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Zwischen März und Juni führen Gesellschaften üblicherweise ihre ordentlichen Versammlungen durch. Die vom Schweizer Bundesrat zur Bekämpfung des Coronavirus beschlossenen Massnahmen wirken sich unmittelbar auf diese Versammlungen aus. Im Folgenden zeigen wir auf, wie solche Versammlungen von Gesellschaften unter der aktuellen Gesetzeslage weiterhin möglich sind.
1. Ausgangslage
1.1 Grundsätzliches Verbot physischer Versammlungen von Gesellschaften
Gemäss der aktuell geltenden Verordnung 2 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus vom 13. März 2020 (COVID-19-Verordnung 2) ist die Durchführung sämtlicher öffentlicher oder privater Veranstaltungen verboten. Physische Versammlungen von Gesellschaften gelten gemäss FAQ des Bundesamts für Justiz vom 17. April 2020 unabhängig von der Teilnehmerzahl als Veranstaltung im Sinn der COVID-19-Verordnung 2 und sind deshalb grundsätzlich verboten.
Das Verbot physischer Versammlungen von Gesellschaften gilt für alle Gesellschaftsformen, d.h. nicht nur für die Kapitalgesellschaften wie Aktiengesellschaften und GmbHs, sondern auch für Kollektiv- und Kommanditgesellschaften, Vereine und Genossenschaften sowie für Stockwerkeigentümerversammlungen. Das Versammlungsverbot und die nachfolgend dargestellten Sonderregelungen der COVID-19-Verordnung 2 sind nur für Versammlungen der Gesellschafter anwendbar, nicht aber für die weiteren Organe der Gesellschaft, da bereits das geltende Recht für letztere eine physische Versammlung nicht zwingend vorschreibt.
Dieses Verbot galt vorerst bis zum 19. April 2020 und wurde zuerst bis zum 26. April 2020 und später bis zum 10. Mai 2020 verlängert. Die Sonderregelungen der COVID-19-Verordnung 2 gelten auch für Versammlungen, die nach dem 10. Mai 2020 stattfinden, sofern diese vor dem 10. Mai 2020 einberufen und in der Einberufung die entsprechenden Anordnungen gemäss COVID-19-Verordnung 2 getroffen wurden.
1.2 Bewilligte Ausnahme im Einzelfall
Die zuständige kantonale Behörde kann einzelfallweise Ausnahmen vom grundsätzlichen Verbot physischer Versammlungen von Gesellschaften bewilligen, wenn:
- überwiegende öffentliche Interessen dies gebieten, beispielsweise für Bildungseinrichtungen und bei Versorgungproblemen; und
- von der Ausbildungsinstitution, dem Veranstalter oder dem Betreiber ein Schutzkonzept vorgelegt wird, das verschiedene in Art. 7 der COVID-19-Verordnung 2 aufgeführte Präventionsmassnahmen umfasst.
1.3 Bewilligungsfreie Sonderregelung für Versammlungen von Gesellschaften
Während das aktuelle Recht für verschiedene Gesellschaftsformen (siehe z.B. Art. 805 Abs. 4 OR für die GmbH) bzw. Gesellschaftsorgane (siehe z.B. Art. 713 Abs. 2 für den Verwaltungsrat einer Aktiengesellschaft) die Beschlussfassung auf dem Schriftweg bereits erlaubt, ist dies etwa der Generalversammlung von Aktionären verwehrt. Überdies sehen gewisse Gesellschaften, deren Organe keiner gesetzlichen Pflicht zur physischen Teilnahme an Versammlungen unterliegen, eine solche in ihren Statuten und Reglementen vor.
Die COVID-19-Verordnung 2 sieht für Versammlungen von Gesellschaften eine Ausnahme von der gesetzlichen oder statutarisch/reglementarischen Verpflichtung vor, die Versammlung in physischer Form durchzuführen. Der Veranstalter einer solcher Versammlung, d.h. das Organ, das die Versammlung vorbereitet (also z.B. der Verwaltungsrat als «Veranstalter» der Generalversammlung einer Aktiengesellschaft), kann ungeachtet der voraussichtlichen Teilnehmerzahl anordnen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Mitwirkungsrechte ausschliesslich
- auf schriftlichem Weg oder in elektronischer Form; oder
- durch einen vom Veranstalter bezeichneten unabhängigen Stimmrechtsvertreter
ausüben können.
