BGH: Strenge Anforderungen bei der Nutzung von Inbox-Advertising


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Ein Urteil des deutschen Bundesgerichtshofes (BGH) zeigt auf, wie sogenanntes «Inbox-Advertising» (Werbenachrichten eingebettet in privaten E-Mail-Postfächern) lauterkeitsrechtlich einzuordnen ist. So stellte der BGH unter Berücksichtigung eines Vorabentscheidungsurteils des EuGH fest, dass Inbox-Advertising den Nutzer in ähnlicher Weise behindere wie Spam-Nachrichten. Da entsprechende Werbenachrichten zudem einen kommerziellen Zweck verfolgen und sie sich direkt an einen individuell bestimmbaren Verbraucher richten, wird eine ausdrückliche Einwilligung des Nutzers vorausgesetzt. Gemäss dem Urteil sind nach unionsrechtskonformer Auslegung des Lauterkeitsrechts an die Einwilligung von Nutzern entsprechender E-Mail-Dienste hohe Anforderungen zu stellen. So soll insbesondere die pauschale Einwilligung des Nutzers, Werbenachrichten zu erhalten, diesen Anforderungen nicht genügen. Die Nutzer müssen klar und präzise darüber informiert worden sein, dass Werbenachrichten in der Liste der empfangenen privaten E-Mails angezeigt werden.

Was ist Inbox-Advertising?

Im betreffenden Fall klagte ein deutscher Stromlieferant gegen ein Konkurrenzunternehmen aufgrund der Schaltung von Werbeeinblendungen in E-Mail-Postfächern von Nutzern eines kostenlosen E-Mail-Dienstes. Konkret wurde im privaten Postfach eines Nutzers im Bereich, in dem die eingegangenen Nachrichten listenförmig angezeigt werden (Inbox), Werbung – eingebettet in eingegangenen E-Mails – angezeigt (Inbox-Advertising). Diese Werbeanzeigen unterschieden sich optisch von der Liste der anderen E-Mails des Nutzers nur dadurch, dass das Datum durch die Angabe «Anzeige» ersetzt, kein Absender angegeben und dass der Text grau unterlegt worden war. Eine solche Werbepraxis verstosse gemäss Ansicht der Klägerin gegen die Vorschriften über unlauteren Wettbewerb (insb. unzumutbare Belästigungen nach § 7 des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb, DE-UWG) und sei somit wettbewerbswidrig.

Unionsrechtskonforme Auslegung des Tatbestands der unzulässigen Belästigung

Schliesslich hatte sich der BGH mit dieser Frage zu beschäftigen, nachdem zuvor die Vorinstanz die entsprechenden Werbeanzeigen noch als wettbewerbsrechtlich zulässig eingestuft hatte. Die Vorinstanz begründete ihren Entscheid insbesondere damit, dass Inbox-Advertising keine «elektronische Post» im Sinne von § 7 Abs. 2 Ziff. 3 DE-UWG darstelle und deshalb den Tatbestand der unzumutbaren Belästigung nicht erfülle. Gemäss BGH ist im vorliegenden Fall die unionsrechtskonforme Auslegung von § 7 Abs. 2 Ziff. 3 DE-UWG von entscheidender Bedeutung, da die Vorschrift das «Spam-Verbot» gemäss Art. 13 Abs. 1 der EU-Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation (Richtlinie 2002/58/EG) in deutsches Recht umsetzt. Deshalb wurden dem EuGH entsprechende Auslegungsfragen zur Vorabentscheidung (vgl. Urteil des EuGH vom 25. November 2021, C‑102/20) gestellt, die wiederum der BGH in seinem abschliessenden Urteil vom 13. Januar 2022 (I ZR 25/19) aufgriff.

Ähnliche Einschränkung des Nutzers wie bei Spam-Nachrichten

In einem ersten Schritt wurde vom BGH geprüft, ob die in Frage stehende Art der Kommunikation überhaupt zu den von Art. 13 Abs. 1 der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation bzw. § 7 Abs. 2 Ziff. 3 DE-UWG erfassten Kommunikationsmitteln – insbesondere dasjenige der elektronischen Post – gehört. Im vorliegenden Fall wurde die Werbenachricht in der Inbox des Nutzers, das heisst in einem normalerweise privaten E-Mail vorbehaltenen Bereich, angezeigt. Der Nutzer konnte diesen Bereich erst nach Überprüfung des Inhalts der Werbenachricht und nur durch aktives Löschen derselben freimachen, um einen Überblick über seine ausschliesslich privaten E-Mails zu erhalten. Dem EuGH-Urteil folgend hielt der BGH fest, dass die Einblendung der Werbenachrichten direkt in der Inbox – im Gegensatz zu Werbebannern oder Pop-up-Fenstern am Rande der Inbox – den Zugang zu den privaten E-Mails in ähnlicher Weise behindere, wie dies auch bei sog. Spam-Nachrichten der Fall sei. Eine solche Vorgehensweise stelle demnach eine Verwendung elektronischer Post im Sinne von Art. 13 Abs. 1 EU-Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation dar.

