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In einem kürzlich ergangenen Urteil (Urteil des BGer 4A_73/2021 vom 1. Juni 2021) äusserte sich das Bundesgericht zur Gültigkeit und den Grenzen von Vereinbarungen über den Rückzug von Einsprachen, die im Zusammenhang mit Bauprojekten abgeschlossen werden.
Im vorliegenden Fall ging es um ein Immobilienprojekt im Kanton Thurgau, das spätestens am 1. März 2017 hätte übergeben werden sollen. Während der Bauarbeiten ergab sich die Notwendigkeit einer Änderung des ursprünglichen Projekts, die den Bau einer Stützmauer an der Grenze zum Nachbargrundstück beinhaltete.
Der Bauherr reichte daraufhin einen Ergänzungsantrag (Änderung des ursprünglichen Projekts) ein, gegen den die Mieterin des Nachbargrundstücks Einsprache erhob. In einer mit dem Bauherr geschlossenen Vereinbarung verpflichtete sich die Einsprecherin, ihren Einspruch gegen Zahlung eines Betrags von CHF 240’000 zurückzuziehen, was sie nach Erhalt der vereinbarten Zahlung auch tat. Einige Monate später teilte ihr der Bauherr jedoch mit, dass er die Vereinbarung als nichtig betrachte, da sie unsittlich und mangelhaft sei. Er forderte daher die Rückzahlung der erhaltenen Summe für den Rückzug der Einsprache, was die Nachbarin ablehnte.
Der Bauherr klagte daraufhin gegen seine Vertragspartnerin. Nachdem er erst- und zweitinstanzlich unterlegen war, gelangte er an das Bundesgericht, das die Frage der Gültigkeit des Einspracherückzugsvertrags unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Sittenwidrigkeit zu entscheiden hatte. Bei dieser Gelegenheit hatte das Bundesgericht auch die Frage zu prüfen, ob der vertraglich vereinbarte Betrag «freiwillig» oder «unfreiwillig» bezahlt wurde, mit anderen Worten, ob der Beschwerdeführer berechtigt war, den bezahlten Betrag nach den Regeln über die ungerechtfertigte Bereicherung zurückzufordern.
In seinem Entscheid wiederholte das Bundesgericht eingangs seine Rechtsprechung zum Begriff der Sittenwidrigkeit im Sinne von Art. 20 Abs. 1 OR. In Bezug auf eine Vereinbarung, die den Rückzug einer Einsprache gegen eine Vergütung vorsieht, bejahten die Bundesrichter einen «sittenwidrigen» Charakter, wenn die Vergütung lediglich darauf abzielt, eine Verzögerung des Bewilligungsverfahrens zu verhindern, und nicht durch ein schutzwürdiges Interesse des Einsprechenden gerechtfertigt ist. Ebenso ist die Vergütung für den Rückzug eines Einspruchs, der von vornherein aussichtslos erscheint, sittenwidrig.
Das Bundesgericht stellte in diesem Zusammenhang fest, dass die Nachbarin im vorliegenden Fall die Einsprache in gutem Glauben erhoben hatte, da sie vorab nie über die Änderung des Bauprojekts informiert worden und sich offensichtlich nicht ausreichend über die Bedeutung des «Zeitfaktors» des Projekts im Klaren war. Im Übrigen waren es die Vertreter des Bauherren, die die Initiative zu Verhandlungen mit dem Ziel der Rücknahme ergriffen hatten.
Das Gericht stellte ausserdem fest, dass der Einspruch hauptsächlich aus Gesundheitsgründen eingelegt wurde, da die Errichtung der Stützmauer zur Folge gehabt hätte, dass die Produktionsräume der Einsprecherin nicht mehr taghell gewesen wären.
Trotz dieser Umstände liessen die Bundesrichter die Frage der Sittenwidrigkeit des Vertrags sowie die Frage des Willensmangels aufgrund von Übervorteilung (Art. 21 OR) offen, da die Klage aus den nachfolgend dargelegten Gründen ohnehin keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte.
