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Die Schweiz kennt bisher keine gesetzliche Pflicht zur Einräumung eines Widerrufsrechts im E-Commerce. Dies soll sich nun nach Ansicht der Rechtskommission des Ständerats ändern. Sie hat am 23. August 2012 einen Vorentwurf zur Revision des Obligationenrechts einstimmig angenommen und wird diesen demnächst in die Vernehmlassung schicken. Ausgangspunkt der Vorlage war eine parlamentarische Initiative, welche lediglich ein Widerrufsrecht für Telefonverkäufe verlangt hatte. Die Kommission sieht im Vorentwurf nun aber die Einführung eines allgemeinen Konsumenten-Widerrufsrechts nach europäischem Vorbild vor. Geplant ist ein zwingendes gesetzliches Widerrufsrecht, das den Konsumenten berechtigt, einen im Fernabsatz (bspw. im Internet oder per Telefon) geschlossenen Vertrag innerhalb von 14 Tagen zu widerrufen. Die Vorlage, welche eine grundlegende Abkehr von der bisher bewährten Selbstregulierung darstellt, enthält mehrere unklare Regelungen und weist im Vergleich zum EU-Recht diverse, teilweise folgenschwere und kaum nachvollziehbare Besonderheiten auf. Insbesondere wird der Grundsatz aufgestellt, dass der Konsument die Ware gebrauchen kann, ohne sein Widerrufsrecht zu verlieren. Er wird lediglich dazu verpflichtet, im Gebrauchsfall ein «angemessenes Entgelt» im Sinne eines Mietzinses zu bezahlen.
Hintergrund: Verzicht auf Einführung im Jahr 2005 und parlamentarische Initiativen
Bereits im Jahr 2001 wurde im Entwurf für ein Bundesgesetz über den elektronischen Geschäftsverkehr die Einführung eines Widerrufsrechts für Fernabsatzverträge vorgeschlagen. Aufgrund der dazu geäusserten Kritik hat der Bundesrat Ende 2005 jedoch wieder von diesem Vorhaben abgesehen. In der Folge scheiterte auch die heutige Bundesrätin und Vorsteherin des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements (EJPD), Simonetta Sommaruga, mit ihrer parlamentarischen Initiative (05.458), die unter anderem die Einführung eines Widerrufsrechts für den Online-Handel vorsah, an der Ablehnung im Nationalrat.
Kurz darauf, im Juni 2006, reichte der ehemalige Neuenburger SP-Ständerat Pierre Bonhôte eine parlamentarische Initiative (06.441) ein, in welcher nur noch ein Widerrufsrecht für Telefonverkäufe gefordert wurde. In seiner Begründung erklärte Bonhôte, dass der Kunde beim Online-Kauf nicht vom Verkäufer direkt bedrängt werde, weshalb die Notwendigkeit eines Widerrufsrechtes bei Internetverkäufen „durchaus angezweifelt werden“ könne. Die Initiative war im Parlament sehr umstritten und wurde nur dank des Stichentscheids der Nationalratspräsidentin angenommen.
Etwas überraschend enthält die aktuelle Revisionsvorlage nun aber eine technologieneutrale Formulierung, die ein allgemeines Widerrufsrecht für jede Art von Fernabsatzverträgen einführen will, also auch für den Online-Handel. Interessant ist dabei jedenfalls, dass die Kommission bei ihrer Arbeit – so wie vom Parlamentsgesetz erlaubt – durch das EJPD, dessen Vorsteherin ursprünglich erfolglos ein Widerrufsrecht für den Online-Handel gefordert hatte, unterstützt wurde.
