OLG Nürnberg zu Inbox-Ads: Werbebanner in der Gestalt von E-Mails sind nicht unlauter


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Mit Urteil vom 15. Januar 2019 hat das OLG Nürnberg entscheiden, dass sogenannte Inbox-Ads kein verbotener Spam im Sinne des Lauterkeitsrechts darstellen. Die Werbeanzeigen im Posteingang eines kostenlosen E-Mail-Dienstes, die gewisse optische Ähnlichkeiten mit E-Mails aufwiesen, werden vom OLG als zulässig bezeichnet. Die praktische Relevanz des Urteils in Bezug auf Werbeanzeigen kostenloser Angebote sollte nicht unterschätzt werden. Zudem enthält die Urteilsbegründung detaillierte Ausführungen zu zulässigen und unzulässigen Werbemethoden im digitalen Umfeld. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der beurteilten Frage ist eine Beurteilung durch den Bundesgerichtshof (BGH) nicht ausgeschlossen. Schweizer Gerichte haben sich bislang nicht mit derartigen Werbeformen befasst und könnten womöglich zu einem anderen Schluss kommen.

Werbebanner in der Gestalt eines E-Mails

Hintergrund des Verfahrens war eine Unterlassungsklage eines Stromunternehmens gegen einen Konkurrenten, weil dessen Werbung für seine Stromlieferungsangebote im Posteingang des (kostenlosen) E-Mail-Accounts des Klägers erschien. Bei der Werbung handelte es sich um sog. Inbox-Ads. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie im Posteingang ähnlich aussehen wie ungelesene E-Mails, eigentlich aber normale Werbeanzeigen darstellen. Die Account-Inhaber können die Anzeigen durch Anklicken auf „x“ entfernen oder durch Klicken auf das Anzeigefeld und den in der Anzeige hinterlegten Hyperlink die detaillierte Werbung auf der Zielseite aufrufen.

Der Kläger empfand die Werbung als Spam bzw. unzumutbare Belästigung im Sinne des Lauterkeitsrechts und klagte gegen seinen Konkurrenten beim Landgericht Nürnberg-Fürth (zunächst) erfolgreich auf Unterlassung.

Vermeintliche „E-Mail“ stellt kein Spam dar

Das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg teilte die Auffassung seiner Vorinstanz jedoch nicht und wies die Klage mit Urteil vom 15. Januar 2019 ab.

Zunächst prüfte das Gericht eine Verletzung des deutschen Telemediengesetzes (TMG), wonach eine kommerzielle Kommunikation stets als solche erkennbar sein muss. Eine klare Erkennbarkeit bedeute, dass Werbung in ihrem Charakter als kommerzielle Kommunikation von anderen Inhalten abgehoben sein muss. Dies werde einerseits durch das Trennungsgebot, nach dem kommerzielle Kommunikation stets vom restlichen Inhalt getrennt werden muss, und anderseits durch das Kennzeichnungsgebot, nach dem kommerzielle Kommunikation auch als solche zu kennzeichnen ist, gewährleistet.

Im vorliegenden Fall genüge die Werbung den Anforderungen des Trennungsgebots, da die Werbeanzeigen in Abgrenzung zu den echten E-Mails grau unterlegt und mit dem deutlichen Hinweis „Anzeige“ versehen sind. Insofern ergebe sich auch keine Unlauterkeit gestützt auf den Irreführungstatbestand, da es an der dafür erforderlichen Verschleierung des Werbecharakters mangle. Die Verbraucher können den geschäftlichen Charakter klar und eindeutig erkennen, da sich die streitgegenständliche Werbeanzeige – obwohl sie im Posteingang erscheint – aufgrund ihrer Gestaltung hinreichend deutlich von einer E-Mail abhebt.

Anschliessend prüfte das Gericht den Vorwurf einer unzumutbaren Belästigung durch elektronische Post (sog. „Spam“) nach § 7 des deutschen UWG.

