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Bekanntlich hat die zuständige Ständeratskommission Mitte November einen überarbeiteten Entwurf für die Einführung eines Widerrufsrechts im B2C-Fernabsatz veröffentlicht. Der neue Entwurf sieht insbesondere zusätzliche Ausnahmen, Gründe für das Erlöschen des Widerrufsrechts und eine absolute Frist für die Widerrufserklärung vor. Neu ist insbesondere eine „Bagatellklausel“ für Verträge von nicht mehr als 100 Franken, eine Ausnahme für Auktionen sowie für Lebensmittel vorgesehen. Mit den Neuerungen sind die im Vernehmlassungsverfahren am stärksten kritisierten Passagen umfassend überarbeitet und verbessert worden. Dies ist zu begrüssen. Nach wie vor stellt sich aber die Frage, ob die Einführung eines zwingenden Widerrufsrechts für den Onlinehandel tatsächlich notwendig ist.
Bisheriges Gesetzgebungsverfahren
Im Sommer 2012 veröffentlichte die Rechtskommission des Ständerats einen Vorentwurf zur Revision des Obligationenrechts und eröffnete dazu eine Vernehmlassung. Obwohl die parlamentarische Initiative, auf die sich die Revision stützte, nur gegen Missbräuche im Telefonverkauf gerichtet war, sah der Vernehmlassungsentwurf auch die Einführung eines Widerrufsrechts für Konsumenten im Online-Handel vor (vgl. BR-News vom 16.09.2012).
In der Vernehmlassung wurde der Vorentwurf vor allem vonseiten der Wirtschaft und des Handels heftig kritisiert. Trotzdem beschloss die Rechtskommission, sie wolle am Widerrufsrecht festhalten (vgl. BR-News vom 07.05.2013). Eine Minderheit der Kommission vertritt jedoch die Ansicht, dass den Konsumenten im Online-Handel kein Widerrufsrecht eingeräumt werden soll, da dort keine Überrumpelungsgefahr und somit auch kein erhöhtes Schutzbedürfnis bestehe. Mitte November wurde schliesslich der nach der Vernehmlassung umfassend revidierte Entwurf veröffentlicht (vgl. BR-News vom 15.11.2013). Die Kommission hat durch die Überarbeitung diversen Kritikpunkten Rechnung getragen. Die wesentlichen Änderungen gegenüber dem Vorentwurf werden nachfolgend dargestellt.
Ausnahmekatalog neu gestaltet
Der überarbeitete Entwurf sieht wie bereits der Vorentwurf ein Widerrufsrecht mit einer Frist von 14 Tagen vor. Dieses soll den Konsumenten in sämtlichen Fernabsatzgeschäften zustehen, namentlich im Telefonverkauf und im Online-Handel.
Im Vorentwurf waren nur wenige Ausnahmen vom Widerrufsrecht zu finden, was zu grosser Kritik in der Vernehmlassung führte. Auf diese Kritik hat die Kommission reagiert und den Ausnahmekatalog neu gestaltet. Neu besteht eine Gliederung in allgemeine und spezielle Ausnahmen. Festgehalten wurde an den bereits im Vorentwurf enthaltenen Ausnahmen, wonach kein Widerrufsrecht zu gewähren ist, wenn ein Vertrag öffentlich beurkundet ist, oder er ein Zufallselement beinhaltet, auf das der Anbieter keinen Einfluss hat (z.B. Preisschwankungen am Markt).
Kein Widerrufsrecht bei Verträgen mit Leistungen von 100 Franken oder weniger
Im Unterschied zum Vorentwurf soll zusätzlich eine betragsmässige Begrenzung des Widerrufsrechts eingeführt werden. Die Kommission hat sich dabei an der bereits heute für das Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften geltenden Bagatellklausel orientiert und festgelegt, dass bei Verträgen, bei denen die Leistung des Konsumenten 100 Franken nicht übersteigt, kein Widerrufsrecht gewährt werden muss. Gemäss dem erläuternden Bericht zum Entwurf erscheine ein Widerrufsrecht bei Verträgen mit objektiv geringem Wert „unter wirtschaftlichen und praktischen Gesichtspunkten“ als nicht sinnvoll und unangemessen zu Lasten der Anbieter.
