Aufhebung von Vertragsverhältnissen besprochen werden:

1. Gemeinsame Übereinkunft

Die Parteien eines Vertrages können diesen grundsätzlich jederzeit gemeinsam abändern oder aufheben. Eine gemeinsame Lösung ist meist am einfachsten, schnellsten und birgt das geringste Konfliktpotenzial. Auch lassen sich damit die wirtschaftlichen Folgen der Krise am fairsten auf beide Vertragsparteien verteilen. In der Regel ist daher eine einvernehmliche Lösung stets zu bevorzugen. Um späteren Vertragsstreitigkeiten vorzubeugen, ist eine schriftliche Abfassung der gemeinsamen Übereinkunft zu empfehlen.

2. Vertragsanpassung – Clausula rebus sic stantibus

In der schweizerischen Lehre und Praxis ist anerkannt, dass Verträge nachträglich durch ein Gericht abgeändert werden können, wenn durch eine Veränderung der Verhältnisse die Erfüllung des Vertrages zumindest für eine Partei nicht mehr zumutbar erscheint. Der Hauptfall besteht in einer gravierenden Störung des Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung. In den Worten des Bundesgerichts ist ein Vertrag dann abzuändern oder gar aufzuheben, wenn durch nachträgliche, nicht voraussehbare Umstände ein derart offenbares Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung eingetreten ist, dass das Beharren einer Partei auf ihrem Anspruch als missbräuchlich erscheint (BGE 97 II 398).

Der angerufene Richter hat das Vertragsverhältnis den aktuellen, geänderten Verhältnissen anzupassen. Es können hierfür nicht nur wertmässige Anpassungen vorgenommen werden, sondern auch Pflichten geändert oder, im Extremfall, der Vertrag aufgehoben werden. Die zu erfüllenden Voraussetzungen für eine richterliche Vertragsanpassung sind:

  • Eine Veränderung der Verhältnisse nach Vertragsabschluss,
  • welche nach gewöhnlichem Lauf der Dinge vernünftigerweise nicht voraussehbar gewesen sein darf und die
  • eine schwerwiegende Störung des Vertragsverhältnisses verursacht.

Vor dem Hintergrund, das kaum jemand ernsthaft behaupten wird, dass die Krise oder deren Auswirkungen voraussehbar gewesen seien, scheint die richterliche Vertragsanpassung auf den ersten Blick als geeignetes Werkzeug zur Anpassung von krisengestörten Verträgen. Eine tatsächliche Geltendmachung muss allerdings sorgfältig für jeden Einzelfall abgewogen werden, da sich diverse rechtliche Probleme stellen.

Vor allem bei (unbefristeten) Dauerschuldverhältnissen stellt sich die Frage, ab welcher Krisendauer und welcher Intensität von wirtschaftlichen Einschränkungen überhaupt eine derart schwerwiegende Vertragsstörung vorliegen wird, dass eine richterliche Vertragsänderung als angemessen erscheint. Auch bei der Durchsetzung einer Vertragsanpassung bestehen verschiedene Hürden. Die Vertragsanpassung ist durch ein Gericht vorzunehmen, weshalb eine entsprechende Klage einzureichen ist. Eine solche könnte aber aus zivilprozessualen Gründen wohl kaum innert einer sinnvollen Frist zur kurzfristigen Anpassung von krisenbedingt gestörten Vertragsverhältnissen behandelt werden. Allenfalls könnte das Instrument der richterlichen Vertragsanpassung aber in Zukunft dazu dienen, Verträge, die durch anhaltende Nach- bzw. Auswirkungen der Corona-Krise längerfristig gestört wurden, der gegebenen Situation anzupassen.

So oder anders, betroffene Parteien müssen sich grundsätzlich bewusst sein, dass sich eine klageweise Durchsetzung einer Vertragsanpassung wohl kaum förderlich auf die zukünftige Beziehung zur Gegenpartei auswirken wird.