Inbox-Advertising als Form der Direktwerbung

Des Weiteren war vom BGH zu prüfen, ob die Werbenachrichten in Form des Inbox-Advertising auch eine sog. Direktwerbung bezweckten. Ein solche liegt vor, wenn mit der Nachricht ein kommerzielles Ziel verfolgt wird und sie sich direkt und individuell an einen Verbraucher richtet. Wiederum in Anlehnung an das EuGH-Urteil wurde angemerkt, dass die von der Beklagten bzw. der beauftragten Werbeagentur verbreiteten Nachrichten die Bewerbung der von ihr angebotenen entgeltlichen Dienstleistungen zum Gegenstand hatten, wodurch ein kommerzielles Ziel verfolgt werde. Zudem richtete sich die Werbung direkt und individuell an einen Verbraucher, weil sie in Form einer E-Mail direkt in der Inbox des privaten E-Mail-Postfachs des betreffenden Nutzers erschien. Im Zuge dieser Überlegungen hielt der BGH ausserdem fest, dass es für die Anwendung von Art. 13 Abs. 1 der EU-Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation unerheblich ist, ob die Werbung an einen individuell vorbestimmten Empfänger gerichtet war oder ob es sich um eine massenhafte und nach dem Zufallsprinzip vorgenommene Verbreitung gegenüber zahlreichen Empfängern handelt.

Strenge Anforderungen an die Einwilligung

Werbung unter Verwendung elektronischer Post (wozu eben auch Inbox-Advertising gehört) ist nicht in jedem Fall wettbewerbswidrig. Vorausgesetzt wird jedoch eine vorherige ausdrückliche Einwilligung des Adressaten. Welche Anforderungen an die Einwilligung gemäss dem Tatbestand der unzulässigen Belästigung (§ 7 Abs. 2 Ziff. 3 DE-UWG) zu stellen sind, war vom BGH erneut durch unionskonforme Auslegung zu ermitteln. In der EU-Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation wird für den Begriff der Einwilligung eines Nutzers oder Teilnehmers auf die Definition in der EU-Richtlinie zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Richtlinie 95/46/EG) verwiesen. Letztere wurde jedoch durch die EU-Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) aufgehoben und nunmehr gelten Verweise auf die aufgehobene Richtlinie als Verweise auf die DSGVO. Gemäss den strengen Anforderungen der DSGVO muss die Einwilligung freiwillig, in informierter Weise und als unmissverständliche Willensbekundung in Form einer Erklärung oder einer sonstigen eindeutigen bestätigenden Handlung erfolgen (vgl. Art. 4 Ziff. 11 DSGVO).

Allgemeine Einwilligung in den Erhalt von Werbeeinblendungen genügt nicht

Im vorliegenden Fall konnten die Nutzer des E-Mail-Dienstes zwischen einer unentgeltlichen, durch Werbung finanzierten Version und einer kostenpflichtigen Version ohne Werbung auswählen. Im Zuge dessen hatte sich der Nutzer grundsätzlich damit einverstanden erklärt, Werbeeinblendungen zu erhalten, um kein Entgelt für die Nutzung des E-Mail-Dienstes zahlen zu müssen. Eine solche pauschale Einwilligung genügt jedoch den strengen Anforderungen der Einwilligung gemäss DSGVO nicht, wie dies der BGH mit Verweis auf das EuGH-Urteil festhält. Vielmehr sei massgeblich, ob der Nutzer der unentgeltlichen Version des E-Mail-Dienstes ordnungsgemäss über die genauen Modalitäten der Verbreitung informiert wurde und konkret einwilligte, Werbenachrichten in Form des Inbox-Advertising zu erhalten. Insbesondere muss der Nutzer klar und präzise darüber informiert worden sein, dass Werbenachrichten in der Liste der empfangenen privaten E-Mails angezeigt werden. Zudem ist erforderlich, dass der Nutzer seine Einwilligung, solche Werbenachrichten zu erhalten, für den konkreten Fall und in voller Kenntnis der Sachlage bekundet hat. Dies war vorliegend jedoch nicht der Fall, weshalb die Beklagte den Einsatz von Inbox-Advertising in der hier diskutierten Art und Weise zu unterlassen hat und zum Ersatz der Kosten verurteilt wurde.

