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Die Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (RPG) von 2014 hat den Grundsatz der haushälterischen Bodennutzung (Art. 1 und 3 RPG) gestärkt und die Pflicht zur Reduktion überdimensionierter Bauzonen (Art. 15 Abs. 2 RPG) explizit normiert. Gemeinden sind daher verpflichtet, ihre Bauzonen dem voraussichtlichen Bedarf anzupassen, um einer unkontrollierten Zersiedelung entgegenzuwirken. Ein zentrales raumplanerisches Steuerungsinstrument bildet die Rückzonung, d.h. die Überführung eines Grundstücks oder einer Teilfläche davon aus der Bauzone in eine Nichtbauzone.
Rückzonungen sind jedoch häufig mit erheblichen rechtlichen und wirtschaftlichen Unsicherheiten für den jeweiligen, zuständigen Planungsträger verbunden. Insbesondere stellt sich regelmässig die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Eigentümer zurückzonierter Grundstücke eine Entschädigung beanspruchen können.
Mit Entscheid 1C_275/2022 vom 27. November 2024 hat das Bundesgericht seine bisherige Praxis zur Entschädigungspflicht bei Rückzonungen grundlegend weiterentwickelt. Dabei wird erstmals klargestellt, dass nicht nur objektive, sondern auch subjektive Elemente für die Beurteilung der Entschädigungspflicht bei der Rückzonung massgeblich sein können.
Der Sachverhalt: Rückzonung in Mellingen als Ausgangspunkt
Die Einwohnergemeinde Mellingen (AG) beschloss im Jahr 2016 im Rahmen einer Gesamtrevision der Nutzungsplanung «Siedlung und Kulturland», eine Teilfläche von rund 9’600 m² bisher der Bauzone zugewiesenes Land in die Landwirtschaftszone zurückzuzonen. Die betroffene Parzelle stand im Miteigentum eines Geschwisterpaars. Seit mehreren Jahrzehnten war das Grundstück unbebaut geblieben, obwohl formell eine Überbauungsmöglichkeit bestanden hätte.
Die Miteigentümerin machte geltend, dass die Rückzonung eine materielle Enteignung darstelle und verlangte eine Entschädigung. Das Spezialverwaltungsgericht des Kantons Aargau anerkannte eine Entschädigung nur teilweise. Das Verwaltungsgericht Aargau hingegen bestätigte die Entschädigungspflicht vollumfänglich und qualifizierte die Rückzonung als entschädigungspflichtige Auszonung. Die Gemeinde Mellingen gelangte daraufhin ans Bundesgericht, welches das Urteil des Verwaltungsgerichts in allen Teilen aufhob und das Vorliegen einer materiellen Enteignung verneinte.
Weiterentwicklung der Rechtsprechung: Bedeutung der Realisierungswahrscheinlichkeit
Zentral für die Beurteilung der Entschädigungspflicht war die Frage, ob die Rückzonung die Voraussetzungen einer materiellen Enteignung erfüllte. Das Bundesgericht stellte in seinem Entscheid klar, dass ein Eingriff dann als materielle Enteignung zu qualifizieren ist, wenn die Eigentümerschaft in ihrer voraussichtlich bald realisierbaren Nutzungsmöglichkeit in unzumutbarer Weise beschränkt wird.
Erstmals erweitert das Bundesgericht die bislang primär objektiv ausgerichtete Prüfung um subjektive Aspekte: Entscheidend für die Realisierungswahrscheinlichkeit sei nicht nur, ob eine Überbauung aus planerischer Sicht mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft möglich gewesen wäre, sondern auch, ob die Eigentümerschaft konkrete Bauabsichten und entsprechende Anstalten zur baulichen Nutzung getroffen habe.
Im vorliegenden Fall verneinte das Bundesgericht diese Voraussetzung: Die Miteigentümerin habe das Grundstück während mehr als drei Jahrzehnten nicht überbaut, keine Baugesuche eingereicht und den nördlichen Teil des Grundstücks vielmehr landwirtschaftlich genutzt. Darüber hinaus seien sich die Miteigentümer betreffend die künftige Nutzung nicht einig gewesen. Auch hinsichtlich des südlichen Teilstücks sah das Gericht keine hinreichende Realisierungswahrscheinlichkeit, da weder eine rechtsverbindliche Erschliessung noch ein Erschliessungsplan vorlag. Die für eine Entschädigung erforderliche Realisierungswahrscheinlichkeit war somit aus Sicht des Gerichts nicht gegeben.
Praxisfolgen: Rückzonungen im Lichte der neuen Entschädigungspraxis
Der Entscheid stärkt die Rechtssicherheit für Gemeinden, indem er klarstellt, dass Rückzonungen nicht zwingend eine Entschädigungspflicht auslösen. Das Urteil erlaubt eine differenzierte Einzelfallbeurteilung unter Einbezug der Nutzungsgeschichte des Grundstücks, der bisherigen Aktivitäten respektive Passivität der Eigentümerschaft sowie der planerischen und tatsächlichen Rahmenbedingungen.
Für Eigentümer erhöht sich damit das Risiko, dass eine Rückzonung ohne Entschädigung erfolgen kann, wenn über einen längeren Zeitraum hinweg keine konkreten Schritte zur Überbauung unternommen wurden. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen Grundstücke seit Jahren ungenutzt geblieben sind, Erschliessungshürden bestehen oder keine ernsthaften Überbauungsabsichten erkennbar sind. Der Entscheid betont, dass ein Vertrauen auf eine dauerhafte Einzonung spätestens nach Ablauf des Planungshorizonts von 15 Jahren gemäss Art. 15 RPG nicht mehr gerechtfertigt ist.
Gleichzeitig eröffnet das Urteil Gemeinden neue Handlungsspielräume bei der Umsetzung der bundesrechtlich geforderten Rückzonungen bei überdimensionierten Bauzonen. Insbesondere bei Flächenreserven in ländlichen Gebieten, wo Erschliessung und bauliche Nutzung unwirtschaftlich erscheinen, kann nun mit geringerer Gefahr von Entschädigungsforderungen geplant werden.
Fazit
Mit dem Entscheid 1C_275/2022 hat das Bundesgericht eine bedeutsame Weichenstellung im Bereich der Entschädigungspflicht der Gemeinwesen bei Rückzonungen vorgenommen. Erstmals wurde das bisher rein objektive Kriterium der Realisierungswahrscheinlichkeit durch subjektive Elemente ergänzt. Daraus folgt, dass Eigentümer unbebauter Bauparzellen künftig verstärkt in der Pflicht stehen, ihre baulichen Nutzungsmöglichkeiten aktiv wahrzunehmen, um sich vor entschädigungslosen Rückzonungen zu schützen.
Für Gemeinden ergibt sich daraus ein erweiterter Handlungsspielraum zur Anpassung überdimensionierter Bauzonen an den effektiven Bedarf. Die neue Rechtsprechung erleichtert die raumplanerisch gebotene Rückzonung und dürfte zugleich zu einer spürbaren Zunahme an Nutzungskonflikten und Rechtsschutzverfahren führen.