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Im Entscheid, BGer 4A_108/2019, vom 22. Januar 2020, welcher einen Wohnungsmietvertrag zum Gegenstand hatte, hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung zur (Teil-)Nichtigkeit eines Mietvertrages wegen eines wesentlichen Irrtums aufgrund einer Differenz zwischen der tatsächlichen und der im Vertrag angegebenen Fläche des Mietobjekts präzisiert.
Im vorliegenden Fall hatten die Mieter nach der Übergabe des Mietobjekts festgestellt, dass die Fläche der erstmals vermieteten Wohnung um 4,15 % kleiner war, als im Mietvertrag vereinbart.
Das Genfer Mietgericht, das sich mit der Klage auf Festsetzung des Mietzinses und Rückerstattung der zu hohen geleisteten Mietzinsen ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Mietvertrags befasst hatte, hatte zugunsten der Mieter entschieden und festgestellt, dass ihr Irrtum über die Flächendifferenz subjektiv und objektiv wesentlich sei und der Mietzins daher im Verhältnis zur festgestellten Differenz herabgesetzt werden müsse. Diese Entscheidung wurde anschliessend vom Obergericht bestätigt, bevor schliesslich Beschwerde vor dem Bundesgericht erhoben wurde.
Gemäss Art. 23 des Obligationenrechts (OR) ist der Vertrag für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat. Nach Art. 24 Abs. 1 Ziff. 4 OR kann sich ein wesentlicher Irrtum insbesondere auf Sachverhalte beziehen, die vom Irrenden nach Treu und Glauben im Geschäftsverkehr als eine notwendige Grundlage des Vertrages betrachtet wurden.
In seinem Entscheid erinnerte das Bundesgericht daran, dass ein Irrtum subjektiv wesentlich ist, wenn er den Mieter tatsächlich zum Abschluss des Vertrages bewegt hat, während er objektiv wesentlich ist, wenn der Vertragspartner nach Treu und Glauben erkennen kann, dass sich der Irrtum auf eine Tatsache bezieht, die geeignet ist, den Mieter zum Abschluss des Vertrages zu bewegen.
Bei einem Mietvertrag, sei es für Wohn- oder Geschäftsräume, ist die zu vermietende Fläche ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung, ob der Vertrag abgeschlossen wird oder nicht, zumindest bei der Beurteilung, ob der vom Vermieter verlangte Mietzins in der betreffenden Region marktkonform ist. Ein gewisser Spielraum oder auch eine Differenz, die sich aus unterschiedlichen Berechnungen ergibt, ist dennoch zulässig.
Hinsichtlich der möglichen Teilnichtigkeit des Mietvertrages hatte das Bundesgericht bisher in ständiger Rechtsprechung festgehalten, dass eine Flächendifferenz von mehr als 10 % in jedem Fall unzumutbar ist. In einem konkreten Fall hatte es sogar anerkannt, dass bereits eine Differenz von 8 % eine Nichtigkeit aufgrund eines wesentlichen Irrtums rechtfertigen kann.
Im vorliegenden Fall relativiert das Bundesgericht seine Position mit dem Hinweis, dass eine Flächendifferenz von ca. 4 % zwar absolut gesehen nicht den Schluss auf einen objektiv wesentlichen Irrtum zulässt, die konkreten Umstände aber zu anderen Schlussfolgerungen führen können.
Im zu beurteilenden Fall hatte der Vermieter den Mietern zwei Wohnungen angeboten, die sich auf der gleichen Etage befanden und nahezu identisch waren; sie haben sich nur in der Grösse und dem Preis unterschieden. Die Flächenangaben wurden im Mietvertrag sodann nicht approximativ angegeben. Die Mieter wählten schliesslich die entsprechende Wohnung mit der höchsten Miete gerade, um in der grössten Einheit zu wohnen und nicht nur, um mehr zu zahlen, wie die Richter feststellten. Der Grund für ihre Wahl war für den Vermieter durchaus erkennbar. Er konnte sich nach Treu und Glauben nicht darauf berufen, dass der Flächenunterschied nicht geeignet war, die Mieter zum Abschluss des Mietvertrages zu bewegen, der den höheren der beiden Mietzinse vorsah.
Interessant ist zudem, dass die Bundesrichter das Argument des Vermieters zurückwiesen, dass die Mieter, indem sie sich nicht auf die Flächendifferenz zum Mietvertrag zum Zeitpunkt der Wohnungsübernahm und in den Folgejahren beriefen, mit der ihnen überlassenen Wohnung zufrieden waren und sich daher nicht mehr auf das Vorliegen eines subjektiv wesentlichen Irrtums berufen konnten. Diesbezüglich vertritt das Bundesgericht die Auffassung, dass es dem Mieter nicht obliegt, die Richtigkeit der im Mietvertrag angegebenen Fläche zu überprüfen und dass er seine Rechte wahrt, indem er sich innerhalb eines Jahres nach Entdeckung des Irrtums meldet (Art. 31 Abs. 2 OR).
Im Hinblick auf die Begründung dieses Urteils ist anzumerken, dass es nicht klar ist, ob das Bundesgericht zum selben Ergebnis gekommen wäre, wenn im Mietvertrag eine approximative Fläche angegeben worden wäre und/oder wenn der Vermieter bei der Übergabe der Mietsache die Fläche in Anwesenheit der Mieter überprüft hätte.
Dieser News-Beitrag wurde von Jacques Johner verfasst.