Neben E-Mails fallen unter den Begriff der elektronischen Post auch SMS und MMS sowie elektronische Nachrichten innerhalb von sozialen Netzwerken. Bei der streitgegenständlichen Einblendung von Werbung handle es sich nach Auffassung des Gerichts aber um keinen dieser Dienste, sondern um Werbeflächen, die mit herkömmlichen Werbeanzeigen in Printmedien oder Werbeflächen auf einer Website vergleichbar seien. Anders als bei E-Mails könne eine Inbox-Ad durch die daneben platzierte Einblendung „x“ weggeklickt werden. Ausserdem enthält sie keine Datumsanzeige, keinen Absender und keine Optionen zur Bearbeitung, wie z.B. die Archivierung, oder zur Beantwortung oder Weiterleitung. Auch wird sie nicht in die Anzahl der ungelesenen E-Mails des jeweiligen Kunden eingerechnet. Ebenso wenig erfolge ein Versenden der Nachricht im Sinne des Gesetzes, da lediglich die Darstellung der Werbung in einer bestimmten definierten Fläche einer Internetseite über in der Webseite eingebundene, vordefinierte Slots erfolge, ohne eine Adressierung an bestimmte Kunden.

Anti-Spam-Vorschriften bezwecken nicht Schutz vor Werbung im Internet

Interessant sind insbesondere die Erwägungen des OLG Nürnberg zum Zweck der Anti-Spam Vorschriften. Bezweckt wird der Schutz der Wettbewerbsteilnehmer vor unerbetenen Nachrichten für Zwecke der Direktwerbung. Solche Werbung kann zum einen relativ leicht und preiswert versendet werden und bedeute zum anderen regelmässig eine Belastung und/oder einen Kostenaufwand für den Empfänger. Demgegenüber führe die Inbox-Ad – «über die übliche belästigende Wirkung von Werbung hinaus» – jedoch nicht zu Belastungen oder einem Kostenaufwand des Nutzers. So wird die Werbung nicht in die Anzahl der ungelesenen E-Mails eingerechnet und nimmt auch keinen Speicherplatz des Postfacheingangs in Beschlag.

Belästigend ist eine Werbung im Sinne des Lauterkeitsrechts hingegen, wenn sie eine solche Intensität erreicht, dass sie von einem grossen Teil der Verbraucher als unerträglich empfunden wird, wobei der Massstab des durchschnittlich empfindlichen Adressaten zugrunde zu legen ist. Dabei sei gerade in Bezug auf Internetwerbung bei Beurteilung der Zumutbarkeit der Belästigung ein insgesamt grosszügiger Massstab anzulegen. Folglich sei auch Werbung mittels Interstitials oder Pop-Up-Fenstern nicht zu beanstanden, wenn sich der Nutzer der Werbung in kurzer Zeit durch Wegklicken oder durch Verlassen der Seite entziehen kann oder wenn das Interstitial in kurzer Zeit von selbst verschwindet.

Demgegenüber sind Werbeunterbrechungen im Internet unzulässig, wenn der Nutzer praktisch keine Möglichkeit hat, ihnen auszuweichen und gegen seinen ausdrücklich geäusserten Willen gezwungen wird, den Kontakt zur besuchten Seite aufrechtzuerhalten. Dies liege bspw. dann vor, wenn der Versuch, ein Pop-Up Fenster zu schliessen, zu einer „schier endlosen Kette neuer Pop-Ups“ führt.

Von entscheidender Bedeutung sei der kostenlose Charakter eines Dienstes. Bei der Inanspruchnahme kostenloser Dienste müsse davon ausgegangen werden, dass derartige Dienstleistungen – ähnlich wie beim Free-TV – durch Werbung finanziert werden. Grundsätzlich seien somit Pop-Ups, Layer-Ads, Video-Ads und Interstitials als Mittel zur Finanzierung der besuchten Website hinzunehmen und sind für die Nutzer zumutbar.

Auch vorliegend handle es sich geradezu um ein kostenloses Angebot, bei der Werbung vom Durchschnittsverbraucher erwartet wird. Darüber hinaus wird der Kunde bei der Registrierung des kostenlosen E-Mail-Dienstes ausdrücklich auf die Finanzierung durch Werbung hingewiesen und es besteht die Möglichkeit das kostenpflichtige Angebot des Dienstes ohne Werbung zu nutzen. Ausserdem werden durch die Einblendung der Werbeanzeigen auch keine sonstigen Inhalte – wie beispielsweise die echten E-Mails – verdeckt.

Letztes Wort durch BGH möglich – praktische Auswirkungen nicht zu unterschätzen

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage, ob Inbox-Ads als elektronische Post gelten und ob sie ggf. eine unzumutbare Belästigung darstellen könnten, wurde die Revision an den BGH zugelassen.

