Ihr Kontakt
Im Sommer 2014 wurde damals vom schweizerischen Parlament das neue Bundesgesetz über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände (LMG) vom 20. Juni 2014 verabschiedet. In Kraft getreten sind die neuen Vorgaben per 1. Mai 2017. Von der Revision mitumfasst war die Änderung bzw. Neueinführung zahlreicher lebensmittel- und gebrauchsgegenstandsrechtlicher Verordnungen. Gemäss offizieller Übersicht des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) besteht die Verordnungsstruktur des schweizerischen Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständerechts (im engeren Sinne) aktuell aus 4 bundesrätlichen Verordnungen, 23 Verordnungen des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) sowie aus 4 Verordnungen des BLV. Parallel hierzu existieren allgemeinere Erlasse, welche des schweizerische Lebensmittelrecht ebenfalls tangieren können, wie etwa Vorschriften über den lauteren Wettbewerb oder die Beseitigung technischer Handelshemmnisse. Mit dem jüngsten Revisionspaket «Stretto 4» (teilweise auch «Stretto IV» genannt) wird das aktuelle Verordnungsrecht einer grösseren Revision – mit thematisch unterschiedlicher Stossrichtung – unterzogen.
Totalrevision des Lebensmittelrechts 2017
Primäres Ziel der damaligen Total- bzw. Gesamtrevision war die Angleichung des schweizerischen Rechts an die Rechtslage in der EU. Durch diese Angleichung sollten im Kern bestehende Handelshemmnisse grossmehrheitlich beseitigt sowie die geltenden bilateralen Verträge mit der EU aufrechterhalten werden. Gewisse Besonderheiten des schweizerischen Lebensmittelrechts – wie etwa die Pflichtangabe des Produktionslandes von Lebensmitteln oder die die Pflichtangabe über die Herkunft von Zutaten – sollten jedoch gleichzeitig im Sinne einer schweizerischen Sonderreglung beibehalten werden. Eine weitere bedeutende Änderung bestand sodann in der Abkehr von dem bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Positivprinzip, gemäss welchen Lebensmittel in der Schweiz nur dann rechtmässig in Verkehr gebracht werden durften, wenn diese kategorisch innerhalb einer Positivliste aufgeführt waren. Unter dem neuen Lebensmittelrecht dürfen entsprechend Lebensmittel unter allgemeinen Voraussetzungen in Verkehr gelangen, sofern sie sicher sind und den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Parallel hierzu eingeführt wurden etwa die Bewilligungspflicht für neuartige Lebensmittel, die Einführung von Höchstwertkonzepten sowie die ausdrückliche Verankerung des sog. Vorsorgeprinzips. Letzteres gibt den mit dem Risikomanagement beauftragen Behörden die Möglichkeit, auf die Gesundheit ausgerichtete Massnahmen selbst dann zu treffen, wenn keine vollständigen wissenschaftlichen Informationen zu einem bestimmten Risiko vorliegen.
Vorangehendes Revisionspaket «Stretto 3»
Nach dem Inkrafttreten des totalrevidierten Lebensmittelrechts am 1. Mai 2017 wurden von Seiten des Bundesrates verschiedene Evaluationen hinsichtlich der Zielführung und Zweckmässigkeit des neuen Verordnungsrechts durchgeführt. In diesem Zusammenhang hat sich einerseits ergeben, dass mehrere Bestimmungen aus dem geltenden Verordnungsrecht inhaltlich präzisiert werden mussten. Andererseits wurde zwischenzeitlich – d.h. seit der Totalrevision im Mai 2017 – das EU-Recht ebenfalls weiterentwickelt, was die neuerliche Angleichung verschiedener Bestimmungen erforderlich machte. Durch das Revisionspaket «Stretto 3» wurde in der Folge die wichtige Scharnierverordnung über Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände (LGV) vom 16. Dezember 2016 angepasst und inhaltlich aktualisiert (vgl. hierzu die Erläuterungen zu den Änderungen der LGV vom 20. Mai 2020).
Aktuelles Revisionspaket «Stretto 4» im Kurzüberblick
Mit offizieller Medienmitteilung vom 30. September 2022 hat der Bundesrat mitgeteilt, dass das schweizerische Lebensmittelrecht – in Gestalt des lebensmittelrechtlichen Verordnungsrechts (vgl. oben) – erneut selektiv angepasst werden soll. Eingeführt werden die anvisierten Änderungen gemäss dem Revisionspaket unter dem Namen «Stretto 4». Am gleichen Datum wurde die Vernehmlassung durch das EDI eröffnet, welche am 31. Januar 2023 endete.
Gegenwärtig befinden sich das Revisionspaket «Stretto 4» sowie die eingegeben Rückmeldungen aus der Vernehmlassung beim Bundesrat in der Evaluation, sodass die öffentlich einsehbaren Erläuterungen zur Änderung des LGV bislang undatiert in provisorischer Fassung vorliegen.
