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Im Urteil vom 15. Juli 2014 hatte das Bundesgericht Gelegenheit, sich zur AGB-Kontrolle anhand von Art. 8 des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) zu äussern. Der neue Artikel 8 des UWG trat am 1. Juli 2011 in Kraft. Seitdem herrscht Unklarheit darüber, welche AGB-Bestimmungen einer offenen Inhaltskontrolle nach dem UWG standhalten. Eine Liste mit wettbewerbswidrigen AGB-Klauseln, wie sie in Europa geführt wird, will man in der Schweiz nicht. Nach Art. 8 UWG nichtige AGB-Bestimmungen halten vielmehr einer generell-abstrakten Kontrolle nicht Stand. Für mehr Klarheit sorgt das aktuelle Urteil nicht. Das Bundesgericht stellt lediglich fest, dass Art. 8 UWG in diesem Fall keine Rückwirkung zukommt.
Ausgangslage
Dem vom Bundesgericht zu beurteilenden Fall liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Die Beschwerdeführerin, eine Privatperson, schloss mit der Betreiberin eines Fitnesscenters zwei „Fitnessverträge“ für sich selber und ihren Sohn ab. Die Vertragslaufzeit betrug 12 Monate und begann am 1. März 2011 zu laufen. Die allgemeinen Geschäftsbedingungen des Fitnesscenters, welche dem Vertragsformular beilagen, sahen eine Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Ende der im Vertrag genannten Erst- bzw. Mindestlaufzeit vor. In derselben AGB-Klausel wurde weiter festgelegt, dass sich der Vertrag automatisch um die gleiche Dauer verlängert, falls eine Kündigung nicht rechtzeitig mit eingeschriebenem Brief eingereicht wird. Ausserdem sei eine Kündigung aus wichtigem Grund zu vollen Zahlungsperioden von mindestens einem Monat möglich.
Mit eingeschriebenem Brief vom 28. Februar 2012 kündigte die Beschwerdeführerin beide Verträge. Erst am 19. Juni bestätigte die Leitung des Fitnesscenters den Erhalt der Kündigung sowie den Austritt der Mitglieder aus dem Fitnessclub per 28. Februar 2013 und stellte die offenen Abonnementsgebühren bis dahin in Rechnung. Als die ehemalige Kundin die Zahlung unterliess, leitete das Fitnesszentrum ihre Betreibung ein. Der erstinstanzlich zuständige Friedensrichter bestätigte die Forderung in der Höhe von 1852.- CHF und wies den Rechtsvorschlag ab. Auch die dagegen erhobene Beschwerde beim Kantonsgericht wurde abgewiesen. So gelangte die ehemalige Fitnessgängerin mit einer Beschwerde in Zivilsachen ans Bundesgericht.
Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung
Weil der notwendige Streitwert im angefochtenen Urteil nicht erreicht wird, musste das Bundesgericht vorgängig prüfen, ob es allenfalls zur Beurteilung der Sache zuständig ist, weil eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt. Eine solche liegt vor, wenn ein allgemeines und dringendes Interesse besteht, dass eine umstrittene Frage höchstrichterlich geklärt wird, um eine einheitliche Anwendung und Auslegung des Bundesrechts herbeizuführen und damit eine erhebliche Rechtsunsicherheit auszuräumen.
Im vorliegenden Fall trat gestützt auf die AGB eine automatische Vertragsverlängerung ein. Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass dies gegen den neuen Art. 8 UWG verstosse. Die Verträge wurden jedoch vor Inkraftsetzung des neuen Art. 8 UWG am 1. Juli 2012 abgeschlossen. Die bedeutsame Frage, „ob und inwieweit Verträge, die noch unter Geltung des früheren Rechts abgeschlossen wurden, ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts nach diesem zu beurteilen sind“, will das Bundesgericht nun beantworten.
