WEKO veröffentlicht Verfügung zu Verfahren gegen Nikon wegen Beschränkung von Parallelimporten in die Schweiz


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Nachdem die Eidg. Wettbewerbskommission (WEKO) bereits im Dezember 2011 in einer Pressemitteilung die Sanktionierung von Nikon in der Höhe von 12,5 Mio. CHF wegen Beschränkungen von Parallelimporten bekannt gab (vgl. BR-News vom 21.12.2011), ist seit Februar nun auch die umfangreiche Verfügung mit den Einzelheiten des Entscheids veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass die WEKO auf eine Ausdehnung der Untersuchung und somit auf eine Sanktionierung der beteiligten Händler verzichtete. Die Verfügung macht sodann deutlich, dass nicht nur Abreden in Schweizer Vertriebsverträgen, sondern insbesondere auch Exportverbote in ausländischen Verträgen gegen das Schweizer Kartellrecht verstossen können. Darüber hinaus hat die WEKO auch eine Informationspflicht über Bestellungen von Kunden ausserhalb des Vertragsgebiets eines Händlers in Kombination mit weiteren Massnahmen als sanktionierbare Abrede qualifiziert. Insgesamt zeigt das Verfahren einmal mehr die strenge Haltung der WEKO gegenüber Beschränkungen von Parallelimporten. Die Verfügung ist allerdings aufgrund einer Beschwerde von Nikon beim Bundesverwaltungsgericht noch nicht rechtskräftig.

Seit der grundlegenden Revision des Kartellgesetzes im Jahre 2004 hat die Schweizer Wettbewerbskommisison nur wenige Verfügungen zu Vertriebssachverhalten veröffentlicht. Der umfangreiche Entscheid zum Verfahren gegen Nikon ist dementsprechend aufschlussreich und liefert anschauliche Anwendungsbeispiele für die Praxis. Aus diesem Grund lohnt sich eine ausführlichere Darstellung ausgewählter Eckpunkte der Verfügung.

Ausgangslage

Auslöser des Verfahrens war eine Anzeige eines liechtensteinischen Händlers zuhanden der WEKO. Darin wurde insbesondere beanstandet, dass die Nikon AG (die schweizerische Niederlassung der japanischen Unternehmensgruppe) ihren Vertriebspartnern Export- und Importgeschäfte verbiete, Lieferungen an Parallelimporteure verhindere und Kunden der Parallelimporteure dazu anhalte, nicht mehr bei diesen zu beziehen. Gestützt darauf wurde am 24. März 2010 eine Untersuchung eröffnet und am selben Tag bei Nikon eine Hausdurchsuchung durchgeführt.

Bereits im Dezember 2011 wurde in einer Pressemitteilung das Ergebnis der Untersuchung bekannt gegeben (vgl. BR-News vom 21.12.2011). Mittlerweile liegt die Verfügung der WEKO vom 28. November 2011 vor, welche jedoch wegen laufender Abklärungen betreffend Geschäftsgeheimnisse noch nicht definitiv und aufgrund der Beschwerde von Nikon beim Bundesverwaltungsgericht auch noch nicht rechtskräftig ist.

Sanktion richtet sich nur gegen Lieferanten, nicht gegen Händler

Aus der Verfügung (Rz. 152 ff.) geht hervor, dass die Untersuchung im Verlauf des Verfahrens auch auf die Schweizer Händlerin Digitec AG ausgedehnt wurde, weil Anhaltspunkte für eine unzulässige Abrede mit Nikon auftauchten. Es bestand der Verdacht, dass Digitec Ende 2009 unter der Bedingung ins offizielle Vertriebssystem von Nikon aufgenommen wurde, dass auf Parallelimporte verzichtet wird, was gemäss WEKO eine unzulässige Gebietsschutzabrede nach Art. 5 Abs. 4 KG darstellen kann. Weil der WEKO letztlich aber keine vertraglichen Abmachungen über einen Verzicht auf Parallelimporte vorlagen, stellte sie das Verfahren gegen Digitec ohne Folgen ein.

