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Einführung
Der Bundesrat hat am 2. September 2020 einen Vorentwurf über eine Teilrevision des Zivilgesetzbuches (ZGB) und der Zivilprozessordnung (ZPO) verabschiedet, mit dem Ziel, den Schutz von Grundstückeigentümern bzw.-besitzern zu verbessern und die Ausweisungen bei unrechtmässigen Hausbesetzungen zu erleichtern. Der Vorentwurf enthält punktuelle Gesetzesanpassungen sowohl im materiellen Recht als auch im Verfahrensrecht.
Ausübung der Abwehrrechte
Gemäss Art. 926 Abs. 2 ZGB darf sich der Besitzer, wenn ihm die Sache durch Gewalt oder heimlich entzogen wird, sofort des Grundstückes durch Vertreibung des Täters wieder bemächtigen und die bewegliche Sache dem auf frischer Tat betroffenen und unmittelbar verfolgten Täter wieder abnehmen.
Gemäss der aktuellen Rechtsprechung reagiert der Besitzer rechtzeitig, wenn er unmittelbar (d.h. innerhalb weniger Stunden) nach der unrechtmässigen Besetzung die erforderlichen Massnahmen zur Wiederbemächtigung der Sache ergriffen hat und diese nicht nachträglich aussetzt[1]. Es ist jedoch nicht klar, ab wann eine Reaktion zu erwarten ist: Ab dem Zeitpunkt, ab dem die unrechtmässige Besetzung beginnt oder sobald der Besitzer davon hätte Kenntnis haben können?
Der Bundesrat schlägt vor, die geltende Regelung zwar beizubehalten, diese jedoch gleichzeitig zu präzisieren, indem die Frist zur Selbsthilfe dann beginnen soll, nachdem der Besitzer in Anwendung der nach den Umständen zumutbaren Sorgfalt davon Kenntnis erlangt hat bzw. erlangen konnte (Art. 926 Abs. 2 VE-ZGB).
Einsatz der amtlichen Hilfe
Das Bundesgericht interpretiert Art. 926 Abs. 3 ZGB im Zusammenhang mit der allgemeinen Haftungsnorm bei Notwehr, Notstand und Selbsthilfe (Art. 52 OR) und ist der Auffassung, dass der Besitzer nur dann eigenmächtig handeln darf, wenn amtliche Hilfe (durch die Polizei oder andere staatlichen Behörden) nicht rechtzeitig ergriffen werden kann.
Eine polizeiliche Intervention ist allgemein schwierig und es gibt erhebliche Unterschiede zwischen den Kantonen.
Der Bundesrat schlägt deshalb vor, Art. 926 Abs. 3 ZGB zu ergänzen, indem er ausdrücklich festhält, dass die zuständigen Behörden dem Besitzer rechtzeitig die nach den Umständen erforderliche amtliche Hilfe gewähren.
Einführung eines spezifischen Verfahrensmittels bei Besitzesschutzklagen
Die ZPO sieht keine besondere Verfahrensart für die Ausübung der sog. Besitzesschutzklagen gemäss Art. 927 f. ZGB (Klage aus Besitzesentziehung und Klage aus Besitzesstörung) vor, so dass diese derzeit im Rahmen von Entscheidverfahren, Verfahren über vorsorgliche Massnahmen oder Verfahren über gerichtliche Verbote eingeklagt werden, was sich in der Praxis jedoch als ungeeignet erwiesen hat.
Der Bundesrat schlägt daher vor, neu die gerichtliche Verfügung einzuführen (Art. 260a Abs. 1 VE-ZPO). Danach soll derjenige, dem der Besitz an einem Grundstück durch verbotene Eigenmacht gestört oder entzogen wurde, beim Gericht beantragen können, dass es gegenüber unbekannten Personen die Beseitigung der Störung oder die Rückgabe verfügt. Diesbezüglich soll das summarische Verfahren zur Anwendung kommen (Art. 248 lit. c VE-ZPO).
Fazit
Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Anpassungen sollen zum Abbau prozessualer Hindernisse und zur Stärkung der Rechte Grundstückbesitzer führen, insbesondere durch die Präzisierung des Gesetzestextes, Kodifizierung der Rechtsprechung, Verringerung der kantonalen Unterschiede und Einführung eines neuen Verfahrensmittels. Sie lassen jedoch den Gerichten und den Kantonen (die in polizeirechtlichen Angelegenheiten zuständig sind) genügend Spielraum, um den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung zu tragen. Ferner reduzieren sie in keiner Weise die Verpflichtung der Grundstücksbesitzer, alle gebotene Sorgfalt zum Schutz ihres Besitzes anzuwenden sowie zu reagieren, sobald sie Kenntnis von einer Hausbesetzung haben (oder hätten haben müssen).
Das Vernehmlassungsverfahren für den Vorentwurf wurde am 23. Dezember 2020 abgeschlossen; es wird interessant sein, zu sehen, welche Schlussfolgerungen sich daraus ergeben werden.
Dieser News-Beitrag wurde von Laure-Lye Pillonel und Hannah Cipriano-Favre verfasst.
[1] Vgl. insbesondere BGE 118 IV 292.