Aktuelle Rechtslage und Gründe für die Revision
Vorbild für den Vorentwurf zur Revision des Obligationenrechts (VE-OR) war namentlich das 14-tägige Widerrufsrecht, das in der Verbraucherschutz-Richtlinie der EU enthalten ist und ab 2014 in sämtlichen Mitgliedstaaten einheitlich umgesetzt werden muss (vgl. BR-News vom 16. Oktober 2011). Demgegenüber besteht im geltenden Schweizer Recht derzeit nur für so genannte Haustürgeschäfte ein allgemeines Widerrufsrecht (vgl. Art. 40a ff. OR). In der Praxis hat sich jedoch die Einräumung eines vertraglichen Widerrufs- oder Rückgaberechts im Sinne einer „best-practice“ auch im Online-Handel etabliert (vgl. den Ehrenkodex des Versandhandelsverbands (Ziff. 3.4) und die Kriterien für das Trusted-Shops-Gütesiegel (Ziff. 7)).
Im Bericht zum Vorentwurf begründet die Kommission das Bedürfnis nach der gesetzlichen Einführung eines Widerrufsrechts damit, dass die Konsumenten im Versandhandel die bestellten Waren nicht sehen können, bevor sie einen Vertrag abschliessen. Zudem bestehe im Fernabsatz eine erhöhte Gefahr, dass Verträge übereilt abgeschlossen würden. Durch das Widerrufsrecht soll den Konsumenten eine sog. Cooling-Off-Periode eingeräumt werden, um sicherzustellen, dass Verträge möglichst frei und überlegt geschlossen werden. Ein weiterer Grund für die Anpassung des Obligationenrechts war, dass die Schweizer Konsumenten nicht schlechter gestellt werden sollten als diejenigen im europäischen Ausland.
Unabhängig davon, ob diese Argumente tatsächlich ein Eingreifen des Gesetzgebers rechtfertigen, wäre doch zu erwarten gewesen, dass sich die Kommission mit der aktuellen Praxis im Online-Handel auseinandersetzt. Ein freiwillig eingeräumtes Rückgaberecht hat sich im Schweizer Online-Handel seit längerem als «Best-Practice» und als Wettbewerbsvorteil etabliert. Die Selbstregulierungs-Massnahmen der Branche werden im Begleitbericht jedenfalls mit keinem Wort erwähnt.
Grundsatz: Widerrufsrecht für alle im Fernabsatz geschlossenen Verträge
Als Ergänzung zur geltenden Rechtslage bei Haustürgeschäften sieht Art. 40a VE-OR neu ein Widerrufsrecht bei Fernabsatzgeschäften vor. Das Widerrufsrecht ist als einseitig zwingendes Recht ausgestaltet. Von den gesetzlichen Bestimmungen darf deshalb nur zugunsten, aber nicht zuungunsten des Konsumenten abgewichen werden (Art. 40a Abs. 3 VE-OR).
Die Definition der Fernabsatzgeschäfte ist technologieneutral ausgestaltet. Dies soll sicherstellen, dass auch künftige Entwicklungen und neue Kommunikationsmittel von der Vorschrift erfasst sind. Ein Fernabsatzgeschäft liegt nach Definition von Art. 40c VE-OR immer dann vor, wenn ein Vertrag geschlossen wird, ohne dass die Vertragsparteien am gleichen Ort präsent sind. Die Willenserklärungen werden dabei über ein Fernkommunikationsmittel (z.B. Post, Internet, Telefon) ausgetauscht.
Die vorgeschlagene Regelung soll nur im Verhältnis zwischen Konsumenten und Gewerbetriebenden („B2C“) gelten. Verträge, die Konsumenten oder Gewerbetreibende unter sich schliessen, sind demnach nicht von der Regelung erfasst. Als Konsumenten gelten natürliche Personen, die Verträge abschliessen, welche für ihre familiären und persönlichen Bedürfnisse bestimmt sind (Art. 40d VE-OR).
Ausnahmen vom Grundsatz
Der Vorentwurf des Gesetzes sieht zahlreiche Ausnahmen vor, in welchen kein Widerrufsrecht besteht. Wie in der EU sind beispielsweise Verträge ausgenommen, die einem Zufallselement (z.B. Preisschwankungen) unterliegen, auf die der Anbieter keinen Einfluss hat (Art. 40e Bst. b VE-OR). Auch für Waren, die nach Vorgaben des Konsumenten gefertigt wurden oder eindeutig auf dessen persönliche Bedürfnisse zugeschnitten sind, besteht kein Widerrufsrecht (Art. 40f VE-OR). In den letztgenannten Fällen geht die Kommission davon aus, dass der Konsument nicht übereilt gehandelt haben kann.