Wieso ist dieses Urteil auch für Schweizer Unternehmen relevant? 

Das Urteil des BGH zeigt anschaulich auf, welche Anforderungen an eine Einwilligung zum Erhalt von Inbox-Advertising gestellt werden. Gerade auch viele Schweizer Unternehmen sind auf den deutschen Markt ausgerichtet und werben auch dort für ihre Produkte, weshalb auch die lokalen Anforderungen zu erfüllen sind. Zudem ist die DSGVO wegen ihres extraterritorialen Anwendungsbereichs für viele Schweizer Unternehmen einschlägig, was bedeutet, dass diese die strengen Anforderungen an die Einwilligung gemäss DSGVO zu erfüllen haben, sofern sie nicht von entsprechenden Sanktionen betroffen sein wollen (vgl. MLL-News vom 15.6.2020).

Wie ist die Rechtslage in der Schweiz?

Die Frage der Zulässigkeit von Inbox-Advertising in der Schweiz ist noch ungeklärt. Die Schweizerische Lauterkeitskommission (SLK), das Selbstkontrollorgan der Schweizer Kommunikationsbranche, hat sich allerdings bereits zur Unlauterkeit von sog. Massenwerbung, welche in Art. 3 Abs. 1 lit. o UWG geregelt ist, geäussert (vgl. MLL-News vom 7.11.2021). Gemäss SLK ist für die Einstufung als Massenwerbung einzig relevant, ob der Versand der Werbebotschaften automatisch erfolgt, selbst wenn nur eine geringe Anzahl an E-Mails versendet wird. Da auch beim Inbox-Advertising die Werbung automatisiert abläuft, könnte diese Form der Werbung also auch gemäss schweizerischem Lauterkeitsrecht unter dem Tatbestand der Massenwerbung als unzulässig eingestuft werden, sofern die weiteren Voraussetzungen nach Art. 3 Abs. 1 lit. o UWG gegeben sind (Fehlen einer entsprechenden Einwilligung, Fehlen einer kostenlosen Ablehnungsmöglichkeit und fehlende Angabe des korrekten Absenders bzw. kein Fall des sog. Bestandeskunden-Privilegs). Dafür spricht ebenfalls der Schutzzweck von Art. 3 Abs. 1 lit. o UWG, welcher gemäss einem Urteil des Obergerichts Zürich (vgl. MLL-News vom 25.2.2019) auch die zeitliche und psychische Belastung umfasst, die Spam-Nachrichten, welche mit dem Inbox-Advertising vergleichbar sind, beim Empfänger verursachen können. Vor diesem Hintergrund ist demnach nicht auszuschliessen, dass Inbox-Advertising in der Schweiz ebenfalls als unlauter einzustufen wäre, weshalb auch bei entsprechender Nutzung innerhalb der Landesgrenzen Vorsicht geboten ist.

Was gilt es nun zu beachten?

Der vorliegende Entscheid ist sowohl für Anbieter von E-Mail-Diensten als auch für Unternehmen, die in der Form von Inbox-Advertising werben, von Bedeutung. Gemäss dem BGH-Urteil haben Anbieter von E-Mail-Diensten, welche Werbung in Form von Inbox-Advertising aufschalten, grundsätzlich eine konkrete Einwilligung ihrer Nutzer einzuholen. Darin muss der Nutzer klar und präzise darüber informiert werden, dass Werbenachrichten in der Liste der empfangenen privaten E-Mails angezeigt werden. Die bestehenden Einwilligungsmechanismen sollten somit auf die Einhaltung der strengen Einwilligungsvoraussetzungen überprüft und allenfalls angepasst werden. Unternehmen, die mit Inbox-Advertising werben oder dies beabsichtigen, ist zu empfehlen, auf eine Prüfung der Rechtmässigkeit der Einwilligungsmechanismen bei den Werbeagenturen bzw. den Anbietern von E-Mail-Diensten zu bestehen bzw. eine Garantie der Einhaltung der einschlägigen Vorschriften vertraglich festzuhalten. Ansonsten laufen die betroffenen Unternehmen Gefahr, aufgrund einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise sanktioniert zu werden.

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