Online-Bestellung ohne Zahlungsabsicht

BGer: Online-Bestellung ohne Zahlungsabsicht ist Betrug – Shopbetreiber erfüllt Sorgfaltsanforderungen bei Abgleich mit Bonitäts-Datenbank


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Wer im Internet Waren bestellt, ohne die Absicht zu haben, diese zu bezahlen, kann sich unter Umständen des Betrugs schuldig machen. Dies hat das Bundesgericht in einem jüngst veröffentlichten Urteil bestätigt. Für das Vorliegen eines Betrugs bei der Online-Bestellung ohne Zahlungsabsicht stellt das höchste Schweizer Gericht neben den Verschleierungsmassnahmen der Käuferin auch auf die vorgenommenen Abwehrmassnahmen der Händler ab.

Online-Bestellung ohne Zahlungsabsicht

Die beschuldigte Käuferin bestellte zwischen September 2013 und Oktober 2015 Artikel im Wert von mehreren Tausend Schweizer Franken auf Rechnung aus diversen Schweizer Online-Shops, ohne je die Absicht zur Zahlung zu haben. Fünf der Onlineshops, von denen die Beklagte Waren bestellte, nutzen einen externen Service zur Bonitätsprüfung. Käufer, die auf Rechnung bestellen wollen, sind bei diesen Shops verpflichtet, zusätzliche Angaben zu Ihrer Person zu hinterlassen, insb. Name und Adresse, und können die vom Bonitätsprüfer angebotenen Dienste wählen. Der Bonitätsprüfer bewertet dann unter Verwendung eines Algorithmus automatisch das Ausfallsrisiko jeder Bestellung und teilt das Ergebnis der Analyse dem Händler mit. Dieser hat dann die Möglichkeit, eine Bestellung im Kontext der erfolgten Analyse anzunehmen oder abzulehnen. Bei Annahme der Bestellung durch den Händler entsteht ein Dreiecks-Verhältnis zwischen Händler, Bonitätsprüfer und Käufer. Der Händler versendet die Waren an den Käufer, der Bonitätsprüfer bezahlt dem Händler den Kaufpreis und der Käufer erstattet dem Bonitätsprüfer den Kaufpreis per Rechnung.

Der Bonitätsprüfer lehnte im vorliegenden Sachverhalt weitere Bestellungen ab, nachdem ein bestimmter Betrag an unbezahlten Rechnungen erreicht wurde. Um Bestellungen trotz offener Rechnungen tätigen zu können, erstellte die Beschuldigte jedoch regelmässig neue Nutzerkonten mit neuen Identitäten und E-Mail-Adressen. Der Bonitätsprüfer reichte in der Folge einen Strafantrag ein und machte als Privatkläger eine Zivilforderung von rund 4‘100.- Franken geltend.

Die Strafabteilung des Kantonsgerichts Waadt bestätigte die Einschätzung der ersten Instanz, dass sich die Käuferin durch ihr Verhalten des Betrugs schuldig gemacht hat. Die Klägerin, welche die Zivilforderung bereits vor erster Instanz vollumfänglich anerkannte, zog diesen Entscheid im Strafpunkt weiter an das Bundesgericht. Im hier vorgestellten Entscheid bestätigt dieses das Urteil der Vorinstanz und äussert sich unter anderem zu der Frage, unter welchen Bedingungen eine Online-Bestellung ohne Zahlungsabsicht als Betrug zu qualifizieren ist.

Arglistige Irreführung und Sorgfaltsmassnahmen des Shop-Betreibers

Gemäss Schweizer Strafrecht macht sich des Betrugs nach Art. 146 Abs. 1 StGB schuldig,

„wer in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt oder ihn in einem Irrtum arglistig bestärkt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selbst oder einen andern am Vermögen schädigt“.

Eine einfache Täuschung erfüllt den Tatbestand des Betrugs nicht; vielmehr muss die Irreführung „arglistig“ sein. Gemäss Rechtsprechung kann das Vorhandensein einer Arglist sowohl bei komplexen Lügenkonstruktionen, aber auch bereits bei der Nutzung falscher Angaben in Fällen, in denen eine Überprüfung der Angaben unmöglich, unzumutbar oder durch Handlungen des Täters erschwert ist, bejaht werden. Eine Täuschung liegt jedoch nicht vor, wenn sie durch ein Mindestmass an Aufmerksamkeit und Vorsicht vermieden werden kann. Die Täuschung darf somit nicht durch eine grobe Fahrlässigkeit des Opfers ermöglicht worden sein (sog. Opfermitverantwortung).

