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Seit Dezember 2020 gelten in Deutschland die Vorschriften des neuen «Anti-Abmahngesetzes». Damit soll der «Abmahnindustrie», die sich in Deutschland entwickelt hat, Grenzen gesetzt werden. Gerade auch für Abmahnungen bei Verstössen gegen die EU-DSGVO wurden Regeln zur Einschränkung eingeführt. Im nachfolgenden Gastbeitrag erklärt Dr. Carsten Föhlisch, Executive Director Legal Services der Trusted Shops GmbH und Inhaber der Kanzlei FÖHLISCH Rechtsanwälte, die Grundzüge der neuen Vorschriften und was dies für Schweizer Anbieter bedeutet.
Hintergrund des neuen Gesetzes
Die Abmahnung war einst dafür gedacht, Streitigkeiten im Wettbewerbs-, Marken- und Urheberrecht kostengünstig und schnell außergerichtlich beizulegen. Leider wird sie in Deutschland jedoch immer wieder von Händlern und ihren Anwälten dafür missbraucht, Gebühren geltend machen zu können und zweifelhafte Abmahnvereine sind vornherein nur darauf aus, bei Verstößen gegen Unterlassungserklärungen Geld zu verdienen (vgl. dazu bereits MLL-News vom 30.9.2018). Während in der Schweiz wettbewerbsrechtliche Abmahnungen nicht allzu verbreitet sind, hat sich in den letzten Jahren in Deutschland eine regelrechte ,,Abmahnindustrie“ entwickelt. Um diesen Auswüchsen endlich Grenzen zu setzen, ist am 2. Dezember 2020 das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs in Kraft getreten.
Auswirkungen für Schweizer Onlinehändler
In der Schweiz sind massenhafte Abmahnungen wegen Verstößen insbesondere deshalb seltener, weil hier, anders als in Deutschland, die Kosten für die Abmahnung gegenüber dem Abgemahnten an sich nicht geltend gemacht werden können. Aber auch Schweizer Online-Shopbetreiber sind vor Abmahnungen aus Deutschland nicht gefeit, wenn sie ihren Shop auf Deutschland ausrichten (vgl. z.B. MLL-News vom 10.9.2020). Das deutsche Recht hat also auch Auswirkungen für Schweizer Onlinehändler.
Die Rechtslage ist in diesen Fällen sehr komplex, da zunächst zu klären ist, welches nationale Recht anwendbar ist. Erst danach kann bestimmt werden, ob die Abmahnung berechtigt war. Eine Beratung durch einen auf Abmahnungen im E-Commerce spezialisierten Anwalt ist dringend zu empfehlen.
Situation in Deutschland
Die Abmahnung ist grundsätzlich ein legitimes Mittel, die das deutsche UWG vorsieht, um einen Unterlassungsanspruch wegen einer Rechtsverletzung außergerichtlich geltend zu machen. Sie soll dem Rechtsverletzer, also dem Abgemahnten, die Möglichkeit geben, zur Vermeidung eines Rechtsstreits die Erklärung abzugeben, dass die beanstandete Handlung künftig unterlassen wird. Gibt er diese Erklärung ab, kann damit ein teures und aufwendiges Gerichtsverfahren gespart werden. Der Abgemahnte hat, sofern die Abmahnung berechtigt ist, dem Abmahner die Kosten der Abmahnung zu erstatten. Abmahnungen aussprechen dürfen Mitbewerber, Wirtschafts- und Verbraucherverbände sowie die Industrie- und Handelskammern und die Handwerkskammern.
Die Abmahnung durch einen Mitbewerber oder Verband enthält
- den Vorwurf eines Rechtsverstoßes, d.h. eine genaue Schilderung des beanstandeten Verhaltens und eine rechtliche Bewertung,
- eine (meist sehr kurze) Fristsetzung unter Androhung einer gerichtlichen Durchsetzung des Anspruchs, falls die Frist erfolglos verstreicht und
- eine Aufforderung, das gerügte Verhalten künftig zu unterlassen und zur Ausräumung der Wiederholungsgefahr eine Unterlassungserklärung mit Vertragsstrafeversprechen abzugeben.