Auch wenn die Einführung einer „Bagatellklausel“ grundsätzlich zu begrüssen ist, bringt sie in der vorgeschlagenen Form für die Praxis immer noch einige Probleme mit sich. Gemäss dem Entwurfstext ist davon auszugehen, dass auch Waren mit einem Wert von beispielsweise 20 Franken unter Berufung auf das Widerrufsrecht zurückgegeben werden können, sofern der Wert des Gesamtvertrags mehr als 100 Franken beträgt. Ob dies „unter wirtschaftlichen und praktischen Gesichtspunkten“ sinnvoll und somit im Sinne der Bestimmung ist, darf bezweifelt werden. Ausserdem steht fest, dass die Klausel ein gewisses Missbrauchspotenzial mit sich bringt. So könnten beispielsweise Kunden, welche eigentlich nur eine Bestellung mit einem Wert von 90 Franken aufgeben wollten und denen deshalb kein Widerrufsrecht zustehen würde, dazu bewogen werden, weitere Waren einzukaufen und dadurch einen Warenkorb- und Vertragswert von mehr als 100 Franken zu erreichen, nur um in den Genuss eines Widerrufsrechts für alle bestellten Waren zu kommen. Die „zusätzlich“ bestellten Waren könnten sodann – eventuell zusammen mit den ursprünglich gewollten Waren – in Ausübung des Widerrufsrechts wieder an den Händler zurückgeschickt werden. Sinnvoller und weniger missbrauchsanfällig wäre deshalb eine Orientierung der Bagatellgrenze am Wert des einzelnen Produkts.
Kein Widerrufsrecht bei Online-Auktionen
In der Vernehmlassung ebenfalls eher negativ aufgenommen wurde die Tatsache, dass im Vorentwurf eine Ausnahme für Auktionen fehlte. Eine solche hat die Kommission nun in den Entwurf eingefügt. Als „öffentliche Versteigerungen“ sind gemäss den Erläuterungen Versteigerungen zu verstehen, die durch Zuschlag an den Meistbietenden zustande kommen, was in der Regel auch auf Online-Versteigerungen zutreffen dürfte.
Die Kommission begründet die Einführung der zusätzlichen Ausnahme damit, dass „ein Widerrufsrecht gerade dem Preisbildungsmechanismus und dem Vertragsschluss mittels Zuschlag an den Meistbietenden unter Ausschluss der übrigen Mitbieter zuwiderlaufen würde und die Folgen eines Widerrufs durch den Meistbietenden unbefriedigend und unangemessen wären.“ Warum sie dies nicht bereits beim Erarbeiten des Vorentwurfs festgestellt, sondern damals gar explizit auf eine entsprechende Ausnahme verzichtet hat, bleibt allerdings unklar.
Die vorgeschlagene Regelung stellt zwar eine Abweichung vom EU-Recht dar, die aber für die Anbieter erfreulich ist. In der EU-Verbraucherrechterichtlinie ist für (gewerbliche) Angebote auf Online-Auktionsplattformen gerade keine Ausnahme vom Widerrufsrecht vorgesehen. Als öffentliche Versteigerungen, für die kein Widerrufsrecht besteht, gelten in der EU nur Versteigerungen, bei denen die bietenden Verbraucher persönlich anwesend sind oder sein können.
Konkretisierung des Begriffs „nicht für eine Rücksendung geeignet“ und generelle Ausnahme für Lebensmittel
Ebenfalls neu formuliert wurde die Bestimmung, wonach für Waren, die nicht für eine Rücksendung geeignet sind, kein Widerrufsrecht zu gewähren ist. Der Entwurfstext nennt zur Konkretisierung des Begriffs „nicht zur Rücksendung geeignet“ neu explizit die Beschaffenheit oder Haltbarkeit der Ware sowie hygienische oder gesundheitliche Gründe. Auch die neue Formulierung bringt jedoch keine restlose Klarheit darüber, welche Waren unter diese Bestimmung fallen, weshalb eine weitere Spezifizierung wünschenswert wäre. Ansonsten werden erst allfällige Gerichtsentscheide Klarheit schaffen und die für die Händler nach wie vor bestehenden Unsicherheiten ausräumen können.
Wie bereits im Vorentwurf vorgesehen, steht Konsumenten zudem kein Widerrufsrecht zu, wenn eine Ware nach Vorgaben der Konsumenten gefertigt wurde oder auf deren persönliche Bedürfnisse zugeschnitten ist.
Klargestellt wird im Entwurf ausserdem, dass für Verträge über Lebensmittel ungeachtet ihrer Verderblichkeit in keinem Fall ein Widerrufsrecht besteht.
Kein Widerrufsrecht bei digitalen Inhalten – Hinweis- und Zustimmungspflicht
Für die Anbieter strenger geregelt werden im Entwurf hingegen die Vorschriften über den Verlust des Widerrufsrechts bei digitalen Inhalten (z.B. Musikdownloads). Zwar ist für diese weiterhin kein Widerrufsrecht vorgesehen, wenn der Vertrag von beiden Vertragsparteien sofort zu erfüllen ist. Neu eingefügt hat die Kommission jedoch, dass der Konsument auf den Verlust des Widerrufsrechts hingewiesen werden und diesem ausdrücklich zustimmen muss.
Neu: Gründe für Erlöschen des Widerrufsrechts
Neben den soeben beschriebenen Ausnahmen, bei denen ein Widerrufsrecht von vornherein nicht besteht, hat die Kommission auch Gründe für das Erlöschen des Widerrufsrechts in den Entwurf aufgenommen. In der massgebenden Bestimmung sind Situationen aufgeführt, in denen das Widerrufsrecht zwar anfänglich besteht, die aber zu dessen Erlöschen führen.
Das Widerrufsrecht des Konsumenten erlischt demnach, wenn
- eine Ware vom Konsumenten in einer Weise gebraucht oder benützt wird, die über die Prüfung ihrer Vertragsmässigkeit und Funktionsfähigkeit hinausgeht;
- eine Ware nach ihrer Lieferung aufgrund ihrer Beschaffenheit untrennbar mit andern Sachen vermischt oder verbunden wurde;
- eine Ware vom Konsumenten in einem Geschäftsraum des Anbieters abgeholt und mit gleichzeitiger ausdrücklicher Zustimmung angenommen wird;
- die Dienstleistung vom Anbieter mit der vorherigen ausdrücklichen Zustimmung des Konsumenten vor Ablauf der Widerrufsfrist erbracht wird; oder
- bei Computersoftware, CDs, DVDs und anderen Ton- und/oder Bildträgern, die dem Konsumenten in einer versiegelten Packung geliefert werden, die Versiegelung nach der Lieferung entfernt wird.
Der Vorentwurf sah noch kein Erlöschen vor, was in der Vernehmlassung ebenfalls zu Kritik führte. Namentlich die Regelung, wonach der Konsument dem Anbieter ein „angemessenes Entgelt“ für den Gebrauch einer Ware bzw. „eine angemessene Entschädigung“ für eine allfällige Wertminderung hätte leisten müssen, erschien nicht praktikabel und missbrauchsanfällig. Aus diesem Grund wurde die massgebende Bestimmung umfassend neu formuliert.
Erfreulich ist darüber hinaus auch der Erlöschensgrund für digitale Inhalte, die auf festen Datenträgern und in einer versiegelten Packung geliefert werden. Verschiedene Vernehmlassungsteilnehmer hatten das Fehlen einer solchen Bestimmung im Vorentwurf kritisiert. Auf diese Weise wird auch den Interessen der Anbieter und Urheberrechtsinhaber Rechnung getragen.
Absolute Begrenzung der Widerrufsfrist
Wie bereits der Vernehmlassungsentwurf sieht auch der überarbeitete Entwurf vor, dass die Widerrufsfrist 14 Tage dauert und grundsätzlich beginnt, wenn der Konsument eine Sache empfangen hat. Auch am Passus, wonach die Frist erst zu laufen beginnt, wenn der Konsument über das Widerrufsrecht aufgeklärt worden ist, hat die Kommission festgehalten. Neu ist allerdings eine absolute Befristung des Widerrufsrechts vorgesehen: Wenn ein Anbieter die Information unterlässt, endet die Widerrufsfrist in jedem Fall drei Monate nach dem Ablauf der eigentlichen Widerrufsfrist. Mit anderen Worten dauert die Frist maximal drei Monate und 14 Tage.
Ausdrückliche Regelung der Folgen des Widerrufs
Explizit geregelt sind im Entwurf auch die Folgen des Widerrufs. Demnach ist der Anbieter verpflichtet, etwaige, bereits geleistete Zahlungen des Konsumenten zurückzuerstatten. Er ist gleichzeitig berechtigt, die Rückerstattung bis zum Erhalt der Sache oder eines Nachweises über die Rücksendung zu verweigern.
