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Könnte die Ausnahmeregelung, die während der Covid-19-Pandemie für die Beschlussfassung eingeführt wurde, dauerhaft gelten und zur Regel werden?
Die Covid-19-Pandemie und die verschiedenen gesetzlichen Ausnahmeregelungen, die während dieser Zeit eingeführt wurden, haben zweifellos unsere Art und Weise, miteinander zu kommunizieren, beeinflusst. Auch der Bereich des Stockwerkeigentums (StWE) ist davon betroffen, da der Gesetzgeber virtuelle Versammlungen und schriftliche Abstimmungen erlaubt hat, um die Beschlussfassung nicht zu blockieren. Könnten diese neuen Formen des Ausdrucks des gemeinsamen Willens zur Regel innerhalb von Stockwerkeigentumsgemeinschaften werden?
Geltende Gesetzgebung
Gemäss der geltenden Gesetzgebung1 können Beschlüsse von Stockwerkeigentümern nur zwei Formen annehmen: Beschlüsse, die auf einer Versammlung der Stockwerkeigentümer gefasst werden, und Beschlüsse, die auf dem Zirkularweg angenommen werden.
Covid-19 und Ausnahmeregime
Angesichts der Covid-19-Pandemie führte der Bundesrat in der Verordnung 3 Covid-19 die Möglichkeit ein, virtuelle Versammlungen abzuhalten.
In dieser Hinsicht sah Art. 27 Folgendes vor:
«1 Bei Versammlungen von Gesellschaften kann der Veranstalter ungeachtet der voraussichtlichen Anzahl Teilnehmerinnen und Teilnehmer und ohne Einhaltung der Einladungsfrist anordnen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Rechte ausschliesslich ausüben können:
a. auf schriftlichem Weg oder in elektronischer Form; oder
b. durch einen vom Veranstalter bezeichneten unabhängigen Stimmrechtvertreter
2 Die Anordnung muss spätestens vier Tage vor der Veranstaltung schriftlich mitgeteilt oder elektronisch veröffentlicht werden.»
Diese Ausnahmeregelung stellte jedoch formale Anforderungen an die Durchführung der Versammlungen, um die Gültigkeit der getroffenen Entscheidungen zu gewährleisten. In Bezug auf die StWEV müssen folgende Punkte beachtet werden:
- Die Einberufung der Versammlung der Stockwerkeigentümer sollte weiterhin nach den geltenden Regeln erfolgen (Art. 712n ZGB)
- der Versand der Einladung musste ebenfalls die in der Verwaltungs- und Nutzungsordnung der StWE festgelegte Frist einhalten
- die Frage des von Art. 712p ZGB vorgeschriebenen Quorums blieb jedoch strittig: Einige Autoren plädierten für eine Gültigkeit der Beschlüsse, auch wenn das Quorum nicht erreicht wurde, mit der Begründung, dass die Quorumsregeln nicht dem Zweck von Art. 27 entsprächen, der gerade darauf abziele, die Durchführung von Versammlungen zu erleichtern
- die schriftliche Beschlussfassung musste die Unterschrift aller Eigentümer erfordern
- die Durchführung von virtuellen Versammlungen sollte die Identifizierung/Authentifizierung der Diskussionsteilnehmer ermöglichen
- die Führung eines Protokolls und dessen Aushändigung an die Eigentümer weiterhin gefordert und verpflichtend war.
Was die Mehrheitsverhältnisse bei schriftlicher oder elektronischer Beschlussfassung betrifft, so hat sich die Immobilienpraxis für die Anwendung der normalen gesetzlichen oder in den Eigentumsordnungen verankerten Mehrheitsregeln entschieden, was im Sinne der von Art. 27 beabsichtigten Erleichterung der Beschlussfassung an Versammlungen ist.
Diese Bestimmung wurde nach der Aufhebung der Covid-Massnahmen durch den Bundesrat beibehalten und sollte bis zum 31. Dezember 2023 in Kraft bleiben, d.h. bis zum Inkrafttreten der Revision des Aktienrechts, die ursprünglich für den 1er Januar 2024 geplant war.
Da die neuen Bestimmungen zum Aktienrecht bereits am 1er Januar 2023 vorzeitig in das Obligationenrecht aufgenommen wurden, ist Art. 27 der Verordnung 3 Covid-19 nicht mehr anwendbar.
