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Ob Umbau oder grosses Neubauprojekt, Bauvorhaben können in technischer wie auch rechtlicher Hinsicht eine herausfordernde Angelegenheit darstellen. Nicht selten wird das vom Unternehmer versprochene Bauwerk nicht vertragsgemäss erstellt. Zwar lässt sich erfahrungsgemäss zwischen den Parteien für die fachmännische Behebung von untergeordneten Mängeln eine Einigung finden, dagegen gehen bei schwerwiegenden Mängeln mit hohen Sanierungskosten die Auffassungen der Parteien vielfach stark auseinander. Seitens der beweispflichtigen Partei besteht spätestens dann ein erhebliches Interesse, den Beweis für die Mangelhaftigkeit des fraglichen Bauwerks (resp. Bauwerkteils) zu prüfen und zu sichern.
1. Ausgangslage
Insbesondere bei einem vielgliedrigem Bauprojekt mit gestaffelter oder gleichzeitiger Ausführung der Bauleistungen durch mehrere Unternehmer besteht die Gefahr, dass Beweismittel im Zusammenhang mit einem Mangel vernichtet werden, sofern keine gutachterliche Aufnahme über den strittigen Zustand des Bauwerks gemacht wird.
Je nach Vielschichtigkeit des Sachverhalts und der damit verbunden technischen Fragestellungen sehen sich die Baubeteiligten bisweilen ausser Stande, die gewünschten Schlussfolgerungen betreffend die beanstandeten Mängel abzuleiten.
Häufig sieht sich die eine oder andere Partei deshalb veranlasst, eine Expertise zur Beurteilung des angeblich mangelbehafteten Bauwerks resp. Werkteils einzuholen, ohne die Gegenseite im Einzelnen über die Beauftragung in Kenntnis zu setzen. Als Bewegrund für ein solches Vorgehen kann beispielsweise die vorgängige Abklärung der Beweislage vor der Einleitung eines kostenintensiven Gerichtsverfahrens in Betracht fallen.
Doch welchen beweisrechtlichen Wert haben diese sogenannten Privatgutachten in einem allfälligen Bauzivilprozess unter der geltenden Zivilprozessordnung (ZPO) und welchen Einfluss wird die am 1. Januar 2025 in Kraft tretende Revision der ZPO (ZPO-Revision) auf die prozessrechtliche Qualifizierung der Privatgutachten1 haben?
2. Privatgutachten im Kontext des Bauzivilprozesses
Privatgutachten werden in aller Regel vorprozessual von einem Baubeteiligten einseitig in Auftrag gegeben. Sie sollen einen mutmasslichen Mangel an einem in Auftrag gegebenen Bauwerk untersuchen und gegebenenfalls in technischer Hinsicht belegen. Bei der Einführung eines solchen Privatgutachtens in einen anschliessenden Bauzivilprozess ist jedoch zu beachten, dass die geltende ZPO lediglich folgende Formen der Beweisführung zu Beweiszwecken zulässt: Zeugnis, Urkunde, Augenschein, Gutachten (Gerichts- oder Schiedsgutachten), schriftliche Auskunft und Parteibefragung sowie Beweisaussage (Art. 168 Abs. ZPO). Generell kommt einem Privatgutachten – im Unterscheid zu einem Gerichts- oder Schiedsgutachten2 – keine Beweiskraft zu, zumal der Privatgutachter weder zur Wahrheit noch zur Unbefangenheit verpflichtet ist. So argumentiert das schweizerische Bundesgericht, dass das Privatgutachten nach Massgabe der ZPO kein zulässiges Beweismittel ist, welches eine aufgestellte Parteibehauptung im Bestreitungsfall zu beweisen vermag (Urteil des Bundesgerichts 4A_286/2011 vom 30. August 2011 E. 4; BGE 141 III 433 E. 2.6). Immerhin gelten nach höchstrichterlicher Rechtsprechung Parteibehauptungen, die sich auf ein Privatgutachten stützen, als besonders detailliert (beispielsweise Plausibilisierung der Existenz eines Mangels; BGE 141 III 433 E. 2.6). Entsprechend genügt eine pauschale Bestreitung der Gegenpartei nicht. Vielmehr ist sie gehalten, Tatsachenbehauptungen, die auf Grund eines Parteigutachtens aufgestellt werden, substantiiert zu bestreiten.
