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Mit dem Ziel die Verbraucherrechte in der EU und ihre Durchsetzung zu stärken, schlägt die Europäische Kommission eine Neugestaltung der Rahmenbedingungen für den Verbraucherschutz vor. Ausgelöst durch grenzüberschreitende Fälle wie dem Dieselgate-Skandal sollen die kollektiven Klagerechte für Verbraucher-Organisationen auf Schadenersatzklagen ausgedehnt und für weitverbreitete Verstösse Geldbussen mit einem Höchstbetrag von mindestens 4% des Jahresumsatzes eingeführt werden. Weiter will die EU-Kommission, Waren, die der Verbraucher in einem grösserem Mass, als zu Testzwecken notwendig, genutzt hat, künftig vom Widerrufsrecht ausschliessen. Gleichzeitig soll das Widerrufsrecht aber auf Verträge über kostenlose digitale Dienste, wie Social-Media oder E-Mail-Konten ausgedehnt werden. Ausserdem sind neue Informationspflichten für Plattformbetreiber sowie ein Verbot des Vertriebs von identischen Produkten unterschiedlicher Qualität vorgesehen.
Neue Instrumente für die individuelle und kollektive Durchsetzung von Verbraucherschutzrechten
Teil des Vorschlags zur Neugestaltung der Rahmenbedingungen für den Verbraucherschutz ist der Ausbau des Klagerechts für qualifizierte Institutionen, wie Verbraucherschutzorganisationen. Sie sollen im Namen einer Gruppe von Verbrauchern, die durch illegale Geschäftspraktiken Schaden erlitten haben, neu auch auf Entschädigung zum Beispiel in Form von Schadenersatz oder Reparatur klagen können.
Vergleichbare kollektive Klagemöglichkeiten gibt es bereits in einigen Mitgliedstaaten, im Unionsrecht war dies aber bisher nicht vorgesehen. Mit einer neuen Richtlinie sollen auf EU-Ebene erweiterte Mindestvorgaben für Kollektivklagen festgelegt werden. Dadurch sollen Verbraucher bei Szenarien vergleichbar mit dem Dieselgate-Skandal EU-weit die Möglichkeit haben, kollektiv Entschädigungen zu erwirken. Die Verbandsklage soll bei allen Verstössen von Unternehmern gegen die in einem Anhang aufgeführten Unionsvorschriften, die den Kollektivinteressen der Verbraucher schaden können, möglich sein. Im Vergleich zur bisherigen Richtlinie wird der Anwendungsbereich erheblich ausgeweitet, so dass künftig auch bei Verstössen gegen das Datenschutzrecht, die Geoblocking-Verordnung und eine Vielzahl von Produktvorschriften Verbandsklagen möglich sind.
Die Kommission unterstreicht in ihrer Pressemitteilung, dass sich die EU-Verbandsklage deutlich von der US-amerikanischen Sammelklage unterscheidet, da sie diverse Schutzmechanismen vorsieht. So kann die Verbandsklage nicht von Anwaltskanzleien, sondern nur von qualifizierten Einrichtungen erhoben werden. Diese Einrichtungen müssen strenge Zulassungskriterien erfüllen, deren Einhaltung regelmässig kontrolliert wird. Zudem müssen sie ihre Finanzierung offenlegen und dürfen nicht auf Gewinnerzielung ausgerichtet sein.
Zusätzlich zur Einführung dieses kollektiven Klagerechts gewährleisten die neuen Rahmenbedingungen Verbrauchern aller Mitgliedstaaten das Recht auf individuelle Rechtsbehelfe, wenn sie von unlauteren Geschäftspraktiken betroffen sind. Die Rechtsbehelfe sollen mindestens ein Recht auf Vertragskündigung und Schadenersatz beinhalten. Hierfür soll die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken entsprechend angepasst werden.
Wirksamere Sanktionen bei Verstössen gegen das EU-Verbraucherrecht
Um das reibungslose Funktionieren der Zusammenarbeit im Verbraucherschutz zu gewährleisten, wurden die Mitgliedstaaten mit der neuen Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz (CPC) verpflichtet, den nationalen Verbraucherschutzbehörden weitgehende Durchsetzungsbefugnisse einzuräumen. Hierzu zählt insbesondere auch die stark umstrittene Befugnis, den Zugang zu einer Website ohne gerichtliche Anordnung sperren zu lassen. Darüber hinaus müssen sie wirksame, verhältnismässige und abschreckende Sanktionen wie zum Beispiel Geldbussen ergreifen können. Die Verordnung gilt ab dem 17. Januar 2020.
Derzeit bestehen aber noch erhebliche Unterschiede in den nationalen Bussgeldvorschriften. In vielen Mitgliedstaaten ist die Sanktionshöhe nach Ansicht der Kommission zu gering bemessen und eine wirksame Durchsetzung des Verbraucherschutzes daher nicht in allen Mitgliedstaaten gewährleistet. Aus diesem Grund schlägt die EU-Kommission vor, dass die Mitgliedstaaten gegen „weitverbreitete Verstösse“ Geldbussen mit Höchstbeträgen von mindestens 4 % des Jahresumsatzes des Unternehmens im jeweiligen Mitgliedstaat vorsehen müssen. Dies gilt für Verstösse gegen die folgenden Richtlinien, die in drei oder mehr Mitgliedstaaten begangen wurden:
- Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken,
- Richtlinie über missbräuchliche Vertragsklauseln,
- Richtlinie über die Rechte der Verbraucher und
- Richtlinie zu Preisangaben.
Den Mitgliedstaaten steht es frei, höhere Sanktionen vorzusehen. Zu beachten ist ferner, dass die generelle Verpflichtung der Mitgliedstaaten aus der CPC-Verordnung, abschreckende Geldbussen einzuführen, davon unberührt bleibt. Ab 2020 drohen deshalb auch bei Verstössen gegen die zahlreichen im Anhang der Verordnung aufgeführten Erlasse Geldbussen und dies selbst dann, wenn sie nur in einem Mitgliedstaat stattgefunden haben. In diesen Fällen schreibt das EU-Recht allerdings keine Mindestbussenhöhe vor.
Neue Informationspflichten für Plattformbetreiber
Ein weiterer zentraler Punkt der Reformvorschläge betrifft die Transparenz auf Online-Marktplätzen. Die EU-Kommission bemängelt, dass Verbraucher oftmals nicht wissen, wie das Ranking der ihnen auf dem Online-Marktplatz dargelegten Angebote zustande kam und wer der Verkäufer ist (der Plattformbetreiber, ein Dritt-Unternehmer oder ein anderer Verbraucher). Ausgehend davon soll die Verbraucherrechte-Richtlinie durch neue Informationspflichten zulasten der Marktplatzbetreiber ergänzt werden. Danach müssen Verbraucher auf Online-Marktplätzen eindeutig über Folgendes informiert werden:
- die Hauptparameter für das Ranking der Angebote in den Suchergebnissen,
- mit wem der Vertrag geschlossen wird – ob mit einem Unternehmer oder einem Verbraucher,
- ob die Verbraucherschutzvorschriften Anwendung finden und
- welcher Unternehmer (Drittanbieter oder Online-Marktplatz) in Bezug auf den Vertrag die Verbraucherrechte gewährleistet (z. B. Widerrufsrecht oder Gewährleistungsrecht).
Darüber hinaus wird nach Ansicht der EU-Kommission auf Online-Plattformen und Suchmaschinen auch dem „Trennungsgebot“ zu wenig Rechnung getragen. Bei der Verwendung solcher Dienste erwarte ein Verbraucher, dass ihm echte“ oder „natürliche“ Suchergebnisse auf der Grundlage seiner Suchanfrage und nicht auf der Grundlage von Ergebnissen, die von Dritten bezahlt wurden, angezeigt werden. Der Verstoss gegen das Trennungsgebot soll deshalb künftig auch auf Online-Plattformen und in Suchmaschinen stets unlauter sein und in die „schwarze Liste“ der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken aufgenommen werden. Die Diensteanbieter müssen deshalb künftig darüber informieren, wenn Suchergebnisse „kostenpflichtige Platzierungen“, bei dem Dritte für ein besseres Ranking zahlen, oder „kostenpflichtige Berücksichtigungen“, bei dem Dritte für die Aufnahme in die Ergebnislisten zahlen, enthalten.
In diesem Zusammenhang hat die EU-Kommission parallel einen weiteren Vorschlag für eine neue Richtlinie veröffentlicht. Damit soll die Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten gefördert werden. Zu diesem Zweck werden zahlreiche weitere neue Informationspflichten und Vorgaben für die wirksame Streitbeilegung vorgeschlagen.
Neue Vorgaben für die Bereitstellung digitaler Inhalte und Dienste
Die EU-Kommission hat bereits Ende 2015 einen Richtlinien-Vorschlag veröffentlicht, welcher vertragsrechtliche Vorgaben für die Bereitstellung digitaler Inhalte enthält. Darin werden Verbrauchern Ansprüche auf Reparatur, Updates oder Rückgabe digitaler Angebote gewährt, auch wenn sie dafür „nur“ mit ihren personenbezogenen Daten bezahlen.