Das revidierte Aktienrecht erlaubt nun die Abhaltung virtueller Versammlungen (Art. 701d OR) und zeigt damit, dass diese Art der Beschlussfassung voll im Trend liegt und sich dauerhaft etablieren wird. Diese Bestimmungen sind jedoch derzeit und in Ermangelung einer diesbezüglichen Rechtsprechung weder direkt noch analog auf das System des Stockwerkeigentums übertragbar.
Denn die Beschlussfassung innerhalb von Stockwerkeigentümergemeinschaften unterliegt dem Vereinsrecht (Art. 712m Abs. 2 ZGB i.V.m. Art. 60 ff. ZGB) und nicht dem Gesellschaftsrecht.
Nach dem 1er Januar 2023: Eine modernisierte Zukunft?
Die Aufhebung von Art. 27 der Verordnung 3 Covid-19 bedeutet «einen Rückschritt» in der Leitung und Verwaltung von Eigentumswohnungen, da sowohl Mehrheitsentscheidungen durch schriftliche Abstimmungen als auch virtuelle Versammlungen nicht mehr zulässig sind.
Die Zulässigkeit schriftlicher Abstimmungen durch die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage war bisher noch nicht Gegenstand von Diskussionen und wird im Übrigen auch in der Lehre diskutiert: Einige Autoren befürworten2 , andere3 sind der Ansicht, dass diese Abstimmungsmöglichkeit den demokratischen Charakter der Versammlung beeinträchtigen und damit dem Missbrauch Tür und Tor öffnen würde.
Ganz anders die Frage der virtuellen Versammlungen, deren jüngste Erfahrungen eine deutliche Begeisterung für diese Art der Beschlussfassung gezeigt haben.
Bereits 2019, als noch nichts auf die Pandemie von 2020 hindeutete, wurde das von der Chambre Vaudoise Immobilière herausgegebene Musterreglement aktualisiert, um die Möglichkeit, Versammlungen per Videokonferenz abzuhalten, zu berücksichtigen und dem Bedürfnis nach einer Modernisierung der Verwaltung von StWE-Einheiten durch den Einsatz aktueller Technologien nachzukommen.
Trotz des Fehlens einer gesetzlichen Bestimmung und einer klaren Position der Lehre gibt es derzeit kein Hindernis für eine Eigentümergemeinschaft, eine reglementarische Bestimmung einzuführen, die die Beschlussfassung auf elektronischem oder schriftlichem Wege erlaubt, wie es Art. 27 der Verordnung 3 COVID-19 zulässt, und damit nach dem 1. Januar 2023 die Praxis der letzten Jahre fortzusetzen, zumindest was ausserordentliche Versammlungen betrifft.
In diesem Zusammenhang gilt es zu beachten, dass eine Änderung der Eigentumsordnung in einer Generalversammlung mit einer qualifizierten Mehrheit (Mehrheit der Eigentümer und der Anteile) beschlossen werden muss.
Ausserdem würden im Falle einer Anfechtung einer Abstimmung, die schriftlich oder virtuell stattgefunden hat, die gesetzlichen Regeln weiterhin gelten: Ein Stockwerkeigentümer, der einem Beschluss nicht zugestimmt hat, kann diesen innerhalb eines Monats nach Kenntnisnahme anfechten, wenn er der Meinung ist, dass er gegen das Gesetz oder die Verordnung verstösst (Art. 75 ZGB).
Schliesslich empfiehlt es sich, mindestens einmal im Jahr eine Präsenzversammlung abzuhalten, um die Verbindung und die direkte Kommunikation zwischen den Stockwerkeigentümern aufrechtzuerhalten, was wiederum zu einem guten Einvernehmen beitragen kann.
Schlussfolgerung
Eine Modernisierung des Beschlussfassungsmechanismus innerhalb der StWEV wäre angesichts der immer schnelleren technologischen Entwicklung in unserer Gesellschaft und unseres Lebensrhythmus, der uns immer mehr dazu zwingt, in Bewegung zu bleiben, zu begrüssen.
Bis zur Einführung einer gesetzlichen Regelung stehen wir Stockwerkeigentümergemeinschaften, die in ihr Verwaltungs- und Nutzungsreglement eine reglementarische Bestimmung aufnehmen möchten, um die Beschlussfassung durch virtuelle Versammlungen bzw. schriftliche Abstimmungen zu ermöglichen, weiterhin gerne zur Verfügung.
1 Art. 712m ff. des Zivilgesetzbuches (ZGB).
2 Schwarz und Sutter-Somm u. a.
3 Wermelinger im Besonderen.