Der Abgemahnte muss sich also verpflichten, eine Strafe zu zahlen, falls er den gleichen Verstoß in Zukunft noch einmal begeht. Häufig suchen sich Abmahner gerade solche Verstöße heraus, die künftig mit hoher Wahrscheinlichkeit noch einmal begangen werden, etwa weil bestimmte rechtliche Vorgaben beim Handel über Marktplätze technisch nur sehr schwer einzuhalten sind (z. B. Grundpreisangaben bei eBay oder die Auflistung wesentlicher Produktmerkmale auf dem Amazon Marketplace). Ein erneuter Verstoß, mit dem die entsprechende Vertragsstrafe verwirkt wird, ist also häufig schon vorprogrammiert – und genau hierauf basiert das Geschäftsmodell der Abmahnungen.
Änderungen durch das neue „Anti-Abmahngesetz“
Um das Problem der missbräuchlichen Abmahnungen einzudämmen, ist am 2. Dezember 2020 das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs ist in Kraft getreten.
Einschränkungen sind zunächst hinsichtlich der Anspruchsberechtigung vorgesehen. Mitbewerber, die abmahnen, müssen künftig tatsächlich geschäftlich tätig sein und in nicht unerheblichem Maße und nicht nur gelegentlich ähnliche Waren oder Dienstleistungen vertreiben oder nachfragen. Bislang haben häufig Schein-Mitbewerber mit unseriösen Anwälten abgemahnt, ein bestimmter Umfang der Tätigkeit war nicht erforderlich. Auch weiterhin wird es noch solche unseriösen Akteure geben, die – gegen das neu geltende Recht – abmahnen und darauf spekulieren, dass einige sich nicht wehren, was sich dann schon als Geschäftsmodell rechnet.
Abmahnvereine müssen künftig auf einer Liste der sogenannten qualifizierten Wirtschaftsverbände eingetragen sein. Für eine Eintragung müssen sie nachweisbar aktiv sein und eine bestimmte Anzahl an Mitgliedern haben. Bis es soweit ist, dass nur noch eingetragene Vereine abmahnen dürfen, gibt es eine Übergangsfrist von einem Jahr, also bis Dezember 2021. Wir vermuten, dass sämtliche Verbände in dieser Übergangsphase noch einmal besonders aktiv sind, um durch nachweisbare Aktivitäten und steigende Mitgliederzahlen ihre Chance zu erhöhen, auf der Liste eingetragen zu werden.
Kein Aufwendungsersatz bei bestimmten Verstößen
Zudem können Mitbewerber künftig keinen Aufwendungsersatz mehr verlangen, wenn sie Verstöße gegen Informations- und Kennzeichnungspflichten im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien abmahnen. Bei vielen häufig abgemahnten Verstößen geht es um Informationspflichten im E-Commerce. Hier müssen Mitbewerber nun auf eigene Kosten abmahnen, können vom Abgemahnten also keinen Ersatz ihrer Aufwendungen verlangen. Abmahnen können sie jedoch weiterhin. Ebenso bleiben sie weiterhin dazu berechtigt, Klage zu erheben. Zudem gilt diese Vorschrift nur für Mitbewerber, aber nicht für Abmahnvereine. Diese bleiben weiterhin zum Ersatz auch bei oben genannten Verstößen berechtigt.
Dasselbe gilt für Verstöße gegen die DSGVO und das DE-BDSG. In diesem Fall ist der Ausschluss jedoch auf Unternehmen oder Vereine beschränkt, die in der Regel weniger als 250 Mitarbeiter beschäftigen. Mit dieser Regelung bestimmt der deutsche Gesetzgeber indirekt, dass DSGVO-Verstöße stets abgemahnt werden können. Allerdings ist die Frage, ob Mitbewerber Datenschutzverstöße abmahnen können, bislang noch nicht abschließend geklärt und wurde von den Gerichten bisher unterschiedlich beantwortet (vgl. dazu z.B. MLL-News vom 6.9.2018).