Das Bundesgericht führt in seinem Entscheid aus, dass nicht jede Täuschung über die Bereitschaft, einen Vertrag zu erfüllen, automatisch als Indiz für das Bestehen einer Arglist gewertet werden darf. Es wäre schlicht zu schematisch in jedem Fall das Bestehen einer Arglist mit der Begründung anzunehmen, dass es sich bei der Absicht einen Vertrag zu erfüllen um ein nicht nachweisbares inneres Phänomen handelt. So kann bspw. eine Arglist bei Verträgen über günstige Waren, bei denen eine Prüfung des Käufers aus zeitlichen oder kostentechnischen Gründen unverhältnismässig wäre, vorliegen, während bei einer Lieferung von Waren mit hohem Wert ohne jegliche Überprüfung der Zahlungsfähigkeit des Käufers keine Arglist und somit kein Betrug vorliegt.

In seinem Leitentscheid aus dem Jahr 2016 (BGE 142 IV 153) hat das Bundesgericht denn auch festgehalten, dass ein Shop-Betreiber unter dem Gesichtspunkt der Opfermitverantwortung grundlegendste Vorsichtsmassnahmen missachtet und sich verhält leichtfertig, wenn er bei einem Kauf über das Internet ein Produkt mit einem hohen Warenwert auf Rechnung an eine unbekannte Privatperson liefert, ohne deren Bonität zumindest rudimentär zu prüfen. Bei der Bestellung eines leistungsstarken Druckers durch eine Privatperson für rund Fr. 2’200.- könne nicht von einem Alltagsgeschäft gesprochen werden. Im zu beurteilenden Fall wurde deshalb eine arglistige Täuschung des weder erfüllungswilligen noch erfüllungsfähigen Bestellers verneint, weil der Shop-Betreiber auf eine Bonitätsprüfung vollumfänglich verzichtet hatte.

Verschleierungsmassnahmen der Käuferin

Im aktuellen Fall nahm die Käuferin Bestellungen demgegenüber unter Angabe falscher Daten vor, nachdem sie bemerkte, dass Bestellungen in eigenem Namen abgelehnt wurden. Sie verwendete neu erstellte E-Mail-Adressen um unter fiktiven Identitäten neue Nutzerkonten zu erstellen und änderte auch ihre IP-Adresse. Das Bundesgericht führt in seinem Entscheid aus, dass die Verwendung derselben Adresse für verschiedene Bestellungen nicht ausreichen kann, um Käufer ohne Zahlungsabsicht zu identifizieren, weil je nach Gebäude eine Vielzahl von Personen über die gleiche Adresse verfügen kann. Das Argument, die Täuschung wäre aufgrund der wiederholten Verwendung derselben Adresse einfach erkennbar und somit durch ein Mindestmass an Vorsicht vermeidbar gewesen, lässt das Gericht somit nicht zu. Das Bundesgericht bestätigt in seinem Entscheid somit, dass das geschilderte Verhalten der Käuferin als arglistige Täuschung einzustufen ist.

Bonitätsprüfung durch Händler

Im Gegensatz zum bereits oben erwähnten Leitentscheid verfügten die Händler im hier vorgestellten Sachverhalt über ein Kontrollsystem, mit dem die Identität von Käufern insbesondere durch das Abgleichen mit einer Datenbank überprüft wird. Das Argument der Klägerin, dieses System würde nicht den Mindestvoraussetzungen an Vorsicht genügen, so dass ein Betrug nicht vorliegen könne, war erfolglos. Das System zwang die Käuferin nämlich neue Identitäten zu verwenden, nachdem das System erfolglos Bestellungen auf ihren eigenen Namen blockierte. Somit genügte im Kontext dieses Entscheids die Bonitätsprüfung als Nachweis dafür, dass die Händler einem Mindestmass an Vorsicht nachgekommen sind.

Fazit

Das Bundesgericht entschied, dass neben den erwähnten Elementen auch ein vorsätzliches Handeln sowie eine Schädigung des Vermögens vorlagen, so dass das Verhalten der Käuferin als Betrug gemäss Art. 146 Abs. 1 StGB zu qualifizieren ist. Folglich wurde das Urteil der Vorinstanz unter Auferlegung der Kosten an die Beschwerdeführerin bestätigt. Die Verurteilung zu einer bedingten Geldstrafe in Form von 60 Tagessätzen in der Höhe von 30.- Franken pro Tag und einer Busse in der Höhe von 300.- Franken ist somit rechtskräftig.

Erfreulich an diesem Entscheid ist sodann, dass er die Wichtigkeit von effizienten Bonitätsprüfungen im Online-Handel unterstreicht und bestätigt. Dies dürfte hilfreich sein, wenn es darum geht, die mit Bonitätsprüfungen regelmäßig einhergehenden, weitgehenden Datenbearbeitungen im Rahmen einer Interessenabwägung zu beurteilen.

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