Rückwirkende AGB-Kontrolle nach Art. 8 UWG
Das UWG selber enthält keine Bestimmungen über das Verhältnis zwischen dem alten und dem neuen Recht (sog. Übergangsbestimmungen). Wird der zeitliche Anwendungsbereich in einer Gesetzesrevision nicht geregelt, greift man auf die Regelungen in den Schlusstitel des Schweizerischen Zivilgesetzbuches zurück (SchlT ZGB). Grundsätzlich wird hiernach das Vertrauen in den Bestand von einmal rechtskonform geschlossenen Rechtsgeschäften geschützt. Von dieser Grundregel der Nichtrückwirkung (Art. 1 SchlT ZGB) wird aber bedeutungsvoll abgewichen, nämlich in dem Fall, wo die neue Gesetzesbestimmung im Hinblick auf die öffentliche Ordnung und Sittlichkeit erlassen wurde (Art. 2 SchlT ZGB). Eine solche rechtspolitisch motivierte Novelle zieht eine Interessensabwägung nach sich, in der die neurechtlichen öffentlichen Interessen den privaten Interessen am Bestand der altrechtlichen Regelungen entgegengesetzt werden. Überwiegt das öffentliche Interesse erhält die neue Bestimmung rückgreifende Wirkung, mit der Folge, dass die Rechtsverhältnisse nach dem Inkrafttreten des neuen Rechts nach diesem zu beurteilen sind, auch wenn sie vor dem Zeitpunkt begründet wurden.
Beurteilung durch das Bundesgericht
Im vorliegenden Sachverhalt verlängerten sich die beiden Verträge entsprechend den AGB am 28. Februar 2012. Da zu diesem Zeitpunkt Art. 8 UWG noch nicht in Kraft war, erübrigt sich laut den Erwägungen des Bundesgerichts eine Beurteilung der Rechtslage in der oben beschriebenen allgemeinen Form. Damit sagt das Bundesgericht nicht, dass eine Rückwirkung von Art. 8 UWG aufgrund von Art. 2 bzw. 3 SchlT ZGB nicht möglich ist. Es sagt lediglich, dass in diesem speziellen Fall die Regeln über die Rückwirkung nicht zur Anwendung kommen. Denn selbst wenn Art. 8 UWG im Sinne der öffentlichen Ordnung erlassen wurde, müsse die automatische Vertragsverlängerung im konkreten Fall nach dem früheren Recht beurteilt werden. Andernfalls würde man, falls die AGB-Klausel tatsächlich für nichtig nach Art. 8 UWG erklärt würde, der bereits eingetretenen Rechtswirkung nachträglich die Grundlage entziehen. Einem solchen Vorgehen steht der Vertrauensschutz der Vertragsparteien entgegen. Diese müssen sich darauf verlassen können, das Vertragswirkungen zu dem Recht beurteilt werden, das zur Entfaltungszeit in Kraft war.
Verpasste Chance?
Man könnte fast meinen, das Bundesgericht hätte mit einem intertemporalen Trick versucht, den Klärungsbedarf rund um Art. 8 UWG unter den Tisch zu kehren. Denn in der Lehre wird auch die Meinung vertreten, die lauterkeitsrechtliche AGB-Kontrolle nach Art. 8 UWG setzt beim Schutz der Institution des Wettbewerbs an. Geschützt wird nicht das individuell-konkrete Vertrauen der Parteien, sondern das generell-abstrakte Vertrauen in einen lauteren Wettbewerb. Unlauterer Wettbewerb durch die Verwendung gewisser AGB-Klauseln soll verhindert werden. AGB-Klauseln sind dann unlauter, wenn die Tatbestände von Art. 8 UWG erfüllt sind. Wann die Tatbestände erfüllt sind ist heute unklar und bedarf aufgrund ihrer unbestimmten Formulierung der richterlichen Konkretisierung. Folgt man dieser Ansicht, kann man von einer verpassten Chance sprechen. Denn hätten sich die beiden Verträge zu einem Zeitpunkt verlängert, in dem Art. 8 UWG bereits in Kraft war, hätte dieser Fall die Gelegenheit geboten, die Anwendung von Art. 8 UWG höchstrichterlich zu klären.
Weitere Informationen:
- Urteil des Bundesgerichts vom 15. Juli 2014 (4A_475/2013)
- BR-News vom 30. Mai 2012: «Missbräuchliche AGB nach der UWG-Revision – „graue Liste“ unzulässiger Klauseln auch in der Schweiz?»
- Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)
- Schlusstitel des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (SchlT ZGB)
Ansprechpartner: Lukas Bühlmann