Darüber hinaus sieht der Vorentwurf Ausnahmen vor für Waren, die nicht für eine Rückgabe geeignet oder schnell verderblich sind. Anders als im EU-Recht fehlen in der vorgeschlagenen Regelung jedoch weitere Präzisierungen. Wie die unzähligen Gerichtsverfahren in der EU belegen, wäre für die Praxis besonders wichtig, mehr Klarheit über die vom Widerrufsrecht erfassten Waren zu haben. Die Kommission weist in ihrem Bericht lediglich darauf hin, dass von dieser Umschreibung ganz verschiedene Waren erfasst sein können, die in Art. 16 der Verbraucherschutz-Richtlinie der EU separat aufgelistet seien, wie beispielweise Gemüse, Obst, Kosmetikprodukte oder Medikamente sowie Leim, Tapeten oder Bodenplatten, die sich untrennbar mit anderen Gegenständen verbinden.
Zudem soll das Widerrufsrecht ausgeschlossen sein bei Dienstleistungen, die vollständig erbracht wurden, bevor die Widerrufsfrist abgelaufen ist (Art. 40g Abs. 1 VE-OR) und bei Dienstleistungen im Tourismus- und Freizeitbereich, die zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb eines genauen Zeitraumes erbracht werden müssen (Art. 40g Abs. 2 VE-OR). Mit Ausnahme der obligatorischen Versicherungen gilt darüber hinaus ein Ausschluss des Widerrufsrechts für Finanzdienstleistungen (Art. 40g Abs. 3 VE-OR).
Schliesslich enthält der Entwurf auch eine Spezialregelung für Verträge über digitale Inhalte, die nicht auf einem festen Datenträger zur Verfügung gestellt werden, wie z.B. Software- oder Musikdownloads. Bei solchen Verträgen besteht kein Widerrufsrecht, wenn der Vertrag sofort vollständig zu erfüllen ist, d.h. sich in einer einmaligen Datenlieferung durch den Anbieter im Austausch mit einer einmaligen Zahlung durch den Konsumenten erschöpft (Art. 40h VE-OR). Begründet wird dies damit, dass der Anbieter im Falle eines Widerrufs keine Kontrolle darüber hätte, ob die Daten nicht weiterhin benutzt werden.
Diverse Abweichungen vom EU-Recht
Bei einem Vergleich zum EU-Recht fällt auf, dass mehrere Ausnahmen der Verbraucherschutz-Richtlinie nicht in den Vorentwurf aufgenommen wurden. Im Begleitbericht wird festgehalten, dass das Widerrufsrecht in der Schweiz anders als im EU-Recht für alle Arten von öffentlichen Versteigerungen gelten soll, bei denen die Bieter nicht physisch vor Ort sind. Nach Ansicht der Kommission wäre nicht nachvollziehbar, wenn gerade bei Online-Auktionen, bei welchen aufgrund des gegen Ende der Auktionen regelmässig bestehenden Zeitdrucks die Gefahr eines übereilten Vertragsschlusses am grössten sei, anders als bei gewöhnlichen Onlinekäufen kein Widerrufsrecht bestehen würde. Dies bedeutet aber nicht, dass bei allen Auktionen auf Onlineplattformen ein Widerrufsrecht besteht. Wie bereits erwähnt, sind Geschäfte zwischen Konsumenten vom Widerrufsrecht ausgeschlossen. Darunter fallen auch private Angebote auf Online-Auktionsplattformen wie ricardo.ch oder eBay. Für diese besteht demnach nach wie vor kein Widerrufsrecht. Hingegen werden Auktionen gewerblicher Anbieter auf Onlineplattformen wie gewöhnliche Fernabsatzverträge