Die Kundschaftsentschädigung für Vertriebspartner nach schweizerischem Recht


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Kürzlich hat der deutsche Bundesgerichtshof anerkannt, dass auch einem Markenlizenznehmer unter bestimmten Voraussetzungen nach der Vertragsbeendigung eine Kundschaftsentschädigung zustehen kann (BR-News vom 22.11.2010). Dies bietet Anlass die in der Schweiz geltende Rechtslage in Bezug auf den Anspruch auf Kundschaftsentschädigung kurz darzustellen. Ausgangspunkt hierzu ist der Grundsatzentscheid des Bundesgerichts (BGE 134 III 497) aus dem Jahre 2008, in dem es seine Rechtsprechung zur analogen Anwendung der Regelung für Agenturverträge (Art. 418u OR) auf Alleinvertriebsverträge präzisiert hatte. Ein Anspruch auf Kundschaftsentschädigung kann nach diesem Entscheid auch anderen Vertriebspartnern zustehen, wenn deren Situation mit derjenigen eines Agenten vergleichbar ist.

Vor mehr als 40 Jahren, im letzten höchstrichterlichen Präzedenzfall (BGE 88 II 169) bis 2008, hatte das Bundesgericht eine Kundschaftsentschädigung für Alleinvertreter nach Beendigung des Vertragsverhältnisses noch grundsätzlich ausgeschlossen, weil der Alleinvertreter in eigenem Namen und auf eigene Rechnung tätig sei und ihm folglich – im Unterschied zum Agenten- die Kundschaft selbst zukomme. Der Bundesgerichtsentscheid (BGE 134 III 497) aus dem Jahre 2008 stellte in dieser Hinsicht eine Abkehr von diesem stark kritisierten formalistischen Ansatz dar. So wurde festgehalten, dass jeweils im konkreten Fall beurteilt werden müsse, ob die wirtschaftliche Situation des Alleinvertreters mit derjenigen eines Agenten vergleichbar sei. Treffe dies zu, bestünden auch keine Gründe für eine Ungleichbehandlung.

Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Situation eines Vertriebspartners stellt das Bundesgericht wie auch der deutsche Bundesgerichtshof (vgl. BR-News vom 22.11.2010) zunächst darauf ab, ob der Abnehmer – wie ein Agent – in das Vertriebsnetz des Lieferanten eingegliedert ist, sodass er wirtschaftlich gesehen, trotz seiner rechtlichen Unabhängigkeit, nur über eine begrenzte – mit dem Agenten vergleichbare – Autonomie verfügt. Darüber hinaus ist erforderlich, dass der Kundenstamm des Abnehmers bei Vertragsbeendigung auf den Lieferanten übergeht. In diesem Fall hat ein Vertriebspartner entsprechend den in Art. 418u ORfestgelegten Bedingungen und Grenzen Anspruch auf eine Kundschaftsentschädigung. Diese Vorschrift verlangt im Einzelnen, dass:

  1. durch die Tätigkeit des Abnehmers der Kundenkreis des Lieferanten wesentlich erweitert wurde,
  2. der Lieferant aus der Erweiterung des Kundenkreises erhebliche Vorteile zieht, und
  3. der Anspruch auf Kundschaftsentschädigung nicht als unangemessen erscheint.

In dem vom Bundesgericht zu beurteilenden Fall enthielt der Vertriebsvertrag zwischen der Genfer Lieferantin von Markenparfums und dem tschechischen bzw. slowakischen Alleinvertreter zahlreiche Klauseln, welche zu einer Abhängigkeit von der Lieferantin führten und die Alleinvertreter deren Kontrolle unterstellten, sodass eine Eingliederung bejaht werden konnte. Zu diesen Klauseln gehörten unter anderem die Pflicht des Abnehmers, jährliche Mindestmengen abzunehmen, die Pflicht, einseitige Änderungen der Einkaufspreise und der Lieferbedingungen zu akzeptieren, sowie die Pflicht, die Bücher und Kundenverzeichnisse dem Lieferanten offen zu legen. Ferner hatte der Lieferant auch das Recht, die von den Abnehmern vorgeschlagenen neuen Verkaufsstandorte zu genehmigen.

Darüber hinaus wurden die Alleinvertreter verpflichtet, regelmässig die Namen und Adressen ihrer Kunden bekannt zu geben. Gemäss Bundesgericht hat dies faktisch die gleichen Auswirkungen, wie die Verpflichtung, bei Vertragsende den Kundenstamm an den Lieferanten abzutreten. Zudem hielt das Bundesgericht fest, dass die im vorliegenden Fall erworbenen Kunden als sog. Realkundschaft, d.h. eine vom Bestand der Marke abhängige Kundschaft, zu qualifizieren seien. Aus diesem Grund wurde davon ausgegangen, dass der Lieferantin auch nach der Beendigung des Vertrags erhebliche Vorteile aus der erworbenen Kundschaft erwachsen und den Alleinvertretern folglich ein Anspruch auf Kundschaftsentschädigung zusteht. Für die Berechnung der Höhe dieser Entschädigung wurde der Fall zurück an die Vorinstanz verwiesen, wobei gemäss dem Bundesgerich die für den Agenturvertrag geltenden Grundsätze (Art. 418u Abs. 2 und 3 OR) einzuhalten seien.

Anzumerken ist, dass bei Markenprodukten ein Teil der Kundschaft jedoch nach Vertragsbeendigung dem Lieferanten per se erhalten bleibt, dies auch ohne Kenntnis von deren Namen und Adressen, da einige Kunden an die Marke gebunden sein werden (sog. Realkundschaft). Anders wäre die Situation, wenn der Vertriebspartner besondere Dienstleistungen erbringt, welche die «Sogwirkung der Marke» in den Hintergrund drängt. Dies wird jedoch bei Gütern des täglichen Gebrauchs selten der Fall sein. Folglich ist bei solchen Markenprodukten der Übergang der Kundschaft grundsätzlich anzunehmen.

Der Bundesgerichtsentscheid lässt einige Fragen offen. Insbesondere bleibt unklar wie die Höhe der Kundschaftsentschädigung berechnet werden soll. Zwar verweist das Bundesgericht in knapper Weise auf die Grundsätze des Agenturrechts, jedoch ist wohl eine differenzierte Berechnung erforderlich, da die Nettomarge von Vertriebspartnern nicht mit der Nettojahresprovision des Agenten verglichen werden kann. Somit ist es empfehlenswert, die Berechnungskriterien vorab vertraglich zu regeln. Weiterhin unklar bleibt auch die Frage, ob Franchisenehmer ebenfalls in den Genuss einer Kundschaftsentschädigung kommen können. Davon wird wohl häufig auszugehen sein, da diese vielfach in einer mit dem Agenten vergleichbaren wirtschaftlichen Situation sind.

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Ansprechpartner: Lukas Bühlmann


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