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In einem Urteil vom 22. Dezember 2010 hat sich der EuGH mit dem urheberrechtlichen Schutz für grafische Benutzeroberflächen (GUI) auseinander gesetzt. Darin wird festgehalten, dass GUI keine Ausdrucksform eines Computerprogramms im Sinne der sog. «Software-Richtlinie» (RL 91/250/EWG) darstellen und deshalb nach dieser Richtlinie nicht urheberrechtlich geschützt sind. In Frage komme jedoch der Schutz durch die sog. «Informationsrichtlinie» (RL 2001/29/EG), wobei dies eine eigene geistige Schöpfung des Urhebers voraussetze. Anders als nach der Software-Richtlinie bedeutet dies, dass eine gewisse Originalität bzw. Individualität vorhanden sein muss. Schliesslich hat der EuGH auch entschieden, dass die Ausstrahlung einer grafischen Benutzeroberfläche im Fernsehen keine öffentliche Wiedergabe im Sinne der Informationsrichtlinie darstellt, da der Öffentlichkeit durch die Ausstrahlung kein Zugang zu dem wesentlichen Merkmal der GUI, nämlich der Interaktion mit dem Benutzer, verschafft werde.
In dem zu beurteilenden Sachverhalt stellte der tschechische Ableger der Business Software Alliance (BSA) einen Antrag auf Erlaubnis für die kollektive Verwaltung der Urheberrechte an Computerprogrammen. In der Ablehnung dieses Antrags wurde von den tschechischen Behörden unter anderem vorgebracht, dass das tschechische Urheberrechtsgesetz nur den Objekt- und den Quellcode eines Computerprogramms schütze, nicht aber das Ergebnis der Anzeige des Programms auf dem Monitor des Computers, da die Benutzeroberfläche nur vom Schutz gegen den unlauteren Wettbewerb erfasst werde. Das zweitinstanzliche tschechische Gericht hat in der Folge dem EuGH Fragen zu den diesbezüglichen Vorgaben des EU-Rechts vorgelegt.
In seinem Urteil (Rs. C-393/09) hat der EuGH zunächst auf Art. 1 der «Software-Richtlinie» (RL 91/250/EG) hingewiesen, wonach Computerprogramme urheberrechtlich als literarische Werke im Sinne der Berner Übereinkunft geschützt sind. Der Schutz erstreckt sich dabei auf alle Ausdrucksformen von Computerprogrammen. Aus dem siebten Erwägungsgrund der «Software-Richtlinie» und aus Art. 10 Abs. 1 des TRIPS-Abkommens leitete der EuGH sodann folgende Definition des Schutzgegenstands der Richtlinie ab: «das Computergrogramm in allen seinen Ausdrucksformen, die es erlauben, es in den verschiedenen Datenverarbeitungssprachen, wie Quellcode und Objektcode, zu vervielfältigen«. Darüber hinaus sei unter Umständen auch das Entwurfsmaterial erfasst.
Die grafische Benutzeroberfläche ist gemäss dem EuGH eine Interaktionsschnittstelle, die eine Kommunikation zwischen dem Computerprogramm und dem Benutzer ermöglicht. Deshalb ermögliche es die grafische Benutzeroberfläche nicht, das Computerprogramm zu vervielfältigen, sondern stelle lediglich ein Element dieses Programms dar, mit welchem die Benutzer die Funktionen dieses Programms nutzen. Folglich ist eine solche Schnittstelle keine Ausdrucksform eines Computerprogramms im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Software-Richtlinie und deshalb nicht nach dieser Richtlinie urheberrechtlich geschützt.
Im Anschluss daran betont der EuGH jedoch, dass die grafische Benutzeroberfläche als Werk durch das allgemeine Urheberrecht nach der «Informationsrichtlinie» geschützt sein kann. Dies erfordere allerdings, dass es sich um eine geistige Schöpfung des Urhebers handle, d.h. dass die Benutzeroberfläche eine gewisse Originalität aufweist. Bei der Prüfung dieses Kriteriums, die dem nationalen Gericht obliegt, müsse insbesondere die Anordnung oder spezifische Konfiguration aller Komponenten, aus denen sich die grafische Benutzeroberfläche zusammensetzt, berücksichtigt werden. Die Originalität könne jedoch nicht von Komponenten ausgehen, deren Ausdruck durch ihre technische Funktion vorgegeben ist. Illustrativ hierzu sind die Ausführungen des Generalanwalts (Nr. 75), der als Beispiel die Maus, die sich auf dem Bildschirm bewegt und mit der man auf die Schaltfläche klickt, um diese zu betätigen, oder eine Menüleiste, die erscheint, wenn ein Textdokument geöffnet ist, anführt.
Des Weiteren hielt der EuGH fest, dass die Ausstrahlung einer grafischen Benutzeroberfläche im Fernsehen keine öffentliche Wiedergabe im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Informationsrichtlinie darstellt. Demnach kann der Urheber einer Software die Ausstrahlung nicht verbieten, auch wenn die Benutzeroberfläche nach den vorgängig genannten Voraussetzungen durch die Informationsrichtlinie geschützt wäre. Der EuGH begründet dies damit, dass die Benutzeroberfläche den Fernsehzuschauern nur passiv wiedergegeben werde, ohne dass sie die Möglichkeit zum Tätigwerden haben. Sie können die Funktion der Benutzeroberfläche, nämlich die Interaktion zwischen dem Computergrogramm und dem Benutzer, gar nicht nutzen, führt der EuGH weiter aus.
Das Urteil ist für die Praxis insbesondere deshalb bedeutsam, weil künftig für grafische Benutzeroberflächen höhere Anforderungen an die Originalität gestellt werden als an die Software selbst. In bestehenden und künftigen Software-Entwicklungsverträgen ist demnach ein besonderes Augenmerk auf die grafischen Benutzeroberflächen zu richten, insbesondere im Hinblick darauf, dass die Übertragung der Rechte an der Software nicht zwingend auch die grafische Benutzeroberfläche umfasst. Unklar ist ferner, welche Auswirkungen die Ausführungen des EuGH auf den urheberrechtlichen Schutz für andere Schnittstellenarten haben wird.
Weitere Informationen:
- Urteil des EuGH vom 22. Dezember 2010 (Rs. C-393/09)
- Software-Richtlinie (alte Fassung: RL 91/250/EWG)
- Software-Richtlinie (geltende Fassung: 2009/24/EG)
- Informationsrichtlinie (RL 2001/29/EG)
Ansprechpartner: Lukas Bühlmann