Inhaltlich adressiert das Revisionspaket «Stretto 4» – im Sinne einer Übersicht – die nachfolgenden Themenbereiche (vgl. auch am Ende des Beitrages):
- Offenverkauf von Backwaren;
- Täuschungsschutz;
- «Food Waste»;
- Deklaration auf Lebensmittelverpackungen; und
- Harmonisierung diverser Vorgaben mit EU-Recht.
Die Umsetzung von «Stretto 4» betrifft im Einzelnen selektiv die nachfolgenden Verordnungen (gemäss Erlassliste in Entwurfsversion):
- Die Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung (LGV);
- Verordnung über den Vollzug der Lebensmittelgesetzgebung (LMVV);
- Verordnung über den mehrjährigen nationalen Kontrollplan für die Lebensmittelkette und die Gebrauchsgegenstände (MNKPV);
- Verordnung über das Schlachten und die Fleischkontrolle;
- Milchprüfungsverordnung (MiPV);
- Verordnung des EDI betreffend die Information über Lebensmittel (LIV);
- Verordnung des EDI über Lebensmittel tierischer Herkunft (VLtH);
- Verordnung des EDI über Lebensmittel pflanzlicher Herkunft, Pilze und Speisesalz (VLpH);
- Verordnung des EDI über die Höchstgehalte für Kontaminanten (VHK);
- Verordnung des EDI über Nahrungsergänzungsmittel (VNem);
- Verordnung des EDI über Lebensmittel für Personen mit besonderem Ernährungsbedarf (VLBE);
- Verordnung des EDI über Getränke (Getränkeverordnung);
- Verordnung des EDI über Trinkwasser sowie Wasser in öffentlich zugänglichen Bädern und Duschanlagen (TBDV);
- Verordnung des EDI über Materialien und Gegenstände, die dazu bestimmt sind, mit Lebensmitteln in Berührung zu kommen (Bedarfsgegenständeverordnung);
- Verordnung des EDI über die Hygiene bei der Milchproduktion (VHyMP);
- Verordnung des EDI über Gegenstände für den Humankontakt;
- Verordnung des EDI über neuartige Lebensmittel;
- Verordnung des EDI über die Hygiene beim Schlachten;
- Verordnung des EDI über Aromen und Lebensmittelzutaten mit Aromaeigenschaften in und auf Lebensmitteln (Aromaverordnung);
- Verordnung des EDI über die Hygiene beim Umgang mit Lebensmitteln (HyV);
- Verordnung über die Aus-, Weiter- und Fortbildung der Personen im öffentlichen Veterinärwesen; und
- Verordnung des EDI über gentechnisch veränderte Lebensmittel (VGVL).
Durch das Revisionspaket «Stretto 4» sollen einerseits vier vom schweizerischen Parlament an den Bundesrat überwiesenen Motionen umgesetzt werden. Gleichzeitig sollen die Anpassungen im geltenden Recht sowohl den Gesundheitsschutz (Art. 1 lit. a LMG) als auch den Täuschungsschutz (Art. 1 lit. c LMG) an das Schutzniveau der umliegenden Länder angleichen sowie allfälligen Handelshemmnissen vorbeugen.
Inhaltlich soll durch «Stretto 4» etwa eine (schriftliche) Deklarationspflicht für Bäckereien, Gastronimiestätten sowie Detailhandelsbetriebe eingeführt werden, gemäss welcher (neu) das Produktionsland für Brot und Backwaren zwingend anzugeben ist (vgl. Motion 20.3910, WBK-S «Deklaration des Produktionslandes von Brot und Backwaren»).
Im Bereich «Food Waste» werden neu Lebensmittelbetriebe (gemäss Art. 2 Abs. 1 Ziff. 1 LGV) und sog. Verteilorganisationen zur Sicherstellung angehalten, dass nur gesundheitlich unbedenkliche Lebensmittel an «Anti-Food-Waste»-Organisationen gespendet oder weitergegeben werden.
Hinsichtlich der Einsparung von Verpackungsmaterial soll sodann der Detailhandel inskünftig unverpackte sowie tiefgekühlte Lebensmittel offen verkaufen dürfen, wobei die bereits heute für offen in Verkehr gebrachte Lebensmittel geltende Informationspflicht auf entsprechende Tiefkühlprodukte übertragen werden wird.
Bislang war die lebensmittelrechtliche Kennzeichnung von Allergenen in der Schweiz zwingend notwendig, während in der EU solche Kennzeichnungen freiwillig bzw. weniger weitgehend erfolgten. Durch die Anpassungen im Verordnungsrecht soll es neu auch im schweizerischen Recht möglich werden, Allergenkennzeichnungen in Form von Gruppenbezeichnungen vorzunehmen. Im Rahmen der Medienmitteilung verwendet der Bundesrat hierzu das neu zulässige Kennzeichnungsbeispiel «Nüsse» statt – wie bisher spezifischer – «Haselnuss».
Schliesslich soll die amtliche Kontrolle von landwirtschaftlichen Erzeugnissen unter Verwendung einer geschützten Bezeichnung intensiviert werden.