3. Recht zur Vertragsauflösung aus wichtigem Grund

Bei Dauerschuldverhältnissen besteht gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ein Recht zur Vertragsauflösung aus wichtigem Grund (vgl. z.B. BGE 138 III 304). Eine Vertragspartei kann ein Dauerschuldverhältnis kündigen, wenn die Bindung daran für sie aus wirtschaftlichen oder persönlichen Gründen unzumutbar geworden ist (vgl. BGE 128 III 428). Konkret muss es der Vertragspartei nicht zumutbar sein, den Endtermin eines befristeten Vertragsverhältnisses oder den Ablauf der Kündigungsfrist eines unbefristeten Vertrages abzuwarten (BGer 4A_148/2011 E. 4.3.1). Vorbehalten anderslautender gesetzlicher Bestimmungen, ist eine fristlose Kündigung möglich (vgl. BGE 138 III 304).

Auch die Vertragsauflösung aus wichtigem Grund ist in der vorliegenden Krisensituation nur bedingt hilfreich. Angesichts der unbekannten Dauer der Krise und der hoffentlich nicht in allzu ferner Zukunft liegenden Rückkehr zum Normalzustand muss im Einzelfall abwogen werden, ob es für eine Partei wirklich unzumutbar ist, den Endtermin oder die Kündigungsfrist des Vertrages abzuwarten. Sodann kann davon ausgegangen werden, dass die meisten Parteien eines Dauerschuldverhältnisses grundsätzlich an dessen Weitergeltung nach der Krise interessiert sind. Mit der Kündigung fällt das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien vollumfänglich dahin und es müsste nach der Krise ein neuer Vertrag ausgehandelt werden. Ob die Gegenpartei hieran interessiert ist, scheint fraglich, wenn die wirtschaftlichen Folgen der Krise durch die Kündigung weitestgehend auf sie abgewälzt werden.

4. Unmöglichkeit

Im Moment sind diverse wirtschaftliche Tätigkeiten mit behördlichen Verboten belegt und damit aus rechtlicher Sicht unmöglich geworden, z.B. der Betrieb eines Restaurants. Faktisch unmöglich geworden sind auch damit in Zusammenhang stehende Geschäftstätigkeiten – so kann beispielsweise ein Gemüsegrosshändler ein geschlossenes Restaurant nicht mehr beliefern. Zudem sind gewisse Vertragspflichten zwar noch möglich, haben jedoch ihren wirtschaftlichen Wert völlig verloren. Im allgemeinen Teil des schweizerischen Obligationenrechts finden sich vornehmlich zwei Bestimmungen zur Unmöglichkeit einer Leistung:

Gemäss Art. 119 OR erlischt eine Forderung, wenn sie durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, unmöglich geworden ist. Der Schuldner muss seine Leistung nicht mehr erbringen und verliert seine Gegenforderung. Sollte er bereits eine Gegenleistung erhalten haben, muss er diese zurückerstatten. Nach Art. 97 OR ist bei unverschuldeter Unmöglichkeit auch kein Schadenersatz geschuldet. Es spielt nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung keine Rolle, ob eine objektive Unmöglichkeit (niemand kann die Leistung erbringen), oder eine subjektive Unmöglichkeit (der konkrete Schuldner kann die Leistung nicht mehr erbringen) vorliegt. Unter die subjektive Unmöglichkeit fallen gemäss Lehre und Rechtsprechung nicht nur Fälle, in denen ein Schuldner effektiv nicht mehr leisten kann, sondern auch solche, in denen die Vertragserfüllung für den Schuldner unerschwinglich geworden ist. Blosse Schwierigkeiten oder Unannehmlichkeiten bei der Erfüllung eines Vertrages vermögen allerdings noch keine Unmöglichkeit zu begründen. Erst wenn die zur Erfüllung erforderlichen Mühen und Aufwendungen in keinem vernünftigen Verhältnis zum Wert der Leistung stehen, wird eine der Unmöglichkeit gleichstehende Unerschwinglichkeit angenommen (BSK OR I-WIEGAND, Art. 97 N 14). Das Bundesgericht geht von einem Fall der Unmöglichkeit aus, wenn die weitere Erfüllung eines Vertrages nach Treu und Glauben nicht mehr zumutbar ist (BGE 135 III 212, BGE 82 II 332).

Für die Anwendbarkeit von Art. 119 OR und Art. 97 OR muss eine dauernde Unmöglichkeit vorliegen, nicht nur eine vorübergehende. Von dauernder Unmöglichkeit ist auszugehen, wenn diese nicht in absehbarer Zukunft behebbar scheint. Bei lediglich vorübergehenden Leistungshindernissen liegt ein Fall von Schuldnerverzug vor.