In diesem Zusammenhang sind auch die Erläuterungen in der Verfügung (Rz. 346 ff.) hervorzuheben, in denen dargelegt wird, weshalb im Übrigen auf eine Ausdehnung der Untersuchung auf sämtliche in- und ausländischen Händler verzichtet wurde und sich das Verfahren somit nur gegen den Hersteller bzw. Lieferanten richtete. Begründet wird dies – auch unter Hinweis auf die Praxis in der EU – primär mit der Interessen-Asymmetrie zwischen Lieferant und Händler, d.h. damit, dass die beanstandete Gebietsschutzabrede nach Ansicht der WEKO vor allem Nikon begünstigte und die Abredepartner daraus, wenn überhaupt, nur einen geringen Vorteil ziehen konnten.

Anwendbarkeit KG bei Beschränkung von Parallelimporten gestützt auf Immaterialgüter-Rechte

Da Nikon die Beschränkung von Parallelimporten u.a. damit rechtfertigte, dass Teile aller betroffenen Produkte patentgeschützt sind, ging die WEKO auch auf das Verhältnis zwischen Kartellrecht und Immaterialgüterrecht ein (Rz. 6 und 80 ff.). Nach der umstrittenen Bestimmung in Art. 3 Abs. 2 KG fallen Wettbewerbswirkungen, die sich ausschliesslich aus der Gesetzgebung über das geistige Eigentum ergeben, nicht in den Anwendungsbereich des Kartellgesetzes, wobei Einfuhrbeschränkungen, die sich auf Rechte des geistigen Eigentums stützen, der Beurteilung nach dem Kartellgesetz unterliegen.

Zu Beginn der Verfügung (Rz. 6) wird darauf hingewiesen, dass eine Anzeige gegen die deutsche Nikon Niederlassung nicht weiterverfolgt wurde. Darin wurde beanstandet, dass Nikon gestützt auf seine Markenrechte vor einem niederländischen Gericht erfolgreich gegen Parallelimporte in die EU aus Ländern ausserhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) vorging. Die WEKO erklärt hierzu, dass die gerichtliche Durchsetzung von Markenrechten im EWR nicht gegen Schweizer Kartellrecht verstosse. Dabei wird auf die Thematik der Erschöpfung von Markenrechten eingegangen. Hierzu ist vorab festzuhalten, dass das ausschliessliche Verbreitungsrecht des Markeninhabers (vgl. Art. 13 MSchG) in Bezug auf ein Exemplar eines Produkts grundsätzlich nicht mehr besteht, d.h. erschöpft ist, wenn das Exemplar mit Zustimmung des Markeninhabers in Verkehr gebracht wird (vgl. BGE 122 III 469, Chanel). Dabei gibt es aber in den verschiedenen Rechtsordnungen bzw. für verschiedene Immaterialgüterrechte unterschiedliche Ausprägungen dieses Erschöpfungsgrundsatzes. Die WEKO erklärt, dass im Markenrecht der EU der Grundsatz der regionalen Erschöpfung gelte. Gemäss diesem Grundsatz seien die Markenrechte für den EWR nicht erschöpft, wenn das Markenprodukt mit Genehmigung des Markeninhabers in einem Land ausserhalb des EWR in Verkehr gebracht wird. Das Inverkehrbringen von Produkten der Marke Nikon im EWR erfordere mit anderen Worten die Genehmigung von Nikon, über welche der betroffene Händler gemäss dem Gerichtsurteil nicht verfügte. Da keine anderen Anhaltspunkte vorlagen, wurde die Anzeige nicht weiter berücksichtigt.

Auch wenn im Patenrecht bis zum 1. Juli 2009 der Grundsatz der nationalen Erschöpfung galt (vgl. BGE 126 III 129, Kodak; heute: grundsätzlich regionale Erschöpfung, vgl. Art. 9a PatG) und der Patentinhaber deshalb Parallelimporte patentierter Güter in die Schweiz allgemein (heute: grundsätzlich nur wenn aus Ländern ausserhalb des EWR) unterbinden konnte, geht dieses Recht gemäss der WEKO nur soweit, als damit keine kartellrechtswidrige Wettbewerbsbeschränkung verbunden ist. Sofern zwischen Herstellern und Händlern Abreden über die Zuweisung von Gebieten vorliegen, die sich auf Immaterialgüterrecht stützen und diese Abreden dazu führen, dass Verkäufe in die zugewiesenen Gebiete durch gebietsfremde Vertriebspartner ausgeschlossen werden, so liege ein absoluter Gebietsschutz vor, der nach Art. 5 Abs. 4 KG vermutungsweise unzulässig ist.