Der Konsument ist seinerseits verpflichtet, die Ware auf eigene Kosten zurückzusenden, sofern der Anbieter diese Kosten nicht freiwillig übernimmt. Ausserdem muss der Konsument die Kosten der Rücksendung auch dann nicht bezahlen, wenn er vom Anbieter nicht auf seine Kostentragungspflicht aufmerksam gemacht worden ist.
Der Entwurf äussert sich darüber hinaus auch zur Frage, welche Wirkung der Widerruf auf verbundene Verträge hat. Diesbezüglich ist vorgesehen, dass der Widerruf auch die Unwirksamkeit verbundener Verträge zur Folge hat. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass zwischen den Verträgen ein sachlicher Zusammenhang besteht.
Kommentar
Die Kommission hat den Entwurf umfassend überarbeitet und damit einem grossen Teil der Kritikpunkte aus der Vernehmlassung Rechnung getragen. Insbesondere der erweiterte bzw. konkretisierte Ausnahmenkatalog und das Erlöschen des Widerrufsrechts beim Gebrauch der Ware sind zu begrüssen.
Nach wie vor stellt sich allerdings die allgemeine Frage nach der generellen Notwendigkeit eines Widerrufsrechts im Online-Handel. Dabei ist zu beachten, dass sich ein freiwillig eingeräumtes Rückgaberecht im Schweizer Online-Handel seit längerem als „Best Practice“ und als Wettbewerbsvorteil etabliert hat (vgl. z.B. die Trusted-Shops-Qualitätskriterien oder den Ehrenkodex des VSV). Ob ein gesetzlich vorgeschriebenes Widerrufsrecht tatsächlich nötig ist, ist deshalb äusserst fragwürdig.
Besonders für kleine Online-Shops dürfe sich der mit der Handhabung des Widerrufsrechts einhergehende zusätzliche Aufwand kaum lohnen. Aus diesem Grund ist zu befürchten, dass sich viele kleine Online-Händler aus dem Geschäft zurückziehen bzw. viele Händler gar nicht erst einen eigenen Online-Shop starten werden. Ob dies im Sinne des Gesetzgebers bzw. der Konsumenten ist, muss bezweifelt werden.
Ausserdem ist eines der Hauptargumente für eine Einführung des Widerrufsrechts nicht zutreffend: Anders als bei Haustürgeschäften oder im Telefonverkauf besteht im Onlinehandel keine Überrumpelungsgefahr und deshalb auch kein erhöhtes Schutzbedürfnis für die Konsumenten. Dieser Ansicht ist auch die Minderheit der Kommission. Sie konnte die übrigen Mitglieder aber offensichtlich nicht davon überzeugen. Eigentlich ist es aber eindeutig: Im Onlinehandel kann sich der Konsument so lange Zeit lassen, wie er will. Er hat ausserdem – anders als beispielsweise im stationären Handel – die Möglichkeit, innert Sekunden die Leistungen verschiedener Anbieter zu vergleichen. Er muss darüber hinaus bewusst für einen Kauf entscheiden, indem er eine Ware in den Warenkorb legt und den Bestellprozess beginnt. Er hat zudem jederzeit die Möglichkeit, diesen wieder abzubrechen. Seit Inkrafttreten der UWG-Revision vom April 2012 sind Online-Anbieter ferner auch verpflichtet, ihre Nutzer auf die Schritte zum Vertragsschluss aufmerksam zu machen und ihnen die Erkennung und Korrektur von Eingabefehlern zu ermöglichen. Das Risiko eines „versehentlichen“ Vertragsschlusses durch einen falschen Klick besteht deshalb heute kaum noch. Es ist deshalb nicht ersichtlich, weshalb die Konsumenten im Onlinehandel besonders schutzbedürftig sein sollten.
Aus all diesen Gründen ist im Bereich des Onlinehandels kein gesetzgeberisches Handeln erforderlich. Man darf gespannt sein, ob sich die Ansicht der Kommissionsminderheit in den parlamentarischen Beratungen durchsetzen wird. Sollten National- und Ständerat hingegen trotzdem an der Einführung eines Widerrufsrechts festhalten wollen, ist der nun vorliegende Entwurf ein wesentlich kleineres Übel als noch der Vernehmlassungsentwurf.
Weitere Informationen:
- Pressemitteilung vom 15.11.2013
- Entwurf zur Änderung des Obligationenrechts vom 14.11.2013
- Erläuternder Bericht zum Entwurf zur Änderung des Obligationenrechts vom 14.11.2013
- Parlamentarische Initiative 06.441 (Bonhôte): Übersicht
Ansprechpartner: Lukas Bühlmann