Mit Blick auf die aktuell geltenden weitreichenden Verbote kann eine Berufung auf Unmöglichkeit durchaus mit guten Erfolgschancen verbunden sein. Es gilt allerdings die genauen Umstände sorgfältig zu prüfen, insbesondere, ob tatsächlich eine dauerhafte Unmöglichkeit vorliegt. Eine solche wird aufgrund der hoffentlich absehbaren Dauer der Krise wohl vorerst vor allem bei Verfalltagsgeschäften anzunehmen sein. Bei Dauerschuldverhältnissen kann unter Umständen argumentiert werden, dass gewisse Teilleistungen während der Krise unmöglich geworden sind

5. Grundlagenirrtum über zukünftige Sachverhalte

Nach Art. 23 OR ist ein Vertrag für denjenigen unverbindlich, der sich beim Vertragsschluss in einem wesentlichen Irrtum befand. Als wesentlich gilt ein Irrtum, wenn er einen bestimmten Sachverhalt betraf, der vom Irrenden nach Treu und Glauben als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurde. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung kann sich ein Irrtum auch auf eine zukünftige Tatsache beziehen, jedoch nur, wenn diese Tatsache im Zeitpunkt des Vertragsschlusses objektiv als sicher angesehen werden konnte. Voraussetzung ist weiter, dass die Gegenpartei nach Treu und Glauben hätte erkennen müssen, dass die Sicherheit des Eintrittes des zukünftigen Ereignisses für die andere Partei Vertragsvoraussetzung war (BGE 118 II 297).

Niemand wird bestreiten, dass die Corona-Krise so nicht voraussehbar gewesen ist – dies jedenfalls bis zu einem gewissen Zeitpunkt, der im Streitfall wohl im Einzelfall richterlich zu bestimmen wäre. Im Umkehrschluss kann mit guten Gründen dafür argumentiert werden, dass die meisten Vertragsparteien nach Treu und Glauben von offenen Grenzen, Reisefreiheit, dem Nichtvorliegen von behördlichen Verboten und Social-Distancing ausgehen durften. Aber auch hier gilt es zu beachten, dass bei Dauerschuldverhältnissen temporäre Verbote unter Umständen nicht für einen wesentlichen Irrtum ausreichen. Als konkretes Beispiel könnte eine Berufung auf einen Irrtum hinsichtlich offener Grenzen und Einreisebestimmung bei Kauf eines Flugtickets vor der Krise genannt werden.

Der Irrtum muss innert Jahresfrist ab Entdeckung geltend gemacht werden (Art. 31 OR). Grundsätzlich fällt der Vertrag mit Geltendmachung des Irrtums rückwirkend auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses dahin und es gilt das Vertragsverhältnis rückabzuwickeln. Bei Dauerschuldverhältnissen fällt der Vertrag auf den Zeitpunkt der Geltendmachung des Irrtums dahin.

6. Fazit

Trotz der enormen Auswirkungen der Corona-Krise behalten Verträge grundsätzlich ihre Gültigkeit und die Vertragsparteien bleiben daran gebunden. Die einfachste, schnellste und kostengünstigste Möglichkeit einer Vertragsaufhebung oder -änderung ist immer eine einvernehmliche Einigung zwischen den Vertragsparteien – ihr ist in der Regel immer der Vorzug zu geben.

Sollte es für eine Partei nicht mehr möglich sein, sich an einen Vertrag zu halten und bietet die Gegenseite keine Hand für eine einvernehmliche Lösung, kann sie sich unter Berufung auf einen wichtigen Grund, auf Unmöglichkeit oder auf einen Grundlagenirrtum unter Umständen von ihren vertraglichen Pflichten befreien. Es gilt den Einzelfall diesbezüglich sorgfältig zu analysieren. Nicht oder nur bedingt praktikabel scheint die Vornahme einer richterlichen Vertragsanpassung hinsichtlich Vertragsbeziehungen mit dringendem Anpassungsbedarf. Sie könnte allerdings als Instrument zur Anpassung langfristig gestörter Verträge dienen.


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