Die WEKO betont ferner, dass das Kartellgesetz immer anwendbar sein müsse, wenn ein kartellrechtlich relevanter Missbrauchstatbestand vorzuliegen drohe. Im vorliegenden Fall ging die WEKO aufgrund beschlagnahmter Dokumente davon aus, dass Nikon primär an der Verhinderung von Parallelimporten interessiert war, weil damit dem Druck günstigerer ausländischer Angebot auf das Schweizer Preisniveau entgegengewirkt werden sollte, und die Berufung auf Patenrechte deshalb nur als Vorwand hierfür diente. Somit bestanden gemäss WEKO Anhaltspunkte dafür, dass Parallelimporte in missbräuchlicher Weise verhindert bzw. behindert wurden, weshalb das Kartellgesetz zur Anwendung kommen müsse. Dies gilt gemäss WEKO entgegen der Ansicht von Nikon nicht nur für Abreden über Beschränkungen des Imports in die Schweiz, sondern auch für Abreden über Beschränkungen von Exporten in die Schweiz, auch wenn in Art. 3 Abs. 2 KG bloss von „Einfuhrbeschränkungen „die Rede ist.

Sanktionsbedrohte Abrede nach Art. 5 Abs. 4 KG

Die Kernfrage von kartellrechtlichen Untersuchungen von Vertriebsverhältnissen liegt in der Anwendbarkeit von Art. 5 Abs. 4 KG und damit in der direkten, finanziellen Sanktionierbarkeit der Verhaltensweise. Die WEKO prüfte diesbezüglich verschiedene Klauseln und Verhaltensweisen in verschiedenen Vertriebsverhältnissen. Im Vordergrund standen dabei:

  • einerseits die Verpflichtung in den Vertriebsverträgen mit Schweizer Gross- und Einzelhändlern, wonach die Vertragsprodukte nur von Nikon oder einem von Nikon autorisierten Distributor im Vertragsgebiet (Schweiz und Liechtenstein) bezogen werden dürfen;
  • andererseits die Verpflichtung in Vertriebsverträgen mit ausländischen Gross- und Einzel-Händlern, wonach die Händler die Nikon Produkte ausserhalb des EWR nicht verkaufen dürfen.

Die WEKO qualifizierte diese vertraglichen Verpflichtungen in einem ersten Schritt als vertikale Abreden im Sinne von Art. 4 Abs. 1 KG. Dabei wird insbesondere betont, dass für diese Qualifikation der Nachweis eines Unrechtbewusstseins oder des Willens der Beteiligten zur Wettbewerbsbeschränkung nicht erforderlich ist. Vielmehr genüge es, dass die Vereinbarungen objektiv geeignet seien, Parallelimporte zu verhindern (sog. objektivierter Zweckbegriff). Somit war insb. nicht entscheidend, dass die Parteien bei der Redaktion der Verträge im EWR nicht an die Schweiz gedacht haben und die Klauseln nach EU-Recht zulässig wären.

Bei der Prüfung der Tatbestandselemente von Art. 5 Abs. 4 KG (Rz. 184) hält die WEKO vorab fest, dass es dem Willen des Gesetzgeber entspreche, im Bereich der vertikalen Abreden eine analoge Politik zu jener der Europäischen Kommission zu verfolgen. Man wollte vertikale Preis – und Gebietsabreden deshalb ab 2004 nach dem Vorbild der EU strenger behandeln. Dementsprechend orientiere sich die Vertikal-Bekanntmachung der WEKO (VertBek; vgl. dazu BR-News) an der Vertikal-GVO und den Vertikal-Leitlinien der EU-Kommission (vgl. dazu BR-News) und erkläre die europäischen Regeln für analog anwendbar.