An einer solchen Versammlung dürfen sämtliche Beschlüsse und Wahlen sowie Beratungen stattfinden, soweit sie nach den allgemeinen auf die jeweilige Gesellschaft anwendbaren Regeln zulässig sind. Auch Beurkundungen dürfen vorgenommen werden.
Eine Bewilligung der zuständigen kantonalen Behörden im Sinn von Art. 7 der COVID-19-Verodnung 2 ist für alle solche Versammlungen nicht nötig.
2. Umsetzung in der Praxis
2.1 Anordnungen gemäss COVID-19-Verordnung 2
Zwar schreibt die COVID-19-Verodnung 2 den Gesellschaften nicht vor, ihre Versammlungen zwingend auf die soeben beschriebene Art und Weise durchzuführen. Da physische Versammlungen jedoch dem Versammlungsverbot unterliegen und nur mit einer behördlichen Ausnahmebewilligung zulässig sind, wird während der Geltungsdauer der COVID-19-Verordnung 2 kaum eine Gesellschaft eine solche durchführen.
Vielmehr wird der Veranstalter anordnen, dass die Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer ihre Mitwirkungsrechte auf schriftlichem Weg oder in elektronischer Form auszuüben haben. Sie können so ihre Stimme brieflich oder über eine dafür eingerichtete Internetplattform abgeben. Ordnet der Veranstalter diese Variante der Mitwirkung an, hat er den Teilnahmeberechtigten die entsprechenden Mittel zur Stimmausübung, wie z.B. eine physische Abstimmungskarte oder einen elektronischen Zugang zu einer Abstimmungsplattform, zur Verfügung zu stellen. Der Schriftlichkeit gleichgestellt ist eine qualifizierte elektronische Signatur, nicht aber eine E-Mail. Eine Stimmabgabe per E-Mail ist gemäss erwähntem FAQ nicht möglich.
Alternativ kann der Veranstalter anordnen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Mitwirkungsrechte an der Versammlung durch einen von ihm bezeichneten unabhängigen Stimmrechtsvertreter ausüben. Diesfalls hat der Veranstalter dafür zu sorgen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dem unabhängigen Stimmrechtsvertreter eine Vollmacht und Instruktionen für das Stimmverhalten brieflich oder über eine entsprechende Internetplattform erteilen können.
Die Gesellschaft kann auch alle Alternativen anbieten, d.h. den Teilnehmerinnen und -teilnehmern anbieten, ihre Stimme entweder schriftlich, in elektronischer Form oder über den unabhängigen Stimmrechtsvertreter abzugeben.
Die Covid-19-Verordnung 2 enthält keine Angaben dazu, wie die schriftliche oder elektronische Stimmabgabe oder Bevollmächtigung des unabhängigen Stimmrechtsvertreters zu erfolgen hat. Bei börsenkotierten Gesellschaften ist die Möglichkeit der schriftlichen und elektronischen Bevollmächtigung des unabhängigen Stimmrechtsvertreters bereits in der Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften (VegüV) verankert. Die Covid-19-Verordnung 2 sollte daher keinen Mehraufwand für diese Gesellschaften zur Folge haben.
Für private Gesellschaften ist dies jedoch Neuland. Wir empfehlen solchen Gesellschaften, ihren Gesellschaftern Vollmachtsformulare zur Verfügung zu stellen. Darin sollen sich die Gesellschafter z.B. dazu äussern können, wie sie abstimmen möchten, sollten (schriftliche) Anträge zu traktandierten Agendapunkten gestellt werden. Um dem Veranstalter die Leitung der Versammlung zu erleichtern und eine Vorbereitung auf (schriftliche) Fragen oder Anträge zu ermöglichen, empfehlen wir zudem, in der Einladung eine Frist zu setzen, bis zu welcher die schriftlichen Anträge oder Fragen bei der Gesellschaft eingehen müssen.