In der obergerichtlichen Rechtsprechung (OLG Stuttgart, Urt. v. 27.2.2020 – 2 U 257/19; OLG Naumburg, Urt. v. 7.11.2019 – 9 U 6/19; OLG Hamburg, Urt. v. 25.10.2018 – 3 U 66/17) hat sich in Deutschland mittlerweile die Auffassung durchgesetzt, dass im Einzelfall geprüft werden muss, ob die entsprechende DSGVO-Norm, gegen die verstoßen wird, als sog. Marktverhaltensregel einzustufen ist. Die endgültige Beurteilung liegt jedoch beim EuGH, der diese Frage demnächst beantworten wird. Der BGH (Beschl. v. 28.5.2020 – I ZR 186/17) hat ein entsprechendes Verfahren ausgesetzt und ihm diese Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Gegenansprüche des Abgemahnten
Zudem werden bestimmte Fallgestaltungen missbräuchlicher Abmahnungen ins Gesetz aufgenommen. Ihnen kommt jedoch nur Indizwirkung für einen Missbrauch zu. Erforderlich soll eine umfassende Würdigung der Gesamtumstände sein. Im Falle einer missbräuchlichen Geltendmachung steht dem Abgemahnten ein Gegenanspruch zu und er kann Ersatz der für seine Rechtsverteidigung erforderlichen Aufwendungen fordern.
Bei formalen Fehlern oder unberechtigten Abmahnungen steht dem Abgemahnten ebenfalls ein Gegenanspruch zu und der Betroffene hat unter Umständen einen Anspruch auf Ersatz der ihm entstandenen Kosten gegen den Angreifer.
Weitere Änderungen
Künftig dürfen Mitbewerber bei der ersten Abmahnung nicht mehr die Vereinbarung einer Vertragsstrafe fordern. Dieser Ausschluss gilt, wenn der Abgemahnte in der Regel weniger als 100 Mitarbeiter beschäftigt. Erfolgt die erstmalige Abmahnung des Verstoßes dagegen durch einen Wirtschaftsverband oder z.B. durch eine Industrie- und Handelskammer, besteht auch weiterhin die Möglichkeit, zur Streitbeilegung unmittelbar die Abgabe einer mit einer angemessenen Vertragsstrafe bewehrten Unterlassungsverpflichtung zu verlangen.
In einfach gelagerten Fällen wird die Vertragsstrafe auf maximal 1.000 € begrenzt. Auch diese Begrenzung gilt nur für Abgemahnte, die in der Regel weniger als 100 Mitarbeiter beschäftigen.
Fazit
Auch Schweizer Onlinehändler sind vor Abmahnungen aus Deutschland nicht gefeit. Das neue Anti-Abmahngesetz wird jedoch auch sie besser vor Abmahnungen schützen. Die Einschränkung der Abmahnbefugnis von Mitbewerbern durch Anforderungen an den Umfang ihrer Geschäftstätigkeit und das Entfallen finanzieller Anreize wird zu weniger missbräuchlichen Abmahnungen durch diese Akteure führen. Allerdings werden findige Konkurrenten, die Abmahnungen und Vertragsstrafen zu ihrem Hauptgeschäftsmodell etabliert haben, Mittel und Wege finden, künftig andere Rechtsverstöße abzumahnen als die Verletzung von Informationspflichten und somit weiter profitieren, wenn auch nicht in gleichem Maße. Und es bleibt abzuwarten, ob das Gesetz umstrittene Abmahnvereine nicht eher stärkt. Aber wie in der Vergangenheit konnte es auch nicht bleiben, daher ist es ein positives Signal, dass der Gesetzgeber sich des Themas angenommen hat.
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