In der Verfügung werden in der Folge die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 4 KG allgemein erörtert. Zunächst sei gemäss Gesetzestext erforderlich, dass „Abreden in Vertriebsverträgen über die Zuweisung von Gebieten“ vorliegen. Hierzu erklärt die WEKO, dass sämtliche Vertriebsverträge erfasst werden, unabhängig davon, ob der Vertrieb selektiv, exklusiv oder offen organisiert ist. Im Übrigen sei die Bestimmung auch auf Klauseln in Franchise- oder Lizenzverträgen anwendbar. Der Artikel erfasse ferner jede Art geografischer Aufteilung von Absatzgebieten, die eine Marktabschottung zum Resultat hat, indem anderen oder potenziellen Wettbewerbsteilnehmern der Zutritt auf den fraglichen Markt erschwert wird. Damit solle der freie markeninterne Wettbewerb (sog. Intrabrand-Wettbewerb) grundsätzlich auf allen Gebieten gewährleistet werden. Folglich könne sich Art. 5 Abs. 4 KG sowohl auf den rein inländischen als auch auf den grenzüberschreitenden Vertrieb eines Produkts beziehen. Die Bildung eines geografischen Verkaufsgebiets muss dabei aber kausal auf eine Zuweisung durch den Lieferanten bzw. Hersteller zurückzuführen sein. Nicht erfasst sei deshalb eine auf dem freien Entschluss des Händlers basierende Beschränkung des Vertragsgebiets. Demgegenüber falle auch eine indirekte Zuweisung von Gebieten in den Anwendungsbereich von Art. 5 Abs. 4 KG. Namentlich könne auch eine Klausel wie eine Alleinbezugspflicht in einem selektiven Vertriebsvertrag, die den Händler verpflichte, einen wesentlichen Anteil seines Bedarfs beim Schweizer Generalimporteur zu beziehen, zu einem indirekten Gebietsschutz führen. Nicht verlangt sei ferner, dass das betreffende Gebiet einem einzigen Händler exklusiv zugewiesen wurde. Auch wenn dasselbe Vertragsgebiet mehreren Händlern zugewiesen wird, sei die Bestimmung anwendbar. Nicht massgeblich ist gemäss der WEKO sodann auch die Frage, ob die Abrede in einem schweizerischen Vertriebsvertrag (Import-Verbot) oder in einem ausländischen Vertriebsvertrag (Export-Verbot) enthalten ist.

In einem nächsten Schritt wird die zweite Voraussetzung von Art. 5 Abs. 4 KG erläutert (Rz. 199 ff.), welche einen „Ausschluss von Verkäufen durch gebietsfremde Vertriebspartner“ verlangt. Die WEKO erklärt hierzu, dass es sich hierbei um einen Ausschluss von passiven Verkäufen handeln müsse. Darunter seien insbesondere die Erfüllung unaufgeforderter Bestellungen einzelner Kunden (Endkunden oder Händler) aus einem Gebiet zu verstehen, das der Anbieter ausschliesslich einem anderen Händler zugewiesen hat (vgl. Ziff. 3 VertBek). Auch wenn diese Formulierung etwas unglücklich sei, gehe es letztlich nicht darum, dass das Gebiet einem Händler exklusiv zugewiesen wird, sondern darum, dass jene Händler, denen eine anderes Gebiet zugewiesen wird, nicht einmal passiv, d.h. auf Anfrage hin, in das fragliche Gebiet verkaufen dürfen (sog. absoluter Gebietsschutz). Das Gebiet könne also auch mehreren Händlern zugewiesen sein. Artikel 5 Abs. 4 KG erfasse ferner auch Abreden, die indirekt zu einem absoluten Gebietsschutz führen, weshalb nicht nur Verkaufsverbote in die Schweiz, sondern auch Bezugsverbote ausserhalb der Schweiz erfasst werden, welche ebenfalls zum Ausschluss von Verkäufen in die Schweiz führen.