Schliesslich hat der Veranstalter bei allen elektronischen Formen der Stimmabgabe oder Weisungserteilung dafür zu sorgen, dass die Identifizierbarkeit der Absender gewährleistet ist. Es ist im Interesse des Veranstalters, mittels angemessener Vorkehrungen sicherzustellen, dass nur befugte Personen an der Versammlung teilnehmen. Andernfalls besteht das Risiko, dass die getroffenen Beschlüsse angefochten werden (siehe z.B. Art. 691 Abs. 3 OR für Beschlüsse der Generalversammlung einer Aktiengesellschaft).
2.2 Mitteilung der Anordnungen
Hat der Veranstalter die Versammlung noch nicht formell einberufen, gelten betreffend Form und Frist weiterhin die allgemeinen auf die jeweilige Gesellschaft anwendbaren Regeln; bei der AG also formgerechte Einberufung spätestens 20 Tage vor der Versammlung. Dabei empfiehlt es sich, die obigen Anordnungen gemäss COVID-19-Verordnung 2 in die Einladung aufzunehmen.
Ist die Versammlung schon einberufen, kann eine erneute Einladung unterbleiben. Die Anordnungen gemäss COVID-19-Verordnung 2 müssen jedoch spätestens vier Tage vor der Versammlung den Teilnehmerinnen und Teilnehmern schriftlich mitgeteilt oder elektronisch veröffentlicht werden.
2.3 Durchführung der Versammlung
Auch unter der COVID-19-Verordnung 2 muss die Versammlung einer Gesellschaft an einem bestimmten Datum, zu einer bestimmten Uhrzeit und an einem bestimmten Ort stattfinden. Zwar wird gemäss den Erläuterungen des Bundesamts für Justiz im erwähnten FAQ mit der COVID-19-Verordnung 2 vorübergehend eine mit der virtuellen Generalversammlung vergleichbare Regelung eingeführt, wie sie in der aktuellen Aktienrechtsrevision vorgesehen ist. Dies verschafft dem Veranstalter den rechtlichen Rahmen, um den Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Teilnahme an der Versammlung per Telefon- oder Videokonferenz zu ermöglichen (direct voting). Eine rein virtuelle Versammlung (wie sie in der aktuellen Aktienrechtsrevision vorgesehen ist) ist unseres Erachtens jedoch – mit Ausnahme von Sitzungen von Leitungs- oder Verwaltungsorganen – gegenwärtig auch unter der COVID-19-Verodnung 2 noch nicht zulässig.
Die Durchführung der Versammlung setzt daher unseres Erachtens die physische Präsenz der folgenden Personen voraus:
- Versammlungsleiter: in der Regel ein Vertreter des obersten Leitungs- oder Verwaltungsorgans;
- Protokollführer und Stimmenzähler;
- unabhängiger Stimmrechtsvertreter, wenn ein solcher bezeichnet wurde;
- Vertreter der Revisionsstelle, wenn die Gesellschaft der Revision unterliegt und nicht auf die deren Teilnahme verzichtet wird; und
- Notar, betreffend zu beurkundende Beschlüsse.
Da diese Funktionen für die Durchführung der Versammlung essentiell sind, muss es weiterhin zulässig sein, dass sich diese Personen für die Durchführung der Versammlung physisch treffen. Diese Personen müssen einen Abstand von mindestens zwei Meter voneinander wahren (siehe Art. 7c Abs. 2 COVID-19-Verordnung 2).
2.4 Verschiebung der Versammlung
Ist die Durchführung einer Versammlung trotz den oben erörterten Möglichkeiten nicht möglich, so kann der Veranstalter die Versammlung verschieben. Wird dadurch gegen eine gesetzliche oder statutarische/reglementarische Durchführungsfrist verstossen (etwa die 6-Monatsfrist für die ordentliche Generalversammlung der Aktiengesellschaft), erscheint dies unter den gegebenen Umständen in der Regel entschuldbar.
Dieser Artikel ist auch auf Französisch verfügbar: