Revidiertes- Versicherungsaufsichtsrecht

Revidiertes Versicherungsaufsichtsrecht: Bundesrat verabschiedet Aufsichtsverordnung und setzt das revidierte Versicherungsaufsichtsrecht in Kraft


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Am 2. Juni 2023 verabschiedete der Bundesrat die Anpassungen der Aufsichtsverordnung und setzte das revidierte Versicherungsaufsichtsgesetz und die revidierte Aufsichtsverordnung per dem 1. Januar 2024 in Kraft.

Ausgangslage

Am 18. März 2022 haben die eidgenössischen Räte die Teilrevision des Versicherungsaufsichtsgesetzes (nVAG) verabschiedet. In der Folge wurde das Vernehmlassungsverfahren über die Änderung der Ausführungsbestimmungen in der Aufsichtsverordnung (AVO) eröffnet. Das Vernehmlassungsverfahren dauerte vom 17. Mai 2022 bis zum 7. September 2022. Am 2. Juni 2023 hat der Bundesrat nun die Änderungen der AVO (nAVO) verabschiedet und gleichzeitig das nVAG und die nAVO per dem 1. Januar 2024 in Kraft gesetzt. Das revidierte Versicherungsaufsichtsrecht verankert das kundenschutzbasierte Regulierungs- und Aufsichtskonzept, sieht weitreichende Änderungen für die Versicherungsvermittlung vor, schafft ein neues Sanierungsrecht und wartet mit Klarstellungen in Bezug auf die Solvenz und das gebundene Vermögen auf.

Wichtigste Änderungen der nAVO gegenüber der Vernehmlassungsvorlage der AVO

Der Bundesrat hat an der Vernehmlassungsvorlage zur Anpassung der AVO weitgehend technische und sprachliche Änderungen vorgenommen. Erwähnenswert scheinen aber folgende Anpassungen:

  • Unabhängigkeit von Organmitgliedern (vgl. Art. 14a Abs. 2 nAVO): Die Anforderung, dass lediglich eine Minderheit der Personen, die mit der Oberleitung, der Aufsicht und der Kontrolle betraut sind, gleichzeitig in anderen Organen oder wichtigen Funktionen des Versicherungsunternehmens tätig sein dürfen, wurde gestrichen. Das ist mit Blick auf das bereits gegenwärtig geltende Verbot der Doppelfunktion von Verwaltungsrats- und Geschäftsleitungsmitgliedern sinnvoll.
  • Definition des Interessenkonflikts (Art. 14b nAVO): Die Definition des Interessenkonflikts wurde an das Begriffsverständnis des Finanzdienstleistungsgesetzes angepasst, ohne aber zu materiellen Änderungen gegenüber der Vernehmlassungsvorlage zu führen. Ein Interessenkonflikt liegt namentlich vor, wenn das Versicherungsunternehmen unter Verletzung von Treu und Glauben zulasten von bestimmten Versicherungsnehmerinnen für sich einen finanziellen Vorteil erzielen oder einen finanziellen Verlust vermeiden kann. Ferner besteht ein Interessenkonflikt dann, wenn das Versicherungsunternehmen am Ergebnis der Versicherungsdienstleistung ein Interesse hat, das demjenigen der Versicherungsnehmerin widerspricht.
  • Risikoabsorbierende Kapitalinstrumente (Art. 37 nAVO; Art. 198d nAVO): Die Vorgaben über die Anrechnung und Berücksichtigung risikoabsorbierender Kapitalinstrumente wurden massgeblich ergänzt. Klargestellt wurde, was bei der rechtlichen Ausgestaltung der Vertragsbeziehung zwischen dem Versicherungsunternehmen und den Anleihens- oder Darlehensgläubigern adressiert werden muss. Im Vergleich zur Vernehmlassungsvorlage wird nun festgehalten, dass die Zahlung der Kapitalforderung und fälliger Schuldzinsen von risikoabsorbierenden Kapitalinstrumenten in Tier 1 bei Unterschreiten von 100% des SST-Quotienten als auch bei Insolvenzgefahr ebenfalls aufgeschoben werden muss. Risikoabsorbierende Kapitalinstrumente in Tier 1 sind zudem für die Feststellung der drohenden Überschuldung als Fremdkapital zu berücksichtigen. Die Gläubigerinnen müssen sich ferner vertraglich verpflichten, die Feststellung der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA (FINMA) über den Eintritt eines den relevanten Trigger auslösenden Ereignisses sowie mögliche von der FINMA angeordnete Massnahmen bei Insolvenzgefahr anzuerkennen. Weitere Klarstellungen betreffen die Verankerung des Grundsatzes, dass keine Mechanismen bestehen dürfen, welche die risikoabsorbierenden Kapitalmarktinstrumente in ihrer risikoabsorbierenden Wirkung massgeblich beinträchtigen (z.B. Abgabe von Garantien). Nämliche Klarstellungen finden sich auch in Bezug auf die Regelung risikoabsorbierender Kapitalinstrumente von Versicherungsgruppen.
  • Versicherungstechnische Rückstellungen (Art. 62 nAVO): Die Vernehmlassung wollte die Möglichkeit der planmässigen Verstärkung der versicherungstechnischen Rückstellungen im Bereich der Lebensversicherung streichen. Die nAVO sieht eine solche Verstärkungsmöglichkeit allerdings wieder vor, wobei ein entsprechender Alimentierungsplan nur noch für einen Zeitraum von höchstens fünf Jahren (bisher zehn Jahre) genehmigt werden kann, und die versicherungstechnischen Rückstellungen eine wesentliche Sicherheitsmarge enthalten müssen.
  • Begriff der Versicherungsvermittlung (Art. 182a nAVO): Der Begriff der Versicherungsvermittlerinnen wurde im Vergleich zur Vernehmlassungsvorlage massgeblich überarbeitet. Letztlich geht es darum, sämtliche Handlungen, die einen direkten Kundenkontakt unter Anwesenden oder unter Abwesenden zum Gegenstand haben, zu erfassen. So wird nun klargestellt, dass Versicherungsvermittlerin ist, wer die Versicherungsnehmerinnen im Hinblick auf den Abschluss eines Versicherungsvertrags berät oder Versicherungsverträge vorschlägt. Das Kriterium der Vornahme wesentlicher Vorbereitungsarbeiten für das Anbieten oder Abschliessen von Versicherungsverträgen wurde gestrichen. Besonders weitreichend erscheint die neue Formulierung, wonach auch als Versicherungsvermittlerin gelten soll, wer am Anbieten oder Abschliessen eines Versicherungsvertrags über eine Webseite oder ein anderes elektronisches Medium ein wirtschaftliches Interesse hat und (a) aufgrund von individualisierten Kriterien Informationen über einen oder mehrere Versicherungsverträge bereitstellt, den oder die eine Versicherungsnehmerin über diese Webseite oder dieses andere elektronische Medium wählen kann, oder (b) eine Rangliste von Versicherungsprodukten erstellt. Die Begriffsdefinition dürfte somit wesentliche Auswirkungen auf «Embedded Insurance»-Lösungen haben. Nicht als Versicherungsvermittlerinnen gelten allerdings Personen, welche nur Daten oder Informationen zur Verfügung stellen. Es ist aber, gerade vor dem Hintergrund der Ausführungen im erläuternden Bericht zur Änderung der Aufsichtsverordnung, fraglich, ob Personen, die mehr oder weniger umfassend Daten zwecks Abschlusses eines Versicherungsvertrags erheben, nicht als Versicherungsvermittlerinnen gelten.
  • Ort der Vermittlungstätigkeit und Sitzerfordernis (Art. 186 nAVO): Das Erfordernis, dass Angestellte von ungebundenen Versicherungsvermittlerinnen ihre Vermittlungstätigkeit von einem Ort in der Schweiz ausüben müssen, wurde fallengelassen. Zudem wird neu vorgesehen, dass die FINMA Versicherungsvermittlerinnen, die in der Schweiz ausschliesslich Rückversicherungsverträge vermitteln, eine Ausnahme von der Sitz-, Wohnsitz- bzw. Niederlassungspflicht gewähren kann.
  • Berichterstattung (Art. 190b nAVO): Die in der Vernehmlassung vorgeschlagene umfassende Berichterstattungspflicht ungebundener Versicherungsvermittler wurde auf das für die Aufsicht notwendige Mass reduziert. Die Ausgestaltung der Berichterstattungspflicht soll zudem nach dem Proportionalitätsprinzip erfolgen.
  • Übergangsfrist für Informationen betr. Lebensversicherungen (Art. 216c Abs. 8 nAVO): Die Versicherungsunternehmen müssen den Versicherungsnehmerinnen die Informationen zu nicht-qualifizierten und qualifizierten Lebensversicherungen gemäss der nAVO erst ab dem 1. Januar 2025 aushändigen.

Weitere Informationen:

 

Bei Fragen zum revidierten Versicherungsaufsichtsrecht steht Ihnen die Industriegruppe Versicherungen von MLL Legal gerne zur Verfügung.

Dieser Beitrag stellt keine Rechtsberatung dar. Er gibt lediglich das gegenwärtige Verständnis des Autors in Bezug auf die diskutierte Rechtsfrage kund, ohne Berücksichtigung individueller Umstände. Jegliche Haftung für die Inhalte dieses Beitrags sind ausgeschlossen. Zudem trifft MLL Legal keine Verpflichtung, die Leser*innen dieses Beitrags über neue Rechtsprechung, Praxisänderungen oder anderweitige Änderungen zu informieren.


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