Vor diesem Hintergrund gelangte die WEKO zum Ergebnis, dass die Klauseln in den Schweizer Vertriebsverträgen von Nikon, mit welchen die Händler verpflichtet wurden, die Vertragsprodukte nur von Nikon oder von einem anderen von Nikon autorisierten Händler im Vertragsgebiet zu beziehen, von Art. 5 Abs. 4 KG erfasst werden. Denn in den Verträgen seien Vertragsgebiete zugewiesen und indirekt passive Verkäufe durch gebietsfremde Partner der Nikon Gruppe in das Vertragsgebiet Schweiz und Liechtenstein ausgeschlossen worden. Denn gemäss der WEKO konnten die Vertriebspartner gar keine entsprechenden Kaufanfragen im Ausland stellen, welche passive Verkäufe hätten auslösen können.

Zum gleichen Schluss gelangte die WEKO auch in Bezug auf die ausländischen Vertriebsverträge, in welchen die Händler verpflichtet wurden, keine Vertragsprodukte ausserhalb des EWR zu verkaufen. Denn damit werden gemäss der WEKO passive Verkäufe durch gebietsfremde Vertriebspartner in die Schweiz ausgeschlossen, weshalb diese Abreden den Tatbestand von Art. 5 Abs. 4 KG erfüllen.

Auch „implizite“ Verbote wie z.B. Informationspflichten können finanziell sanktionierbar sein

Neben den dargestellten Klauseln in den ausländischen Vertriebsverträgen, welche die WEKO als explizite Exportverbote bezeichnete, wurden auch weitere Sachverhalte untersucht. Die WEKO qualifiziert dabei einzelne Vertragsklauseln im Zusammenhang mit anderen Massnahmen zur Verhinderung von Parallelhandel als implizite Exportverbote, welche von Art. 5 Abs. 4 KG erfasst werden. Dies betraf einerseits Klauseln, mit welchen dem Händler das (nicht exklusive) Vertriebsrecht für ein bestimmtes Vertragsgebiet eingeräumt wird („The Purchaser shall therefore acquire the right to purchase Products from Nikon for the purpose of resale on the Territory XY“; “The distributor shall sell throughout XY the products mentioned in the attached Schedule…“ vgl. Rz. 126 ff. 242).

Andererseits qualifizierte die WEKO auch eine Informationspflicht über Anfragen oder Bestellungen von Kunden ausserhalb des EWR als Klausel, welche im Zusammenhang mit anderen Massnahmen ein implizites Exportverbot in Bezug auf die Schweiz darstellt (vgl. Rz. 134 f. und 246). Die WEKO erklärt hierzu (Rz. 139), dass der Händler aufgrund dieser Informationspflicht passive Anfragen aus der Schweiz zumindest melden müsse und Nikon die Möglichkeit eröffne, auf Exporte Einfluss zu nehmen und dadurch ein faktisches Verbot des Passivverkaufs durchzusetzen. Eine derartige Informationspflicht stelle für sich allein noch keine Abrede im Sinne von Art. 5 Abs. 4 KG dar. Allerdings gehe aus der bei Nikon beschlagnahmten Korrespondenz hervor, dass Nikon in Erfahrung gebracht habe, wer parallel in die Schweiz importierte Nikon Produkte zu welchen Preisen verkauft hatte. Zudem folge aus der beschlagnahmten Korrespondenz, dass gegen diese Importe Massnahmen ergriffen wurden.

„Swiss-Garantie“-System von Nikon ist kartellrechtlich zulässig

Hervorzuheben sind sodann auch die Erwägungen der WEKO (Rz. 292 ff.) zu einem von Nikon in der Schweiz eingeführten Garantie-System. Diese sind vor dem Hintergrund zu betrachten, dass Garantie-Systeme von den Wettbewerbsbehörden unter Umständen als indirekte Massnahme zur Abschottung von Märkten betrachtet werden. Bei der Nikon Swiss Garantie handelt es sich um eine ein- bzw. zweijährige Garantie-Verlängerung von Nikon Schweiz gegenüber der in der EU gewährten Garantie. Um von der Verlängerung zu profitieren musste der Endkunde das Produkt innert 90 Tagen auf der Website von Nikon registrieren. Neben anderen Angaben wurde in der Einführungsphase der Garantie auch die Angabe der Seriennummer des Produkts verlangt. Für parallel in die Schweiz importierte Produkte konnte die Garantie-Verlängerung nicht in Anspruch genommen werden. Die Angabe der Seriennummer hat Nikon die Prüfung ermöglicht, ob es sich um ein von Nikon Schweiz verkauftes Produkt handelt oder nicht.