In ihrem aktuellen Reformpaket schlägt die EU-Kommission zusätzlich vor, dass die Vorgaben der Verbraucherrechte-Richtlinie auch für Verträge über die Bereitstellung solcher digitaler Dienstleistungen und digitaler Inhalte gelten sollen. Damit sind beispielsweise soziale Netzwerke, E-Mail- oder Cloud-Speicherdienste gemeint. Verbraucher sollen demnach auch bei Verträgen über die Nutzung dieser Dienste über ein 14-tägiges Widerrufsrecht verfügen und die Anbieter den umfangreichen Informationspflichten unterliegen.
Modifikation des Widerrufsrechts zugunsten der Unternehmen
Durch die neuen Rahmenbedingungen sollen aber auch Verpflichtungen für Unternehmen hinsichtlich des Widerrufsrechts abgeschafft werden. Nach der geltendem Verbraucherrechte-Richtlinie kann ein Verbraucher selbst dann von seinem Widerrufsrecht Gebrauch machen, wenn er online bestellte Produkte nicht bloss zu Testzwecken verwendet hat. Vielmehr gilt das Widerrufsrecht auch für Waren, die der Verbraucher weitergehend benutzt hat als es in einem Laden der Fall gewesen wäre. Dem Anbieter steht in solchen Fällen lediglich ein Recht auf Wertersatz zu, das häufig nur schwer durchsetzbar ist.
Geht es nach dem Vorschlag der EU-Kommission soll das Widerrufsrecht künftig gänzlich ausgeschlossen sein für «benutzte» Produkte. Präziser gesagt für Produkte, „die der Verbraucher während der Widerrufsfrist in einem Maße genutzt hat, das zur Prüfung der Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Waren nicht notwendig gewesen wäre“.
Darüber hinaus müssen Unternehmen den Verbrauchern nicht mehr den Kaufpreis erstatten, bevor sie die betreffenden Waren nicht tatsächlich zurückerhalten haben. Die Unternehmen sollen die Möglichkeit haben, die Ware zunächst zu kontrollieren.
Ferner soll mit den neuen Vorschriften auch mehr Flexibilität bezüglich der Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Unternehmern und Verbrauchern eingeführt werden. Unternehmer sollen künftig statt E-Mails auch Web-Formulare oder Chats nutzen dürfen, sofern die Verbraucher ihre Kommunikation mit dem Unternehmer nachverfolgen können.
Verbot des Vertriebs von identischen Produkten mit unterschiedlicher Qualität
Die neuen Rahmenbedingungen für den Verbraucherschutz sehen schliesslich eine weitere Anpassung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken vor. Die aktualisierte Richtlinie soll deutlich machen, dass es unzulässig ist, Produkte in mehreren Mitgliedstaaten als identisch zu vermarkten, obschon sie sich wesentlich in ihrer Zusammensetzung oder ihren Merkmalen unterscheiden. Nur in Ausnahmefällen sind abweichende Eigenschaften bei sonst identischen Markenwaren zulässig. Dies zum Beispiel, wenn diese Abweichung dazu dient, die Waren den lokalen Verbraucherpräferenzen anzupassen oder auf verschiedene Trends zu reagieren.
Hintergrund: Strategie für einen digitalen Binnenmarkt
Das Reformpaket ist Teil der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt. In diesem Zusammenhang wurde in der EU bereits eine Vielzahl neuer und geänderter Erlasse verabschiedet. Hierzu zählen etwa die Geoblocking-Verordnung (vgl. MLL-News vom 13.3.18), die Portabilitäts-Verordnung (vgl. MLL-News vom 19.3.17) oder die Datenschutz-Grundverordnung (vgl. MLL-News vom 30.7.17). Bei weiteren Vorschlägen ist das Gesetzgebungsverfahren nach wie vor im Gang, so etwa bei der E-Privacy-Verordnung (vgl. MLL-News vom 2.11.17) oder der Richtlinie zur Modernisierung des Urheberrechts (vgl. MLL-News vom 6.11.16). Auch das aktuelle Reformpaket der EU-Kommission zum Verbraucherrecht wird nun vom Europäischen Parlament und vom Rat behandelt. Wie das Beispiel der E-Privacy-Verordnung zeigt, kann es noch lange dauern bis die neuen Regeln in Kraft treten werden.
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