behandelt, für die ein Widerrufsrecht besteht. Diese Begründung einer angeblichen Abweichung zeigt, dass die Kommission offensichtlich keine genaue Kenntnis des entsprechenden EU-Rechts hatte. Auch in der EU fallen gewerbliche Angebote auf Online-Auktionsplattformen unter das Widerrufsrecht. Die Ausnahme für öffentliche Versteigerungen umfasst Versteigerungen, bei denen die bietenden Verbraucher persönlich anwesend sind oder sein können. Viel entscheidender bei der geplanten Regelung ist, dass es gerade auf Online-Auktionsplattformen oftmals nicht klar ist, ob es sich bei Angeboten eines Nutzers noch um private oder schon gewerbliche Angebote handelt. Durch die Einführung eines zwingenden Widerrufsrechtes für gewerbliche Angebote wird eine zusätzliche Rechtsunsicherheit geschaffen, die nicht nur die Plattformbetreiber, sondern auch die regelmässigen Verkäufer und Nutzer solcher Plattformen trifft. Gerade in diesem Bereich dürfte mit Streitigkeiten über das Bestehen oder Nicht-Bestehen eines Widerrufsrecht zu rechnen sein.
Schwer nachvollziehbar ist sodann eine weitere Ausnahme, die nicht übernommen wurde. Der Vorentwurf enthält keinen Ausschluss des Widerrufsrechts bei Audio- oder Videoaufzeichnungen oder Software, wenn diese auf einem dauerhaften Datenträger gespeichert sind. In der EU ist das Widerrufsrecht ausgeschlossen, wenn solche Waren in einer versiegelten Packung geliefert werden und diese entfernt wird. Die Kommission begründet die Abweichung vom EU-Recht damit, dass hier erst nach einer Entsiegelung der Packung eine Beurteilung der Ware vorgenommen werden könne. Es wird lediglich darauf verwiesen, dass den Interessen des Anbieters im Falle eines Widerrufs auf dem Weg des angemessenen Entgelts Rechnung getragen werden könne (Art. 40k Abs. 3 VE-OR). Angesprochen werden damit die Vorschriften über die Folgen des Widerrufs bzw. die Regelung im Falle eines Gebrauchs der Ware durch den Kunden. Diese Regelung ist vor dem Hintergrund der Ausnahme für digitale Inhalte gänzlich unverständlich und mutet weltfremd an. Es wird bei der Rücksendung eines Tonträgers nicht zu beweisen sein, ob dieser Gebrauch ein einmaliges Abspielen oder eine Privatkopie umfasste. Damit dürfte diese Regelung für die Musik- und Filmbranche eine Bedrohung darstellen und zu einer weiteren Benachteiligung für den Verkauf von Ton- und anderen Medienträgern, im Vergleich zum Download-Geschäft, führen.
Informationspflicht, Fristenlauf und Ausübung des Widerrufsrechts
In Anlehnung an die Verbraucherschutz-Richtlinie der EU sieht der Vorentwurf eine einheitliche Widerrufsfrist von 14 Tagen vor (Art. 40i Abs. 1 VE-OR). Wie bereits erwähnt kann diese zugunsten des Konsumenten verlängert, nicht jedoch verkürzt werden. Darüber hinaus werden Vorschriften über die sog. Widerrufsbelehrung aufgestellt. Danach hat der Anbieter den Konsumenten darüber zu informieren (Art. 40i Abs. 2 VE-OR),
- dass ein Widerrufsrecht besteht,
- welche Frist dafür zu beachten ist und
- an wen (Firma und Adresse) der Widerruf zu richten ist.
