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Hintergrund
Das Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahre bescherte den meisten schweizerischen Unternehmen auch 2019 beachtliche Gewinne. Dementsprechend hatten die Unternehmen für jenes Jahr auch hohe Gewinnsteuern zu erwarten. 2019 kamen zudem in vielen Kantonen letztmals die höheren Gewinnsteuersätze vor der Steuerreform zur Anwendung. Mit der Corona-Krise gewärtigen viele Unternehmen im laufenden Jahr existenzbedrohende Verluste. Es stellt sich die Frage, inwiefern die Auswirkungen dieser Krise bereits im statutarischen Abschluss 2019 zu berücksichtigen sind – was die Ergebnisschwankungen etwas glättet und die Steuerlast senkt.
Grundsätze ordnungsgemässer Rechnungslegung
Ein zentraler Grundsatz ordnungsmässiger Rechnungslegung nach schweizerischem Aktienrecht ist das Vorsichtsprinzip nach Art. 958c OR. Aus diesem leitet sich das sog. Imparitätsprinzip ab: Gewinne dürfen erst ausgewiesen werden, wenn sie realisiert sind; Verluste müssen dagegen bereits berücksichtigt werden, sobald ihre Ursache eintritt. Gemäss Art. 960e Abs. 2 OR sind am Bilanzstichtag Rückstellungen zu bilden für vergangene Ereignisse, die in Zukunft Verluste erwarten lassen. Wesentliche Ereignisse, deren Ursache erst nach dem Bilanzstichtag (aber vor Freigabe der Jahresrechnung durch das zuständige Organ) eintreten, sind dagegen gemäss Art. 959c Abs. 2 OR nicht bilanziell auszuweisen, sondern im Anhang zur Jahresrechnung.
Ursache für Corona Pandemie bereits vor dem 31.12.2019
Die Ausbreitung des Coronavirus nahm nach heutigem Kenntnisstand ihren Anfang im November 2019 im chinesischen Wuhan. Zum Jahresende 2019 waren dort bereits mindestens 266 Personen infiziert. Unbestrittenermassen besteht ein natürlicher Kausalzusammenhang zwischen der damaligen lokalen Epidemie in Wuhan und der heutigen globalen Pandemie und Wirtschaftskrise. Im juristischen Sinne kann u.E. darüber hinaus auch ein adäquater Kausalzusammenhang hergestellt werden. Die in Wuhan bereits eingetretene, rasche Ausbreitung des Virus war weit mehr als der berühmte Flügelschlag eines Schmetterlings. Schweizer Unternehmen können u.E. daher stichhaltig argumentieren, dass die unaufhaltsame Verbreitung des Virus in Wuhan als Ursache nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge geeignet war, die heutigen Verluste zu bewirken.
Fazit für die Bildung und steuerliche Abzugsfähigkeit von Rückstellungen
Aufgrund dieser Kausalzusammenhänge bestehen für Schweizer Unternehmen u.E. triftige Gründe, bereits im Abschluss per 31.12.2019 Rückstellungen für Verluste im Zusammenhang mit der Corona-Krise zu bilden. Anderer Auffassung ist hier offensichtlich EXPERTsuisse, die in ihrem Update vom 20. März 2020 das Coronavirus aus Optik des Jahresabschlusses 2019 als nicht zwingend buchungspflichtiges Ereignis qualifiziert. Unter Berücksichtigung der ausserordentlichen Situation mit mutmasslich starken finanziellen Auswirkungen für viele Unternehmen greift u.E. eine solche Handhabung allerdings zu kurz.
Das Schweizer Unternehmenssteuerrecht basiert auf dem Grundsatz der Massgeblichkeit der Handelsbilanz. Demnach ist der OR-konform ermittelte Gewinn auch steuerlich massgebend, soweit keine steuerrechtlichen Korrekturvorschriften eingreifen. Da im vorliegenden Fall die Bildung von Rückstellungen zulasten der Jahresrechnung 2019 fundiert «geschäftsmässig begründet» werden kann, kommen u.E. jedoch die Korrekturvorschriften von Art. 58 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 63 DBG nicht zur Anwendung. Die Steuerlast für die Periode 2019 der betroffenen Unternehmen würde somit gesenkt.