Sollte der BGH den Standpunkt des OLG Nürnberg einnehmen, könnten sich theoretisch auch prominentere Gratis-Dienste mit Messenger-Funktion wie WhatsApp, Instagram etc. ähnlichen Werbeformen bedienen, die optisch wie echte Nachrichten in die Inbox eingeflochten werden – ohne dass diese Formen als unlauter abgestraft werden könnten.

Rechtsvergleich zum schweizerischen Recht

Ähnlich wie das deutsche Lauterkeitsrecht sieht Art. 3 Abs. 1 lit. o UWG im sog. „Spam-Artikel“ vor, dass fernmeldetechnisch gesendete Massenwerbung ohne direkten Zusammenhang mit einem angeforderten Inhalt ohne vorherige Einwilligung der Kunden im Grundsatz unlauter ist. Aufgrund der sehr weit formulierten Begrifflichkeiten ist nicht auszuschliessen, dass schweizerische Gerichte zu einem anderen Schluss als das OLG Nürnberg kämen.

Die vorliegende Inbox-Ad könnte vom – je nach Lehrmeinung – weiten Begriff der Massenwerbung, der sämtliche automatisierten Werbeformen abdeckt, erfasst werden. Anders als der enge Begriff der „elektronischen Post“ im deutschen bzw. europäischen Recht wird nicht nur elektronische Kommunikation erfasst, bei der die Nachricht in ein Postfach des Empfängers gelangt und dort von diesem – gegebenenfalls zeitversetzt – abgerufen werden kann. Entsprechend wird in der Schweizer Literatur auch Internetwerbung in Form eines Pop-Up Fensters als fernmeldetechnisch versandte Massenwerbung i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. o UWG verstanden. Diese stehen jedoch meist in einem direkten Zusammenhang mit einem angeforderten Inhalt und verstossen in diesem Fall nicht gegen den Spam-Artikel. Des Weiteren ist nach schweizerischem Recht bereits gemäss Gesetzeswortlaut nicht nur das Senden, sondern auch das Veranlassen explizit vom Tatbestand erfasst. Folglich könnte – angewendet auf den vorliegenden Fall – das Konkurrenzunternehmen als Auftraggeber als Veranlasser der unerwünschten Massenwerbung erfasst werden.

Da aber auch mit dem Schweizer Spam-Tatbestand der Schutz vor unaufgeforderter direkter und individueller Massenwerbung bezweckt wird, deren Werbepotential um einiges höher als eine allgemeine Publikumswerbung in der Internetökonomie ist, könnte die Anwendung auf übliche Online-Werbung im Einzelfall dennoch verneint werden. Darüber hinaus könnte bei Inbox-Ads argumentiert werden, dass sie in direktem Zusammenhang mit dem angeforderten (kostenlosen) Dienst stehen. Allerdings spricht der Gesetzeswortlaut von einem Zusammenhang mit einem angefordertern «Inhalt» und nicht von «Dienst». Es erscheint deshalb fraglich, ob die Gerichte dieser Argumentation folgen werden.

Gegebenenfalls wäre auch nach schweizerischem Recht zu prüfen, ob der konkrete Werbebanner als irreführend im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. b UWG oder als besonders aggressive Verkaufsmethode nach Art. 3 Abs. 1 lit. h UWG aufgefasst werden kann. Dass ein Schweizer Gericht diese Werbeform anders als das OLG Nürnberg nicht mit herkömmlichen Werbungen auf Webseiten gleichsetzen und die konkrete Darstellung als vermeintliche E-Mail als irreführend oder aggressiv einstufen würde, kann grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden.

Was die Erkennbarkeit der Inbox-Ad als Werbung angeht, verlangt auch das Schweizer Recht, dass die kommerzielle Kommunikation als solche erkennbar ist. Aus der Generalklausel von Art. 2 UWG werden die für die Werbung zentralen Gebote der Transparenz und Trennung abgeleitet. Letzteres postuliert, dass der redaktionelle Inhalt klar von der Werbung getrennt werden muss. Ähnlich wie das OLG Nürnberg müsste auch ein Schweizer Gericht unter dem Gesichtspunkt des Transparenzgebots prüfen, ob die Inbox-Ad überhaupt als Werbung ersichtlich ist.

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