Diese Informationen müssen „auf beweisbare Art“ erbracht werden (Art. 40j Abs. 2 VE-OR). Gemäss Kommission bedeutet dies im Online-Bereich, dass sie auf Papier, auf einem anderen dauerhaften Datenträger oder als ausdruckbare digitale Inhalte festgehalten und zugestellt werden müssen. Jedoch ist aufgrund des Gesetzeswortlauts unklar, ob ein aktives Verhalten des Konsumenten (z.B. Anklicken eines Links, auf dem die Widerrufsbelehrung abrufbar ist) verlangt werden darf oder eine Zustellung der Informationen erforderlich ist (vgl. zur Rechtslage in der EU: BR-News vom 13. August 2012). Denn nach der gesetzlichen Formulierung scheint es offenbar zu genügen, wenn der Konsument von den Angaben „hätte“ Kenntnis nehmen können (vgl. Art. 40j Abs. 4 VE-OR). Jedenfalls ist es der Anbieter, der im Streitfall beweisen muss, dass der Konsument zeit- und formgerecht über das Widerrufsrecht informiert worden ist.
Der Beginn der 14-tägigen Frist ist abhängig von der Art des Vertrages. Bei Verträgen über bewegliche Sachen beginnt sie dann, wenn der Konsument die Sache physisch empfängt. Bei Dienstleistungen hingegen läuft sie ab dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses (Art. 40i Abs. 2 VE-OR). Besonders bedeutsam ist jedoch, dass die Frist in jedem Falle erst dann zu laufen beginnt, wenn der Anbieter seine Informationspflicht gegenüber den Konsumenten erfüllt hat. Mit anderen Worten steht dem Konsumenten bei unzureichender Information grundsätzlich eine unendliche Widerrufsfrist zur Verfügung. Der Vorentwurf sieht diesbezüglich keine maximale Beschränkung der Frist vor. Dies im Unterschied zur EU-Verbraucherschutz-Richtlinie, die für den Fall der unzureichenden Informationserteilung eine maximale Frist von 12 Monaten vorsieht. Grenze bildet in der Schweiz lediglich der offenbare Rechtsmissbrauch durch den Kunden (Art. 2 Abs. 2 ZGB). Nach Ansicht der Kommission sind damit die nötigen Schranken vorhanden. Es sei namentlich rechtsmissbräuchlich, wenn der Kunde ein langes Zuwarten bei der Ausübung des Widerrufsrechts mit einem Formfehler des Anbieters rechtfertige. Auch diese Regelung führt letztlich zu einer schwer nachvollziehbaren Rechtsunsicherheit. Es stellt sich insbesondere die Frage, wie sich die Rechtsmissbräuchlichkeit hier bestimmen lassen soll, vor dem Hintergrund, dass der Vorschlag den zulässigen Gebrauch ausdrücklich nicht auf das für die Prüfung der erworbenen Sache Erforderliche beschränken will.
Die Ausübung des Widerrufsrechts soll sodann an keine Form gebunden sein (Art. 40j VE-OR). Der Widerruf dürfte jedoch ohnehin regelmässig schriftlich erklärt werden, denn die Beweislast für die Abgabe der Widerrufserklärung und die Einhaltung der Frist soll beim Konsumenten liegen (Art. 40j Abs. 3 und 4 VE-OR).
Folgen des Widerrufs: Rückabwicklung des Vertrags; Gebrauch gegen Entgelt!?
Die vorgeschlagene Regelung der Folgen des Widerrufs stimmt dem Grundsatz nach mit dem EU-Recht überein: Der Widerruf bewirkt gemäss Art. 40k VE-OR, dass der Vertrag von Anfang an unwirksam ist. Die Parteien werden in den vertragslosen Zustand zurückversetzt. Sie sind demnach verpflichtet, bereits empfangene Leistungen soweit möglich zurückzuerstatten. Die Kosten für die Rücksendung der Sache muss gemäss Vorentwurf „in der Regel“ der Konsument tragen (Art. 40k Abs. 2 VE-OR). Allerdings müssen diese Kosten «bestimmbar» sein und dürfen die Ausübung des Widerrufsrecht nicht faktisch ausschliessen.