Die WEKO hält hierzu fest, dass die „Swiss-Garantie“ das Tracking von Seriennummern vorübergehend erleichterte. Jedoch sei das Tracking auch ohne „Swiss Garantie“ durch andere Massnahmen bereits möglich gewesen. Ferner seien seit Ende 2009 praktisch keine Nikon Produkte mehr anhand der Seriennummer registriert worden. Vor diesem Hintergrund sei es zwar nicht unproblematisch, dass Nikon mit Hilfe der „Swiss Garantie“ Registrierung eine temporäre Liste von Parallelexporteuren anfertigte. Diese Liste reiche jedoch nicht aus, um eine (indirekte) Gebietsabschottung zu beweisen. In Abwesenheit eines Trackings von Seriennummern bestehen gemäss der WEKO aus kartellrechtlicher Sicht keine Bedenken, dass mit dem Garantieprogramm eine Marktabschottung umgesetzt werden könnte.

Erhebliche Beeinträchtigung des Wettbewerbs

Bei Abreden, welche die Voraussetzungen von Art. 5 Abs. 4 KG erfüllen, wird von Gesetzes wegen vermutet, dass sie zu einer Beseitigung des Wettbewerbs führen und deshalb ohne Weiteres unzulässig sind. Sofern die Vermutung – wie auch im vorliegenden Fall (vgl. Rz. 352 ff.) – jedoch durch den Nachweis genügenden Wettbewerbs widerlegt wird, ist die Abrede nur dann unzulässig und führt zu finanziellen Sanktionen, wenn sie zu einer erheblichen Einschränkung des wirksamen Wettbewerbs führt und nicht durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz gerechtfertigt werden kann (vgl. Art. 5 Abs. 1 KG).

Für diese Beurteilung ist zunächst die Definition der relevanten Märkte erforderlich. In sachlicher Hinsicht hat die WEKO im vorliegenden Fall die folgenden Märkte unterschieden:

  • Digitalkameras ohne Wechselobjektiv
  • Digitalkameras mit Wechselobjektiv (offen gelassen, ob eine weitere Segmentierung erforderlich)
  • Wechselobjektive
  • Blitzgeräte

In räumlicher Hinsicht hat die WEKO die relevanten Märkte insb. aufgrund der folgenden Faktoren national abgegrenzt:

  • Preisunterschiede zwischen der Schweiz und anderen europäischen Ländern
  • die verschiedenen Hersteller organisieren den Vertrieb in Europa über nationale Ländergesellschaften
  • unterschiedliche Gestaltung des Vertriebssystems in den einzelnen Ländern
  • Gewährung erweiterter Garantien in spezifischen Ländern aufgrund der Präferenzen der Endkunden

In Bezug auf die Prüfung der Erheblichkeit der Wettbewerbsbeschränkung auf diesen Märkten bestätigte die WEKO zunächst, dass sowohl qualitative Kriterien (Gegenstand der Abrede) als auch quantitative Kriterien (insb. Marktanteile) zu berücksichtigen sind (vgl. Ziff. 12 Abs. 1 VertBek). Da die Abreden mit den Nikon-Händlern gebietsabschottende Klauseln zur Behinderung von Parallelimporten zum Gegenstand hatten und diese vom Gesetzgeber als besonders schädlich erachtet wurden, ging die WEKO von qualitativ schwerwiegenden Beeinträchtigungen des Wettbewerbs aus (vgl. auch Ziff. 12 Abs. 2 VertBek).

