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In einem aktuellen Urteil des OLG Hamm werden die Voraussetzungen des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen veranschaulicht. Dieser Schutz, der auf eine EU-Richtlinie zurückgeht, ist in Deutschland im Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) verankert und gilt seit Ende April 2019. In dem Urteil stellt das Gericht klar, dass der Geheimnisschutz nur greift, wenn der Geheimnisherr angemessene Massnahmen zum Schutz der Geheimnisse getroffen hat. Im vorliegenden Fall erfüllte eine Herstellerin diese Anforderungen nicht. Ihre Unterlassungsklage gegen eine Konkurrentin, in welcher ehemalige Angestellte tätig sind, wurde deshalb vom Gericht abgewiesen.
Unterlassungsklage gegen Konkurrentin
Bei der Klägerin handelt es sich um ein Unternehmen, das Maschinen und Fahrzeuge für den Neubau, Umbau und die Messarbeiten von Gleisen und Oberleitungen herstellt. Unter anderem entwickelt sie über 200 technisch unterschiedlich ausgestattete Stopfaggregate, welche bei der Instandhaltung von Gleisen mit Schotterbau und um Unebenheiten zu beseitigen verwendet werden. Die Beklagte bietet ebenfalls Maschinen im Gebiet der Gleisinstandhaltung an, wobei es sich beim Geschäftsführer und einem Mitgesellschafter um ehemalige leitende Angestellte der Klägerin handelt. Diese vertreibt ein von ihr und einer weiteren GmbH als «Flüsteraggregat» bezeichnetes Universalstopfaggregat. Es ist unstreitig, dass ein Mitarbeiter der deutschen Konzerngesellschaft der Klägerin zu einem nicht näher bezeichneten Zeitpunkt Pläne einiger Bauteile ohne Geheimhaltungsmassnahmen an den Prokuristen der GmbH übermittelt hat.
In einem Verfahren vor dem LG Münster begehrte die Klägerin unter anderem ein Verbot, welches der Beklagte untersagen sollte, Stopfaggregate anzubieten und zu bewerben. Dabei behauptete die Klägerin, dass die Beklagte ihr angebotenes Stopfaggregat dem streitgegenständlichen der Klägerin nachgebaut habe. Denn die Geschäftsführer der Beklagten hätten die Konstruktionszeichnung für die wesentlichen Bauteile in unrechtmässiger Weise erlangt, in dem vertrauliche Entwicklungsunterlagen rechtswidrig vervielfältigt und mitgenommen wurden. Somit stehe ihr ein Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte zu. Neben dem Unterlassungsanspruch würden ihr zudem auch Schadenersatz- und Auskunftsansprüche, unter anderem auch Unterlassungsansprüche aus dem Geschäftsgeheimnisgesetz, zustehen. Der Klageanspruch wurde vom LG Münster verneint und es lehnte neben Ansprüchen aus dem UWG auch die Ansprüche aus dem Geschäftsgeheimnisgesetz ab. Dieses Urteil zog die Klägerin an das OLG Hamm weiter.
Besondere gesetzliche Grundlagen in der EU und in Deutschland
Das OLG Hamm hatte sich in seinem Urteil vom namentlich mit dem Umfang und den Voraussetzungen des Schutzes für Geschäftsgeheimnisse auseinander zu setzen. Zentrale Grundlage hierfür ist in der EU die am 5. Juli 2016 in Kraft getretene Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (Richtlinie (EU) 2016/943), welche die Mitgliedstaaten ins nationale Recht umgesetzt haben (vgl. dazu MLL-News vom 15.1.2016 und MLL-News vom 28.6.2016). In Deutschland wurde die EU-Richtlinie in Form des am 26. April 2019 in Kraft getretenen Geschäftsgeheimnisgesetzes (GeschGehG) ins nationale Recht implementiert.
Was sind angemessene Geheimhaltungsmassnahmen?
In seinem Urteil vom 15. September 2020 (4 U 177/19) bekräftigte das OLG Hamm zunächst, dass der Inhaber eines Geschäftsgeheimnisses den Rechtsverletzer bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch nehmen kann. Hierfür müsste aber ein Geschäftsgheimnis im Sinne von § 2 Nr. GeschGehG vorliegen. Diese Bestimmung definiert das Geschäftsgeheimnis als «eine Information:
a) die weder insgesamt noch in der genauen Anordnung und Zusammensetzung ihrer Bestandteile den Personen in den Kreisen, die üblicherweise mit dieser Art von Informationen umgehen, allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist und daher von wirtschaftlichem Wert ist und
b) die Gegenstand von den Umständen nach angemessenen Geheimhaltungsmaßnahmen durch ihren rechtmäßigen Inhaber ist und
c) bei der ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht.»
Das OLG Hamm stellte zunächst fest, dass offenbleiben könne, ob es sich bei den Zeichnungen überhaupt um ein Geschäftsgeheimnis handeln könne. Vielmehr verneinte es bereits die Frage, ob angemessene Geheimhaltungsmassnahmen vorhanden sind.
Das Gericht erläuterte, dass es sich bei der Angemessenheit um ein flexibles und offenes Tatbestandsmerkmal handle und die Verhältnismässigkeit gegeben sein müsse. Dabei setze die Angemessenheit keinen optimalen Schutz voraus, weil andernfalls der Geheimnisbegriff zu strak eingeschränkt würde. Somit müssen nicht die nach den Umständen bestmöglichen und sichersten Massnahmen ergriffen werden. Auf der anderen Seite könne es jedoch auch nicht genügen, dass ein Unternehmer bloss ein Minimum an Schutzvorkehrungen ergreife.
Weiter führte das Gericht aus, dass sich die Angemessenheit nach den konkreten Umständen des Einzelfalls bestimme. Es handele sich dabei nicht um einen absoluten, sondern um einen relativen und dynamischen Massstab. Für die rechtliche Bewertung sei auf die Sichtweise eines objektiven und verständigen Betrachters aus denjenigen (Fach-)Kreisen abzustellen, die üblicherweise mit dieser Art von Information umgehen.
Um die Angemessenheit zu bestimmen, seien insbesondere folgende Wertungskriterien zu berücksichtigen:
- Art und wirtschaftlicher Wert des Geschäftsgeheimnisses;
- Grad des Wettbewerbsvorteils durch die Geheimhaltung;
- Schwierigkeiten der Geheimhaltung;
- konkrete Gefährdungslage;
- Unternehmensgrösse;
- Leistungsfähigkeit eines Unternehmens;
- Wirtschaftsbranche (und branchenübliche Sicherheitsmassnahmen).
Der Art und dem wirtschaftlichen Wert des Geheimnisses komme dabei eine besondere Bedeutung zu. Die Kosten für die Geheimhaltungsmassnahmen müssen in einem vernünftigen Verhältnis zum Wert des Geschäftsgeheimnisses stehen, wobei sich kein festes Kosten-Wert-Verhältnis angeben lasse. Dabei sei die Schwelle der Unangemessenheit jedenfalls dann überschritten, wenn die Kosten für die Schutzmassnahmen den Wert des Geschäftsgeheimnisses übersteigen würden. In Bezug auf die Unternehmensgrösse und die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens lasse sich festhalten, dass von einem weltweit tätigen Unternehmen bspw. grössere und finanziell aufwändigere Sicherheitsvorkehrungen erwartet werden können als von einem Handwerksbetrieb mit wenigen Angestellten.
Geheimhaltungsmassnahmen der Klägerin waren unangemessen
In Bezug auf den vorliegenden Fall stellte das OLG Hamm klar, dass zur Wahrung der in den Plänen der Klägerin liegenden Geschäftsgeheimnisse ein hohes Mass an Sicherheitsvorkehrungen angemessen sei. Zwar habe die Klägerin umfassende Sicherungsmassnahmen (EDV-Sicherheitsrichtlinie, reglementierter Zugriff zum sog. PZA und Geheimhaltungsvereinbarungen mit Lizenznehmern) getroffen und wies dies auch nach. Dennoch würden diese den Anforderungen nicht genügen. Denn diese seien zu nicht näher feststellbaren Zeitpunkten in der Vergangenheit mehrfach umgangen worden. Dies ohne eine angemessene Reaktion der Klägerin, obwohl sie deutliche Anhaltspunkte dafür hatte, von einer unzureichenden Sicherung auszugehen.
Es wurde weder vorgetragen noch sei ersichtlich, dass die Klägerin überhaupt Massnahmen ergriffen habe, um die Übermittlung der Zeichnungen aufzuklären und entsprechende Schritte einzuleiten. Vielmehr seien mehrfach Zeichnungen der Klägerin von verschiedenen Bauteilen ohne Geheimhaltungsmassnahmen zugänglich gewesen. Aus der Sichtweise eines objektiven und verständigen Betrachters sei es aber zwingend erforderlich, jedem Hinweis auf eine Umgehung von (angeblichen) Geschäftsgeheimnisses sorgfältig nachzugehen und das Sicherheitskonzept zeitnah anzupassen und Sanktionen zu ergreifen. Dementsprechend verneinte das OLG Hamm das Vorliegen von angemessenen Geheimhaltungsmassnahmen.
Fazit und Anmerkungen
Ausgehend davon verneinte das OLG Hamm das Vorliegen von angemessen Geheimhaltungsmassnahmen i.S. von § 2 Nr. 1 GeschGehG. Der Klägerin stand somit der geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach § 6 GeschGehG nicht zu und die Klage wurde abgewiesen.
Für Schweizer Unternehmen ist das Urteil insbesondere relevant, wenn sie im EU- bzw. deutschen Markt tätig sind und sich vor der Übernahme ihrer Geschäftsgeheimnisse schützen oder gegen eine behauptete Übernahme von Geschäftsgeheimnissen zur Wehr setzen wollen. Diesbezüglich veranschaulicht das Urteil die hohen Anforderungen, die an den spezialgesetzlichen Schutz von Geschäftsgeheimnissen gestellt werden. Selbst relativ umfangreiche Schutzmassnahmen genügen demnach nicht, wenn auf deren Umgehung nicht angemessen reagiert wird.
Im Schweizer Recht besteht demgegenüber kein Gesetz, das sich spezifisch dem Schutz von Geschäftsgeheimnisses widmet. Allerdings enthält auch das Schweizer Recht verschiedene Bestimmungen, die Geschäftsgeheimnisse schützen, so z.B. Art. 162 StGB, Art. 273 StGB, Art. 6 UWG. Ein explizites Erfordernis, Massnahmen zur Geheimhaltung zu ergreifen, ist darin zwar nicht vorgesehen. Damit aber überhaupt ein Geheimnis vorliegt, muss ein Geheimhaltungswillen des Geheimnisherrn vorhanden sein. Dieser Wille wird mitunter dadurch erkennbar und bekräftigt, dass entsprechende Vorkehrungen zum Schutz ergriffen werden. Ergreift ein Unternehmen also keine angemessenen Schutzmassnahmen, lässt sich nicht ausschliessen, dass der Geheimhaltungswille und damit das Vorliegen eines geschützten Geheimnisses verneint würde. Insofern empfiehlt sich auch hierzulande bereits aus rein rechtlicher Perspektive die Ergreifung von Massnahmen, wie sie im EU-Recht verlangt werden.
Weitere Informationen:
- Urteil des OLG Hamm vom 15. September 2020 (4 U 177/19)
- EU-Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung (Richtlinie (EU) 2016/943)
- Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG)