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Das Bundesverwaltungsgericht hebt die Verfügung der Schweizer Wettbewerbskommission in Sachen Hallenstadion/Ticketcorner auf und weist die Sache zur Neubeurteilung zurück. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigt damit seinen Willen zu effektiver gerichtlicher Kontrolle. Es legt unter anderem nicht bloss offenkundige Horizontal- und Vertikalabreden, sondern alle unternehmerischen Kooperationsformen mit möglicher Wettbewerbswirkung auf den kartellrechtlichen Prüfstein. Es tendiert ferner zu eng abgegrenzten Märkten.
Urteil B-3618/2013 des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. November 2016 – Vertrieb von Tickets im Hallenstadion Zürich.
Der Fall geht auf Anzeigen aus dem Jahr 2009 zurück. Konkurrenten des Ticketing-Anbieters Ticketcorner AG (Ticketcorner) hatten sich bei der Schweizer Wettbewerbskommission (WEKO) über wettbewerbswidriges Verhalten bei der Vermietung des Zürcher Hallenstadions beklagt. Angezeigt wurde namentlich eine Abrede zwischen Ticketcorner und der Aktiengesellschaft Hallenstadion (AGH) betreffend deren Kooperation beim Ticketvertrieb (Ticketing-Kooperationsabrede). Aufgrund der Ticketing-Kooperationsabrede musste die AGH die Organisatoren von Publikumsevents im Hallenstadion dazu verpflichten, mindestens 50% der fremdvertriebenen Tickets über Ticketcorner zu verkaufen (Ticketingklausel); aus betriebswirtschaftlichen Gründen waren es de facto gar 100%.
Vor diesem Hintergrund sahen sich die Ticketcorner-Konkurrenten mit ihren eigenen Ticketing-Dienstleistungen in unzulässiger Weise vom Markt verdrängt bzw. ferngehalten. Die WEKO erblickte im angezeigten Verhalten aber keinen Wettbewerbsverstoss und stellte ihre Untersuchung mit Verfügung vom 14. November 2011 ein (RPW 2012/1, S. 74 ff. – Vertrieb von Tickets im Hallenstadion Zürich).
Gegen die Einstellungsverfügung der WEKO erhoben verschiedene Konkurrenten Beschwerde. In einem Leitentscheid bestätigte das Bundesgericht am 5. Juni 2013 letztlich die Beschwerdelegitimation der Ticketcorner-Konkurrenten Starticket AG und ticketportal AG und wies die Rechtssache an das Bundesverwaltungsgericht zurück (BGE 139 II 328).
Rund dreieinhalb Jahre später hiess das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden von Starticket und Ticketportal nun auch inhaltlich gut. Die WEKO hatte die Untersuchung insbesondere aufgrund nachfolgender Erwägungen zu Unrecht eingestellt.
- Unzulässige Wettbewerbsabrede : aus dem Zusammenspiel von Ticketing-Kooperationsabrede und Ticketingklausel resultiert eine den Veranstaltern von AGH aufoktroyierte Pflicht zum Vertragsabschluss mit Ticketcorner (Kontrahierungspflicht). Diese schränkt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts die Wahlfreiheit der Event-Veranstalter als an der Abrede unbeteiligte Nachfrager von Ticketing-Dienstleistungen in grundlegender und damit schwerwiegender Weise ein.Das Bundesverwaltungsgericht ging bei der Ticketing-Kooperationsabrede von einer sog. «sonstigen Abrede» aus, da Ticketcorner und AGH weder Konkurrenten (Horizontalabrede) noch Teil einer vertikalen Absatzkette für den dauerhaften Warenvertrieb (Vertikalabrede) sind. Gemäss Bundesverwaltungsgericht sind nach dem Zweck der kartellrechtlichen Abredendefinition (Art. 4 Abs. 1 KG) aber sämtliche Formen koordinierten Verhaltens von Unternehmen mit möglichen Wettbewerbswirkungen erfasst und damit auch derartige ‹konglomerale› Wettbewerbsabreden.Die von der WEKO in deren Beurteilung unter anderem noch vorgenommene vergleichsweise Gleichstellung der Ticketing-Kooperationsabrede mit dem Alleinbezug und Wettbewerbsverbot von Vertriebspartnern oder der Alleinbelieferung durch Vertriebsgeber lies das Bundesverwaltungsgericht nicht gelten. Es qualifizierte die Ticketing-Kooperationsabrede – unter Berücksichtigung der mündlichen Urteilsberatung des Bundesgerichts zum Fall Gaba (vgl. Urteil 2C_180/2014 des Bundesgerichts vom 28. Juni 2016 – Gaba; Begründung noch nicht publiziert) – als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung, die qualitativ und quantitativ erheblich, nicht gerechtfertigt und damit unzulässig im Sinne von Art. 5 Abs. 1 KG ist.
- Marktmachtmissbrauch: aufgrund der im Recht liegenden Beweise und Informationen lagen nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts zudem genügend Anhaltspunkte für unzulässige Verhaltensweisen marktbeherrschender Unternehmen vor.Gemäss Bundesverwaltungsgericht verfügt AGH auf dem Markt für Veranstaltungslokalitäten in der Deutschschweiz für Mega-Einzel-Bühnenshows über eine marktbeherrschende Stellung und missbrauchte diese durch die Verwendung der Ticketingklausel im Sinne eines unzulässigen Koppelungsgeschäfts (Art. 7 Abs. 2 lit. f. KG) und des Erzwingens unangemessener Geschäftsbedingungen (Art. 7 Abs. 2 lit. c. KG).Zudem verfügt Ticketcorner nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts sowohl auf dem Markt des Ticketing in der Schweiz als auch auf dem Markt bzw. im Bereich des Ticketing für Mega-Einzel-Bühnenshows in der Deutschschweiz über eine marktbeherrschende Stellung. Die mittelbar festgelegte Kontrahierungspflicht für das Ticketing bei Veranstaltungen im Hallenstadion zu Lasten der Veranstalter führt zur ‹Durchsetzung von Kontrahierungspflichten gegenüber Geschäftspartnern›, einem gemäss Bundesverwaltungsgericht von der Generalklausel im Sinne von Art. 7 Abs. 1 KG erfassten, unzulässigen Marktmachtmissbrauchs.
Beim bundesverwaltungsgerichtlichen Rückweisungsentscheid handelt es sich um einen Zwischenentscheid. Eine Beschwerde an das Bundesgericht ist damit nur möglich, sofern dem Beschwerdeführer ein nicht wieder gutzumachender Nachteil erwächst. Der Zwischenentscheid ist noch nicht rechtskräftig.
Erfolgt keine Beschwerde, ist es an der WEKO, den Fall unter Berücksichtigung der bundesverwaltungsgerichtlichen Erwägungen und eingeforderten verbindlichen Abklärungen zu diversen Sachumständen neu zu beurteilen. Die WEKO muss dabei insbesondere auch darüber befinden, ob und in welcher Höhe Geldbussen aufzuerlegen sind.
Die kartell-zivilrechtlichen Instrumente, um gegen Kartellanten vorzugehen, sind in der Schweizer Rechtspraxis noch immer nur begrenzt erfolgreich; potenzielle (Schadenersatz-)Kläger zögern aus verschiedensten Gründen, ihre Ansprüche vor den Zivilgerichten durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund zeigt der vorliegende Fall, dass es durchaus erfolgreich sein kann, ein Administrativverfahren anzustossen und dieses auch hartnäckig zu verfolgen, selbst wenn das vorliegende Verfahren bereits mehr als sechs Jahre dauert und noch kein Ende in Sicht ist.