3. Privatgutachten nach künftigem Recht
Mit der ZPO-Revision werden die Privatgutachten neu als Urkunden (nicht als Gutachten) ausdrücklich im Gesetz verankert; sie stellen fortan ein zulässiges Beweismittel dar und unterliegen der freien Beweiswürdigung des jeweiligen Gerichts. Mit dieser Anpassung reagiert der Gesetzgeber explizit auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts, die Privatgutachten nicht als Beweismittel qualifiziert, und trägt der Überlegung Rechnung, dass die Einbringung durch eine Partei per se nicht bereits Zweifel am Beweiswert des Privatgutachten auslöst.
Tatsächlich werden sich die Auswirkungen in der Praxis auf die prozessuale Beweisführung und -würdigung unter der revidierten ZPO erst noch zeigen müssen. So wird es einem Gericht immer noch vorbehalten bleiben, unter Umständen ein Gerichtsgutachten einzuholen, wenn beispielsweise nach der prozessualen Einführung eines Privatgutachtens, auf das sich das Gericht ausschliesslich stützen möchte, aufgrund von fehlenden Fachkenntnissen erhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Ergebnisse bestehen.
4. Fazit
Nach der geltenden ZPO kann ein Privatgutachten nicht als zulässiges Beweismittel in einen Bauzivilprozess eingeführt werden, um zum Beispiel das Vorhandensein eines Mangels zu belegen. Dennoch sind Privatgutachten in baurechtlichen Zivilverfahren wichtig, weil sie in aller Regel kostengünstiger als ein beantragtes Gerichtsgutachten sind und weil sie sehr plausibel sowie detailliert einen mutmasslichen Mangel prüfen sowie ein Parteivorbringen unterstützen können. Auch ist ein Gerichtsgutachten aus zeitlichen Gründen und/oder der Gefahr von erheblichen Mangelfolgeschäden oftmals keine realistische Option.
Mit der Umsetzung der ZPO-Revision soll die unzureichende Gesetzeslage angepasst werden. Damit sollen künftig auch Privatgutachten ausdrücklich als Urkunden gelten und ein zulässiges Beweismittel darstellen. Somit werden Bauprozesse in einem wesentlichen Punkt verfahrensrechtliche Verbesserungen erfahren und insbesondere die Beweisführung der beweispflichtigen Streitpartei erleichtern sowie den zuständigen Gerichten die Möglichkeit geben, solche Privatgutachten (als Beweismittel) nach ihrer Glaubwürdigkeit zu bewerten und mit den gegnerischen Beweisen abzuwägen. Die ZPO-Revision in puncto Privatgutachten ist daher zu begrüssen.
1Wir verweisen auch auf unseren Artikel vom 9. März 2022: Johner, Stucki, Modification du statut de l’expertise privée dans le CPC: revirement de jurisprudence en vue ?, MLL News Portal, 9. März 2022
2Schiedsgutachten werden ohne Zuhilfenahme der staatlichen Gerichte und durch einen von beiden Konfliktparteien gewählten Gutachter erstellt. Das Schiedsgutachten ist in einem anschliessenden Bauprozess für das Gericht hinsichtlich der darin festgestellten Tatsachen verbindlich, sofern das Schiedsgutachten nicht offensichtlich unrichtig ist, wenn gegen den beigezogenen Sachverständigen kein Ausstandsgrund vorlag und wenn das Schiedsgutachten ohne Bevorzugung einer Partei erstellt wurde (Art. 189 ZPO).
Gerichtsgutachten werden hingegen von Amtes wegen oder auf Antrag einer Partei vom Gericht angeordnet (Art. 183 Abs. 1 ZPO). Sie sind Beweismittel und verfügen über volle Beweiskraft, zumal der Gutachter von Gesetzes wegen unbefangen sowie unparteiisch sein muss (Art. 183 Abs. 2 ZPO) und sogar unter Strafandrohung zur Wahrheit verpflichtet ist (Art. 184 Abs. 2 ZPO).