Tagungsbericht zum zehnten Atelier de la Concurrence über die kartellrechtlichen Vorschriften für den Kfz-Vertrieb


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Die Diskussion über die Zukunft der kartellrechtlichen Vorschriften zum Automobilvertrieb ist in vollem Gange. Ab Juni 2013 gelten in der EU (Kfz-GVO) zwischen Lieferanten und Händlern neue Regeln. Für die Schweiz stellt sich die Frage: Übernahme der Kfz-GVO oder Beibehalten der bisherigen Kfz-Bekanntmachung? Vor diesem Hintergrund fand am 13. März 2012 das zehnte Atelier de la Concurrence statt. Der dazugehörige Tagungsbericht von unserem juristischen Mitarbeiter Michael Schüepp ist seit Kurzem online. Darin sind unter anderem ein Referat von Prof. Dr. Christian Genzow zu den ersten Erfahrungen mit den neuen EU-Vorschriften sowie ein Referat von Prof. Dr. Patrik Ducrey (WEKO) zur wettbewerbsrechtlichen Entwicklungen im Schweizer Automobilvertrieb und zur Zukunft der Schweizer Regelung enthalten.

Wettbewerbssituation im Schweizer Kfz-Vertrieb

Im ersten Teil der Tagung präsentierte Prof. Dr. Peter Münch das Gutachten der ZHAW School of Management and Law zur «Wettbewerbssituation im Schweizer Automobilgewerbe 2011». Daraus geht insbesondere hervor, dass sowohl im Neuwagenvertrieb (35%) als auch im After-Sales-Bereich (55 %) nach wie vor ein grosser Anteil der Händler und Garagen von der Möglichkeit zum Abschluss von Vertriebs- bzw. Serviceverträgen mit mehreren Lieferanten Gebrauch machen. Diese Möglichkeit zum Mehrmarkenvertrieb bzw. Mehrmarkenvertrieb wird derzeit durch die sog. Kfz-Bekanntmachung (Ziff. 16) garantiert und würde – wie auch weitere Regelungen zum Schutz der Handlungsfreiheit der Händler – bei einer Übernahme der ab Juni 2013 geltenden EU-Regelung entfallen. Insofern gelangt das Gutachten zum Schluss, dass eine Änderung der Rechtslage geeignet wäre, die durch die Kfz-Bekanntmachung erreichten Verbesserungen in Frage zu stellen und die Wettbewerbssituation im Schweizer Automobilgewerbe negativ zu beeinflussen.

Wettbewerbsrechtliche Entwicklungen im Schweizer Automobilvertrieb

Anschliessend erläuterte Prof. Dr. Patrik Ducrey die Schwerpunkte des Jahres 2011 aus Sicht der Wettbewerbskommission und ging namentlich auf einzelne Aspekte im Zusammenhang mit dem starken Franken ein. Dabei erklärte er, dass die zahlreichen Meldungen und Beschwerden zum Automobilvertrieb im Einzelnen keine systematischen Behinderungen von Parallel- oder Direkt-Importen, sondern praktisch nur Einzelfälle aufgezeigt haben. Der starke Franken habe im Jahr 2011 zu einem relativ starken Anstieg der Direktimporte geführt. Als Reaktion darauf seien mittlerweile auch die Listenpreise in der Schweiz nach unten angepasst worden.

Probleme bereite jedoch weiterhin die Geltendmachung der Garantie, wenn ein Fahrzeug bei einer Werkstatt ausserhalb des Vertragsnetzes in den Service gebracht wurde. Die WEKO stehe derzeit im Kontakt mit den Branchenvertretern, um diese sich häufenden Probleme zu lösen. In den Erläuterungen zur Kfz-Bekanntmachung werde ausdrücklich festgehalten, dass die Garantie nicht davon abhängig gemacht werden darf, dass Wartungs- oder Reparaturarbeiten nur bei offiziellen Werkstätten durchgeführt werden.

Patrik Ducrey bestätigte anschliessend die Schlussfolgerung des Gutachtens der ZHAW, wonach sich die Kfz-Bekanntmachung in der Praxis bewährt hat. Auch wenn es sich bei diesem Regelwerk eigentlich nur um eine Aussage der WEKO zur Auslegung des Kartellgesetzes handle, mache ein Blick auf die Praxis deutlich, dass sich die Beteiligten an die Vorgaben der Kfz-Bekanntmachung halten.

Derzeit werde eine Konsultation der interessierten Kreise zur zukünftigen kartellrechtlichen Regelung des Kfz-Vertriebs durchgeführt. Dabei stünden im Wesentlichen nur zwei Optionen zur Debatte. Entweder werde die Kfz-Bekanntmachung in der geltenden Fassung weitergeführt oder die Regelung der EU praktisch eins zu eins übernommen. Für das dritte Quartal des Jahres 2012 sei dann die Vernehmlassung zum Vorschlag der WEKO geplant. Der definitive Entscheid werde schliesslich im vierten Quartal, also jedenfalls noch vor Ende Jahr gefällt.

Erste Erfahrungen in der EU mit der neuen Kfz-GVO

Im dritten Referat der Tagung berichtete Prof. Dr. Christian Genzow von seinen Erfahrungen mit der neuen Kfz-GVO (Nr. 461/2010). Er ging dabei insbesondere auch auf die zivilrechtliche Regelung für die Kfz-Vertriebsverträge ein. Er erklärte, dass für mehr als 80 % aller geschlossenen Vertriebssysteme im Vertragshändlerbereich nach wie vor keine gesetzliche Grundlage bestehe. Denn das Zivilrecht der Mitgliedstaaten enthalte in der Regel nur Vorschriften für Handelsvertretrer-Verträge (in der Schweiz als Agenturverträge bezeichnet). Neben gesetzlichen Vorgaben für Franchise-Verhältnisse fehle es deshalb – wie auch in der Schweiz – vor allem auch an Regelungen für die im Kfz-Bereich mit Abstand am meisten verbreiteten Vertragshändler-Verträge.

Vor diesem Hintergrund ist es nach Ansicht von Christian Genzow problematisch, dass die bisherige Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung (Nr. 1400/2002) ab dem 1. Juni 2013 als rechtliches Korsett wegfällt. Damit werde nahezu alles, was man 2002 erreicht habe, zukünftig nicht mehr bestehen. Dies gelte insbesondere für die wesentlichen Händlerschutzregelungen wie die Möglichkeit der Übernahme von Zweit- und Drittmarken („Mehrmarkenvertrieb“), die Berechtigung zur Eröffnung weiterer Filialen sowie die grundsätzliche Kündigungsfrist von zwei Jahren. Das bedeute letztlich, dass künftig wieder in etwa dieselbe unbefriedigende Rechtslage gelte wie im Jahre 1985.

Als besondere Herausforderung für die Zukunft bezeichnete Christian Genzow die Veränderungen der Standards, welche die Händler und Garagen zur Aufnahme ins Vertriebssystem eines Herstellers erfüllen müssen. Diese seien in 90% der Fälle deutlich erhöht worden. Dies betreffe die Ausstattung des Showrooms, welcher in der Regel wieder „marken-exklusiv“ sein müsse, die Anzahl und die Qualifikation des Personals sowohl im Verkaufs- als auch im Servicebereich sowie die Schulung des Personals, für welche die Händler sämtliche Kosten zu übernehmen haben.

Insgesamt scheine aber eine Sensibilisierung dahingehend stattgefunden zu haben, dass für KMU ein gewisser Händlerschutz erforderlich sei. Dies zeige insbesondere der Umstand, dass das EU-Parlament seinem Vorschlag zur Erweiterung der sog. Handelsvertreter-Richtlinieauf Vertragshändlerverträge grundsätzlich positiv gegenüber stehe.

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Michael Schüepp


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