Der strittige Vertrag wurde nämlich anschliessend im Hinblick auf die Voraussetzungen geprüft, die Art. 63 OR für die Rückforderung einer Nichtschuld vorsieht. Art. 63 Abs. 1 OR besagt: «Wer eine Nichtschuld freiwillig bezahlt, kann das Geleistete nur dann zurückfordern, wenn er nachzuweisen vermag, dass er sich über die Schuldpflicht im Irrtum befunden hat«. Die Rückforderung einer zu Unrecht geleisteten Zahlung setzt also eine «unfreiwillige» Zahlung voraus. Diese Voraussetzung ist gegeben, wenn die Zahlung durch Drohungen herbeigeführt oder wenn der Zahlende zur Zahlung dazu gezwungen wurde.
Unter Bezugnahme auf ein älteres Urteil aus dem Jahr 1996 (BGE 123 III 101) führte das Bundesgericht aus, dass eine Nichtschuld vorliegt, wenn sich eine Person in einer Notlage (Art. 21 OR) oder unter dem Einfluss einer begründeten Furcht (Art. 29 f. OR) befindet. In solchen Fällen sei die Zahlung unfreiwillig. Abgesehen von diesen Fällen kann eine Zwangssituation auch dann gegeben sein, wenn der Zahlende unzumutbare Nachteile hätte in Kauf nehmen müssen, die er nicht anders als durch die verlangte Zahlung hätte abwenden können. Die Zahlung muss somit als einziger möglicher und zumutbarer Ausweg erscheinen. Indem das Urteil klarstellt, dass die Anforderungen an den Nachweis der Unfreiwilligkeit der Zahlung nicht zu hoch angesetzt werden dürfen, liefert es eine von der Lehre erwartete und daher begrüssenswerte Klarstellung.
Im vorliegenden Fall waren die Richter jedoch der Ansicht, dass es dem Bauherrn nicht gelungen war, nachzuweisen, dass im Falle einer Fertigstellung der Arbeiten nach dem 1. März 2017 der Käufer tatsächlich vom Vertrag zurückgetreten wäre oder dass die ursprünglich vorgesehenen Fristen nicht verhandelbar gewesen wären, was zu erheblichen Zusatzkosten geführt hätte. Vor diesem Hintergrund stellten die Richter fest, dass der Bauherr nicht zurückfordern könne, was er gemäss der Vereinbarung über den Einspracherückzug bezahlt hatte.
Dieser Entscheid ist im Übrigen wie folgt zu kommentieren:
- Er bestätigt, dass ein Vertrag über die Entschädigung für die Rücknahme einer Einsprache nicht per se sittenwidrig ist. Wenn das Bauprojekt jedoch offensichtlich den geltenden Normen entspricht und sich die Einsprache daher als unbegründet erweist, liegt eine unzulässige «Kommerzialisierung» der Rechtsposition des Einsprechenden vor.
- Er führt aus, dass die Anwendung von Art. 63 OR im Falle von Zwang nur dann gerechtfertigt ist, wenn die Entschädigung des Rückzugs als einzig denkbare Lösung erscheint, um unzumutbare Nachteile zu vermeiden
- Obwohl der Bauherr im vorliegenden Fall nicht berechtigt war, die Rückzahlung des als Gegenleistung für den Rückzug der Einsprache bezahlten Betrags zu verlangen, erleichterte das Bundesgericht die Beweislast für den Nachweis, dass die Zahlung nicht freiwillig erfolgte. Folglich sollte sich ein Nachbar, der von seiner rechtlich geschützten Position profitieren möchte, davor hüten, eine Entschädigung zu fordern, die nicht auf einem schutzwürdigen Interesse beruht und in einem angemessenen Verhältnis zu den verursachten Nachteilen steht.