In den folgenden Absätzen wird dann aber eine folgenschwere Regelung vorgeschlagen: In Artikel 40k Absatz 3 des Vorentwurfs wird festgehalten, dass ein Konsument, der sein Widerrufsrecht ausübt, obwohl er die Sache bereits gebraucht hat, dem Anbieter ein angemessenes Entgelt schuldet. Gemäss dem Bericht wird dadurch klargestellt, dass der normale Gebrauch einer Sache durch die Käuferin das Widerrufsrecht nicht auschliesst. Mit anderen Worten wird der Grundsatz statuiert, dass der Konsument gegen Bezahlung eines Entgelts die Waren gebrauchen und anschliessend zurücksenden kann, ohne dass der zulässige Gebrauch durch die Prüfung der Ware beschränkt wird. Basis für dieses Entgelt soll gemäss Bericht ein hypothetischer Mietzins für die Dauer der Nutzung sein. Eine zusätzliche Entschädigung für die Verschlechterung oder den Untergang der Ware muss der Konsument ferner nur dann bezahlen, wenn die Ware in einer Art und Weise genutzt worden ist, die über die Prüfung deren Eigenschaften und Funktionsweise hinausgeht. Damit werden Händler faktisch gezwungen, ihren Kunden ein Recht zur Gebrauchsleihe einzuräumen.
In Bezug auf Dienstleistungen, bei denen keine Rückerstattungen möglich seien, schlägt die Kommission vor, dass der Konsument dem Anbieter dessen Auslagen und Verwendungen nach den Vorschriften des einfachen Auftrags zu ersetzen hat (Art. 40k Abs. 4 VE-OR i.V.m. Art. 402 OR). Der Vorentwurf hält sodann ausdrücklich fest, dass der Konsument dem Anbieter keine über die genannten Ansprüche hinausgehenden Entschädigungen schuldet (Art. 40k Abs. 5 VE-OR).
Ausblick
Die Vernehmlassung zum Vorentwurf wird am 17. September 2012 eröffnet und dauert bis zum 21. Dezember 2012. Man darf schon heute gespannt sein, wie die Reaktionen auf diese grundlegende Änderung des Schweizer E-Commerce-Rechts ausfallen werden. Ob und in welcher Form das Widerrufsrecht schliesslich Einzug ins Gesetz finden wird, entscheiden die Parlamentarier voraussichtlich frühestens in der Herbstsession 2013. Selbstverständlich werden wir Sie über die Entwicklung an dieser Stelle auf dem Laufenden halten.
Updates: Ständeratskommission will am Widerrufsrecht für den Onlinehandel festhalten / Update: Neuer Entwurf zum geplanten Widerrufsrecht in der Schweiz veröffentlicht
Weitere Informationen:
- Pressemitteilung der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats vom 24. August 2012
- Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Ständerats vom 23. August 2012
- Vorentwurf der Revision des Obligationenrechts
- Pressemitteilung zur Eröffnung der Vernehmlassung
- EU-Richtlinie 2011/83/EU (Verbraucherschutz-Richtlinie)
- EU-Richtlinie 97/7/EG (Fernabsatzrichtlinie)
- BR-News: „Neue EU-Verbraucherschutzrichtlinie – Vereinfachung für den europaweiten Online-Handel?“
- BR-News: „Konsumentenschutz: neue EU-Verbraucherschutzrichtlinie tritt demnächst in Kraft“
- BR-News: „Handelszeitung-Special: Beitrag zu grundlegenden rechtlichen Anforderungen für Shop-Betreiber“
- BR-News: „EuGH: Blosser Link auf Widerrufsrecht genügt den Anforderungen der Fernabsatzrichtlinie nicht“
- BR-News: „DE-Widerrufsrecht: Änderung der Regelung zu Wertersatz und neue Muster-Widerrufsbelehrung“
- BR-News: „Inkrafttreten des deutschen Button-Gesetzes – Bedeutung für Schweizer Online-Shops“
- BR-News: „UWG-Revision: Neue Pflichten für Online-Shops in Kraft getreten“
- Obligationenrecht (OR), geltende Fassung
Ansprechpartner: Lukas Bühlmann