Deshalb stellte die WEKO in Fortführung ihrer Praxis (vgl. Erwägungsgrund IX VertBek) in quantitativer Hinsicht geringere Anforderungen, um die Abreden als erhebliche Wettbewerbsbeeinträchtigung zu qualifizieren. Die WEKO rechtfertigte dies insbesondere mit der europäischen Praxis, welche die konkreten Auswirkungen dieser Abreden, die als sog. Kernbeschränkungen gelten, nicht im Einzelnen berücksichtigt. Gestützt auf die Marktanteile (in der Verfügung geschwärzt), die Preisunterschiede zum Ausland sowie die Auswirkungen der Abrede auf die relevanten Produktmärkte gelangte die WEKO schliesslich zum Ergebnis, dass die absoluten Gebietsschutzabreden in den Nikon-Händlerverträgen auch quantitative Auswirkungen zeitigten und dementsprechend als erhebliche Wettbewerbsbeschränkungen zu qualifizieren sind.

Keine Rechtfertigung aus Gründen der wirtschaftlichen Effizienz

Sofern eine Abrede zu einer erheblichen Wettbewerbsbeeinträchtigung führt, muss geprüft werden, ob diese durch Gründe der wirtschaftlichen Effizienz nach Art. 5 Abs. 2 KG gerechtfertigt sein könnte. Gemäss der WEKO kommt im vorliegenden Fall nur ein zeitlich begrenzter Schutz von Investitionen für die Erschliessung neuer Märkte als Rechtfertigungsgrund für einen temporären absoluten Gebietsschutz in Frage (vgl. Ziff. 16 Abs. 4 lit. a VertBek). Hierbei handle es sich um einen Sonderfall eines Trittbrettfahrverhaltens von Vertriebshändlern. Die WEKO orientiert sich dabei an der Praxis der EU-Kommission, welche einen absoluten Gebietsschutz in der Regel zulässt, wenn der Händler bedeutende Investitionen tätigen muss, um einen neuen Markt zu erschliessen (vgl. Vertikal-Leitlinien, Rz. 61).

Aus drei Gründen gelangt die WEKO zum Schluss (Rz. 524), dass bei den Produktneuheiten, die Nikon im untersuchten Zeitraum auf den Markt gebracht hat, kein echter Eintritt in den relevanten Markt vorliege, der einen temporären absoluten Gebietsschutz rechtfertigen würde:

  • Die Marke Nikon sei in der Schweiz seit vielen Jahren etabliert. Es handle sich somit bei Nikon weder um eine neue Marke noch eine Marke, die im untersuchten Zeitraum neu in der Schweiz verkauft wurde.
  • Die Neuheiten seien neue Produktvarietäten in Produktgruppen, welche Schweizer Händler von Nikon Produkten ohnehin schon im Sortiment führten. In solchen Fällen müsse ein Händler für die Markterschliessung keine schutzwürdigen Investitionen tätigen.
  • Nikon sei in der Schweiz durch eine konzerneigene Tochtergesellschaft vertreten, welche den Markt bei Produktneuheiten entsprechend bearbeiten kann. In diesem Falle seien schutzwürdige Investitionen weniger wahrscheinlich als in einem Vertriebssystem, in welchem ein unabhängiger Generalimporteur die Markteinführung übernimmt.

Sanktionsbemessung

Vor diesem Hintergrund beurteilte die WEKO die Abreden in den Vertriebsverträgen mit Nikon als unzulässig und nach Art. 49a Abs. 1 KG direkt finanziell sanktionierbar. Gemäss Gesetz könnte Nikon somit eine Busse mit einem Betrag von bis zu 10 % des in den letzten drei Geschäftsjahren in der Schweiz erzielten Umsatzes auferlegt werden.

Die WEKO verpflichtete Nikon letztlich zur Zahlung von CHF 12,5 Millionen Schweizer Franken. Dies ist die bislang höchste Busse, welche die WEKO für einen Vertriebssachverhalt (vertikale Abreden) ausgesprochen hat. Der Verstoss von Nikon wurde dabei als mittel-schwer eingestuft und die Sanktion somit auf 5 % des Umsatzes festgesetzt, den Nikon in den letzten drei Geschäftsjahren auf den relevanten Märkten in der Schweiz erzielt hat. Eine Erhöhung des Betrags aufgrund der Dauer oder aufgrund erschwerender Umstände wurde nicht vorgenommen.

Weitere Informationen:

Ansprechpartner: Lukas Bühlmann & Michael Schüepp


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