Wie komme ich aus dem Vertrag wieder raus? – Vorzeitiger Rücktritt im Werkvertrag durch den Besteller


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Ist der Besteller mit den Leistungen des Unternehmers nicht zufrieden, bieten sich diesem verschiedene Möglichkeiten vom Werkvertrag – wie von jedem anderen Vertrag unter Schweizer Recht – vorzeitig zurückzutreten. Dabei hat der Besteller jedoch einiges zu beachten, um gegenüber dem Unternehmer nicht selbst schadenersatzpflichtig zu werden.

Der vorliegende Blogpost setzt sich mit der Frage auseinander, unter welchen Voraussetzungen ein Besteller vom Werkvertrag mit dem Unternehmer zurücktreten kann und wie er vorgehen muss, um nicht selbst haftbar zu werden. Dabei wird insbesondere zwischen dem Rücktritt während der Phase der Werkerstellung und dem Rücktritt nach der Fertigstellung des Werkes unterschieden.

1. Unter welchen Voraussetzungen kann der Besteller während der Phase der Werkerstellung vom Werkvertrag zurücktreten?

Durch einen Werkvertrag verpflichtet sich der Unternehmer zur Herstellung eines Werkes und der Besteller zur Bezahlung einer Vergütung (Art. 363 des Schweizerischen Obligationenrechts, OR). Ein einmal abgeschlossener Werkvertrag ist grundsätzlich einzuhalten.

1.1. Der Unternehmer wird das Werk nicht termingerecht liefern

Beginnt der Unternehmer jedoch nicht rechtzeitig mit der Ausführung des Werkes, verzögert er diese in vertragswidriger Weise oder ist er damit sogar derart im Rückstand, dass eine rechtzeitige Vollendung des Werkes nicht mehr möglich erscheint, so kann der Besteller noch vor dem vereinbarten Liefertermin vom Vertrag zurücktreten (Art. 366 Abs. 1 OR). Dies selbstverständlich nur dann, wenn der Besteller die Verzögerung der Werkausführung nicht selbst verschuldet hat; zum Beispiel durch eine Bestellungsänderung. In der Praxis ist oftmals fraglich, wann ein Rücktritt nach dieser Bestimmung gerechtfertigt erscheint und in welchen Fällen, dem Unternehmer nochmals eine «Chance» gewährt werden muss.

Eine Verzögerung mit dem Arbeitsbeginn kann sich entweder daraus ergeben, dass der Unternehmer mit der Ausführung der Arbeiten zum vertraglich vereinbarten Termin nicht beginnt oder – sofern eine Vereinbarung eines Arbeitsbeginns im Vertrag fehlt – nicht gleich nach Vertragsschluss mit der Herstellung des Werkes anfängt (siehe Art. 75 OR). Haben die Parteien einzig einen Ablieferungs- oder Zwischentermin vereinbart, darf der Unternehmer mit der Ausführung der Arbeiten auch länger zuwarten, sofern die verbleibende Zeit noch reicht, um das Werk bis zum vereinbarten Termin fertigzustellen.

Eine Verzögerung in der Ausführung setzt voraus, dass die Parteien überhaupt verbindliche Zwischentermine, wie zum Beispiel ein Bauprogramm, im Werkvertrag vereinbart haben und diese vom Unternehmer nicht eingehalten wurden.

Eine rechtzeitige Vollendung erscheint dann nicht mehr möglich, wenn ernsthafte Anzeichen dafür bestehen, dass der Unternehmer mit der Werkausführung in der bisher ungenügenden Weise fortfahren wird oder er keine Anstalten dazu macht, den entstandenen Rückstand wieder aufzuholen.

In jedem der drei genannten Fälle muss der Besteller den Unternehmer vor der Erklärung eines allfälligen Rücktritts vom Vertrag nochmals kontaktieren und ihm eine Nachfrist zur Aufholung seiner Verspätung ansetzen. Dies kann nur dann unterbleiben, wenn aus der Haltung des Unternehmers hervorgeht, dass er diese Frist nicht einhalten wird bzw. er von Anfang an erklärt, die Nachfrist nicht einhalten zu wollen.

1.2. Der Unternehmer wird das Werk mangelhaft liefern

Nebst einem Vertragsrücktritt aufgrund einer sich abzeichnenden verspäteten Vertragsausführung, kann auch eine sich abzeichnende mangelhafte Erstellung des Werkes dem Besteller das Recht zu einem vorzeitigen Vertragsrücktritt geben (Art. 366 Abs. 2 OR). Erkennt der Besteller beispielsweise, dass Malerarbeiten in einem Zimmer einer Wohnung mangelhaft ausgeführt wurden, muss er nicht abwarten, bis die anderen Zimmer auch mangelhaft gestrichen wurden, sondern kann bereits vor Vollendung der Arbeiten handeln.

Auch in diesem Fall muss der Besteller dem Unternehmer jedoch nochmals eine Chance geben, seinen «Fehler» zu korrigieren. Mit anderen Worten muss der Besteller dem Unternehmer eine angemessene Frist zur Verbesserung des mangelhaften Zustandes ansetzen und ihm gleichzeitig androhen, dass die Verbesserung oder die Fortführung des Werkes im Unterlassungsfalle auf Gefahr und Kosten des Unternehmers einem Dritten übertragen werde (die sogenannte Ersatzvornahme; Art. 366 Abs. 2 OR). Obwohl der Gesetzeswortlaut dies nicht vorsieht, kann der Besteller dem Unternehmer gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung anstelle der Ersatzvornahme auch androhen, dass er vom Vertrag zurücktritt, sollte der Unternehmer den mangelhaften Zustand innerhalb der ihm angesetzten Frist nicht beheben.

Eine Ersatzvornahme gemäss Art. 366 Abs. 2 OR bzw. der Rücktritt vom Vertrag muss dann nicht vorher angedroht werden, wenn sich eine solche Fristansetzung von vornherein als unnütz erweisen würde. Dies ist der Fall, wenn der Unternehmer nicht in der Lage dazu ist, den Zustand zu beheben oder er sich ernsthaft und endgültig weigert (ausdrücklich oder konkludent), das Werk vertragsgemäss zu erstellen.

Soll gegenüber einem säumigen Unternehmer ein Vertragsrücktritt oder (im Falle einer sich abzeichnenden mangelhaften Erstellung) eine Ersatzvornahme erklärt werden, tut man gut daran, die vorgegebenen Formen und Fristen streng einzuhalten. Tut man dies nicht, d.h. setzt man bspw. zu Unrecht keine Nachfrist an, kann ein Gericht den Rücktritt als einen vorzeitigen Rücktritt nach Art. 377 OR betrachten mit der Folge, dass der Bauherr den Unternehmer die bereits geleistete Arbeit bezahlen und diese vollumfänglich schadlos halten muss. Es empfiehlt sich daher in der Praxis vor dem Aussprechen eines Rücktritts gut zu prüfen, ob dieser durch die gesetzlichen Regeln gerechtfertigt ist.

2. Unter welchen Voraussetzungen kann der Besteller nach der Erstellung des Werkes vom Werkvertrag zurücktreten?

2.1. Der Unternehmer liefert das Werk nicht termingerecht

Hält der Unternehmer den vereinbarten Ablieferungstermin nicht ein oder kommt er einer Aufforderung des Bestellers zur Ablieferung des Werkes nicht nach, befindet er sich im Ablieferungsverzug. Auch in diesem Fall muss der Besteller dem Unternehmer zuerst eine Nachfrist zur nachträglichen Erfüllung ansetzen (Art. 107 Abs. 1 OR).

Wird auch bis zum Ablauf dieser Nachfrist nicht erfüllt, so kann der Besteller wählen, ob er (i) an der Erfüllung des Werkvertrags festhalten und zusätzlich Schadenersatz fordern will, (ii) auf die nachträgliche Leistung verzichten und Schadenersatz fordern will oder (iii) vom Vertrag zurücktreten will.

In der Praxis gilt es zu berücksichtigen, dass eine einmal getroffene Wahl zwischen den drei Varianten nachträglich nicht mehr abgeändert werden kann. Aus diesem Grund gilt es, genau abzuwägen, welche der drei Varianten sich aufgrund der getroffenen Dispositionen als vorteilhafter erweist, bevor man sich für eine entscheidet und diese dem Unternehmer mitteilt. Wichtig ist, dass man bereits vorher abwägt, für welche Variante man sich im Falle des Ausbleibens der Nachlieferung des Unternehmers entscheidet, da die Wahl zwischen den drei Varianten (insbesondere falls man vom Vertrag zurücktreten möchte) unverzüglich gegenüber dem Unternehmer ausgesprochen werden muss.

2.2. Der Unternehmer liefert das Werk in mangelhaftem Zustand

Leidet das Werk bei der Ablieferung an so erheblichen Mängeln oder weicht es sonst so sehr vom Vertrag ab, dass es für den Besteller unbrauchbar ist oder dass ihm die Annahme nicht zugemutet werden kann, so darf der Besteller die Annahme verweigern und bei Verschulden des Unternehmers Schadenersatz fordern (Art. 386 Abs. 1 OR).

Auch nach der Ablieferung des Werkes hat der Besteller somit unter Umständen noch das Recht vom Werkvertrag zurückzutreten, sofern es ihm nicht zuzumuten ist, das Werk in seinem mangelhaften Zustand zu behalten. Vorausgesetzt ist jedoch, dass das Werk definitiv unbrauchbar ist und durch einen vertretbaren Aufwand nicht nachgebessert werden kann. Ob dies der Fall ist, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Es empfiehlt sich aber auch in dieser Situation, sauber abzuklären, ob man ein Recht auf Rücktritt vom Werkvertrag hat oder allenfalls andere Mängelrechte geltend machen kann (Lesen Sie dazu auch den Blog Post Die Tücken des Sachgewährleistungsrechts im Werkvertrag von Sabina Schellenberg und Romina Brogini).

Da es sich beim Rücktritt vom Werkvertrag nach Ablieferung des Werkes um eine für den Unternehmer sehr einschneidende Massnahme handelt, gilt diese Bestimmung im Falle von Werken, die auf dem Grund und Boden des Bestellers errichtet wurden (wie bspw. Liegenschaften oder sonstige Bauten) und die nur mit unverhältnismässigen Nachteilen entfernt werden könnten, nicht (Art. 386 Abs. 3 OR). In diesen Fällen kann der Besteller jedoch zumindest einen Abzug vom Werklohn geltend machen, welcher dem Minderwert des Werkes entspricht oder, sofern dies dem Unternehmer nicht unverhältnismässige Kosten verursacht, die unentgeltliche Verbesserung des Werkes und bei Verschulden Schadenersatz vom Unternehmer fordern (Art. 386 Abs. 2 OR).


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